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Kooperation / EU-MAGAZIN HORIZON / 02.05.2024, 16:28

Wie man Schlangengift den Schrecken nimmt

Aus der EU-Forschung gehen wirksamere Behandlungen für Schlangenbisse hervor, von denen jährlich Millionen von Menschen weltweit betroffen sind. 

APA/AFP

Im November 2023 gab die Polizei in der südniederländischen Stadt Tilburg eine Warnung zu einer zwei Meter langen, „extrem giftigen“ Schlange aus, die aus ihrem Gehege entkommen war.  Entwarnung für die Öffentlichkeit und ein Ende der landesweiten Schlagzeilen gab es erst, nachdem die grüne Mamba endlich hinter einer verputzten Wand im Haus des Besitzers gefunden wurde. Durch den Vorfall wurden Bewohner europäischer Städte mit einer für sie eher seltenen Bedrohung konfrontiert, der hingegen viele Millionen Menschen anderswo regelmäßig ausgesetzt sind. 

 Jedes Jahr werden weltweit – meist in den ärmsten Gemeinschaften der Welt –  rund 5,4 Millionen Menschen von Giftschlangen gebissen, wobei die Zahl der Fälle in Ländern wie Bangladesch, Burkina Faso, Indien und Nigeria besonders hoch ist. Diese Bisse verursachen weltweit zwischen 81.000 und 138.000 Todesfällen und etwa 400.000 dauerhafte Verletzungen, darunter Amputationen aufgrund schwerer Gewebeschäden.  

 Vergiftungen durch Schlangenbisse werden zwar von der Weltgesundheitsorganisation als weniger beachtete Tropenkrankheit eingestuft, sind aber tödlicher als alle anderen von der WHO weniger beachteten anerkannten Tropenkrankheiten.  

Im Rahmen eines von der EU geförderten Forschungsprojekts versucht Professor Nicholas Casewell durch eine Verbesserung der Behandlung von Schlangenbissen, die seit 100 Jahren mehr oder weniger unverändert ist, zu verringern. „Wenn man schnell genug das richtige Gegengift bekommt, kann es wirksam sein – Gegengifte retten Leben“, sagte Casewell, Experte für Schlangenbisse an der Liverpool School of Tropical Medicine im Vereinigten Königreich. „Aber sie sind auch mit vielen Mängeln behaftet.“ 

Derzeit werden Gegengifte hergestellt, indem Pferden oder Schafen geringe Dosen des Giftes injiziert werden, damit die Tiere Antikörper dagegen entwickeln. Dann wird den Wirtstieren Blutserum mit den darin enthaltenen Antikörpern entnommen, um dieses als Gegengift einsetzen zu können – ein Verfahren, das erstmals in den 1890er Jahren von dem französischen Arzt Albert Calmette gezeigt wurde. 

Diese Gegengifte sind teuer, erweisen sich häufig doch als wirkungslos und müssen gekühlt aufbewahrt werden. Auch können sie schwere Nebenwirkungen wie Hautausschläge, Gelenkschmerzen, Fieber und Lymphknotenschwellungen verursachen. Weiters haben große pharmazeutische Unternehmen die Produktion von Gegengiften eingestellt, weil sie als unrentabel gelten. Das erhöht den Bedarf für neue Behandlungsmethoden. 

Neue Nanopartikel  

Das Projekt, an dem Casewell beteiligt ist, bringt länderübergreifend Forschungsinstitute und Universitäten aus Belgien, Frankreich, Portugal und dem Vereinigten Königreich zusammen. Es heißt ADDovenom und ist über eine Zeitspanne von viereinhalb Jahren bis März 2025 ausgelegt. 

Die Forscher haben einen neuen synthetischen Nanopartikel zur Entwicklung einer wirksameren Behandlung von Schlangenbissen im Blick. Der virusähnliche Partikel nennt sich ADDomer. 

Weil ADDomere aus vielen Kopien desselben Proteins bestehen, fügen sie sich selbst zusammen. Diese Proteine können so modifiziert werden, dass sie spezifische Ziele erfassen und neutralisieren können. Im Fall von ADDovenom sind dies die Toxine aus dem Schlangengift.  

Vipern und Mambas 

Im Mittelpunkt des Projekts stehen die Sandrasselottern und Mambas in Afrika. Sie verursachen eine erhebliche medizinische Belastung im Zusammenhang mit Schlangen in der Subsahara-Region.  

Sandrasselottern rollen sich wie zu einer Brezel zusammen und erzeugen ein zischendes Geräusch, indem sie ihre Schuppen aneinander reiben, um zu signalisieren, dass sie sich bedroht fühlen und zubeißen könnten. Die eng mit den Kobras verwandten Mambas versuchen, Angreifer durch Aufbäumen und Zischen abzuschrecken. 

Das Gift dieser beiden Schlangenarten wirkt sehr unterschiedlich. Bei Sandrasselottern verursacht es innere Blutungen, während es bei Mambas zu Lähmungen führt. Unter der Leitung von ADDovenom haben Proteomik-Experten der Universität Lüttich in Belgien das Gift dieser Schlangen analysiert. Dieses wurde im Herpetarium der Liverpool School of Tropical Medicine gesammelt, wo die größte Sammlung von Giftschlangen im Vereinigten Königreich und eine der vielfältigsten in Europa beherbergt wird.  

Gifte sind eine Mischung aus verschiedensten Bestandteilen. Ziel des Projekts ist die Identifizierung und Neutralisierung der gefährlichsten Toxine von Sandrasselottern und Mambas. „Wir kennen jetzt die Zusammensetzung dieser Gifte und können die häufigsten und am meisten krankheitserregenden Toxine extrahieren“, so Professor Christiane Berger-Schaffitzel, Biochemikerin an der britischen Universität Bristol und Leiterin des Projekts. „Diese sind unsere Ziele.“ 

Wirksamer und erschwinglicher  

Die derzeitigen Gegengifte wirken alles andere als gezielt. Nur etwa ein Drittel der Antikörper in Gegengiften richtet sich gegen das Schlangengift selbst. Der Rest sind Antikörper, welche die Wirtstiere, die zur Gegengiftgewinnung herangezogen wurden, im Körper hatten, um andere Krankheitserreger abzuwehren. 

Das, und die Tatsache, dass die Antikörper von Tieren gebildet wurden, ist mit ein Grund, warum Menschen durch das Gegengift erkranken können. Patienten entwickeln einen als „Serumkrankheit“ bekannten Zustand, der eine allergische Reaktion auf diese zusätzlichen, nicht notwendigen Bestandteile ist. „Daher versuchen wir, die Dinge auf eine viel rationalere und sachkundigere Weise anzugehen“, sagte Casewell. Die Forscher hoffen, dass die geplante Anwendung nicht nur wirksamer, sondern auch sicherer sein wird.  

Und da ADDomere auch bei hohen Temperaturen stabil bleiben, müssten die Therapeutika nicht gekühlt werden, was sie für abgelegene ländliche Gemeinschaften in den Tropen leichter zugänglich macht. Das Projekt an sich wird zwar in weniger als einem Jahr abgeschlossen sein, die Forschung jedoch nicht.  

Neben der Weiterentwicklung von ADDomer-Nanopartikeln für verschiedene Toxine werden die Wissenschaftler auch untersuchen, wie diese Produkte in großem Maßstab hergestellt werden können, um sie erschwinglich zu halten. „Die Kosten sind wirklich wichtig, weil es sich um Entwicklungsländer und ländliche Gebiete handelt“, sagte Berger-Schaffitzel. „Die Menschen haben definitiv Probleme, sich eine Behandlung zu leisten.“ 

Wann Behandlungen auf ADDomer-Basis verfügbar sein werden, hängt unter anderem davon ab, wie gut sie Mäuse vor den Toxinen und dem Viperngift schützen. Für eine lebensrettende Behandlung wird eine breite Reaktivität bei Giften verschiedener Vipernarten angestrebt.   

Antikörper aus dem Labor 

ADDomere sind nicht die einzige Hoffnung für die Entwicklung neuer Methoden zur Bekämpfung von Schlangenbissen. Andere von der EU finanzierte Forscher versuchen dies mit menschlichen monoklonalen Antikörpern zu erreichen. Dabei handelt es sich um im Labor hergestellte Klone der zahlreichen Antikörper im menschlichen Körper. 

„Wir haben zwar Antikörper in unserem Blut, aber es sind Millionen verschiedener Antikörper“, sagt Andreas Hougaard Laustsen-Kiel, Professor für Antikörpertechnologie an der Technischen Universität von Dänemark. „Ein monoklonaler Antikörper ist nur einer dieser vielen, vielen Antikörper.“ Gentechnisch hergestellte monoklonale Antikörper werden bereits in verschiedenen Bereichen der Medizin eingesetzt, vor allem als gezielte Therapien gegen Krebs und zur Behandlung von Autoimmunkrankheiten wie rheumatoider Arthritis.  

Laustsen-Kiel und Kollegen entwickeln Antikörper, die mehrere verwandte Toxine in Schlangengiften neutralisieren. „Es ist relativ einfach, einen monoklonalen Antikörper zu finden, der nur an ein Ziel bindet“, sagte er. „Das Schwierigste ist, einen monoklonalen Antikörper zu finden, der an mehrere verschiedene Ziele bindet.“  

Ihr Projekt MABSTER soll nach fünf Jahren im Dezember 2024 abgeschlossen werden. Wie bei ADDovenom haben sich die Forscher auf Schlangengifte konzentriert, die eine erhebliche medizinische Belastung darstellen. MABSTER hat eine Antikörpermischung entwickelt und an Mäusen getestet, die das Gift der Korallenschlange, einer in Amerika beheimateten Familie farbenprächtiger, hochgiftiger Schlangen, neutralisieren kann. Laut Laustsen-Kiel steht das Team auch kurz vor der Fertigstellung einer Mischung zur Behandlung von Bissen durch afrikanische Kobras und Mambas. 

Weniger Nebenwirkungen 

Das Team entwickelt die Antikörper nicht nur so, dass sie gegen bestimmte Toxine gerichtet sind, sondern versucht auch sicherzustellen, dass die Antikörper länger im Körper überleben, um neue Toxine zu bekämpfen. 

Normalerweise neutralisiert ein Antikörper, nachdem er sich an sein Ziel, ein so genanntes Antigen – in diesem Fall ein Gifttoxin – gebunden hat, das Antigen und signalisiert dessen Zerstörung. Bei diesem Prozess bleibt der Antikörper mit dem Antigen besetzt, bis beide zerstört sind.  

Indem man die monoklonalen Antikörper so konstruiert, dass sie empfindlich auf ihre Mikroumgebung reagieren, kann man sie so programmieren, dass sie das Antigen beim zellulären Recycling des Antikörper-Antigen-Komplexes freisetzen, so Laustsen-Kiel. Dadurch bleibt der Antikörper intakt und kann weitere Giftstoffe binden. 

Die Wiederverwendung von Antikörpern auf diese Weise könnte niedrigere Behandlungsdosen ermöglichen, wodurch die Wirksamkeit erhöht und möglicherweise die Nebenwirkungen verringert werden könnten.  

Laustsen-Kiel schloss sich Berger-Schaffitzel an und betonte, wie wichtig es ist, dass solche Behandlungen bezahlbar sind.  „Die nächste große Forschungsfrage ist, wie man diese Dinge kostengünstig herstellen kann“, sagte er. 

Die Forschung in diesem Artikel wird durch das Horizon-Programm der EU finanziert und im Falle von EARLI zusätzlich durch den Europäischen Forschungsrat (ERC). Die Ansichten der Befragten spiegeln nicht unbedingt die der Europäischen Kommission wider. 

Weitere Informationen 

Artikel von Michael Allen

APA-SCIENCE CONTENT-KOOPERATION MIT HORIZON

Dieser Artikel wurde ursprünglich in Horizon, dem EU-Magazin für Forschung und Innovation, veröffentlicht.