Wundermaterial tritt mit europäischer Hilfe ins Rampenlicht
Laut Professor Patrik Johansson ist Graphen nicht zuletzt dank der EU der Sprung vom Labor auf den Markt gelungen.
Erstmals im Jahr 2004 von den späteren Nobelpreisträgern Andre Geim und Konstantin Novoselov an der Universität Manchester isoliert, weckte dieses neue Material aus einer einzigen Schicht Kohlenstoffatome sofort das Interesse der wissenschaftlichen Welt mit seinen außergewöhnlichen Eigenschaften.
Stark, leicht, flexibel und in der Lage, sowohl Wärme als auch Elektrizität zu leiten, bot Graphen zahlreiche potenzielle Anwendungsmöglichkeiten, unter anderem in der fortschrittlichen Elektronik, in Batterien, Hochleistungsverbundwerkstoffen und innovativen medizinischen Geräten und Sensoren. Das Graphene Flagship-Projekt ist eine zehnjährige EU-finanzierte Initiative, die 2013 ins Leben gerufen wurde. Sie steht an der Spitze der Entwicklung von Graphen-basierten Technologien und fördert die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Industrie.
Mit über 178 akademischen und industriellen Forschungspartnern war das Graphene Flagship-Projekt eines von vier langfristigen, groß angelegten kollaborativen Forschungs- und Innovationsbemühungen, die von der EU im Rahmen ihres Programms für Zukunftstechnologien und aufstrebende Technologien (Future and Emerging Technologies, FET) organisiert wurden. Dieses Programm zielt darauf ab, frühzeitige kollaborative Forschung zur Entwicklung bahnbrechender neuer Technologien zu unterstützen. Die anderen drei waren das Human Brain Project, das Quantum Technologies Flagship und Battery2030+.
Das Ziel des Graphene Flagship war es, neue Technologien auf Basis von Graphen und anderen verwandten 2D-Materialien zu entwickeln und sicherzustellen, dass diese neuen Technologien in Form von neuen Produkten, Unternehmen und Beschäftigungsmöglichkeiten den Schritt vom Labor in die Gesellschaft schaffen.
Es hat dazu beigetragen, Europa zu einem internationalen Vorreiter im Bereich Graphen und geschichteter Materialien zu machen, eine starke kollaborative Gemeinschaft geschaffen sowie Pionierarbeit bei Sicherheitsvorschriften und Produktionsrichtlinien geleistet.
Professor Patrik Johansson, Direktor des Graphene Flagship, beantwortet im Horizon Magazin Fragen zur Einzigartigkeit von Graphen, den Fortschritten der letzten zehn Jahre und den zukünftigen Entwicklungen.
Was ist so besonders an Graphen?
Graphen ist sowohl einfach als auch schön. Es ist das dünnste Material der Welt: eine nur ein Atom dicke Schicht Kohlenstoff, eine Million Mal dünner als ein menschliches Haar. Gleichzeitig ist es sehr fest, sogar fester als Stahl und Diamanten.
Graphen ist außerdem sehr flexibel und ein hervorragender Leiter für Elektrizität und Wärme. Und natürlich ist Graphen leicht: es besteht nur aus einer Schicht Kohlenstoffatome!
All dies in einem einzigen Material vereint ist wirklich einzigartig, und deshalb sehen wir ein enormes Potenzial in so vielen völlig unterschiedlichen Marktbereichen.
Wie weit sind wir damit, Graphen aus dem Labor in die Gesellschaft zu bringen?
Graphen hat einen sehr langen Weg zurückgelegt, wenn man bedenkt, dass es erst vor 20 Jahren isoliert wurde. Graphen wird heute in kommerziellem Umfang produziert und aktiv in einer Vielzahl von Verbundmaterialien verwendet, von Sportgeräten über Autos und Flugzeuge bis hin zu Öl- und Wasserleitungen.
Anwendungen in der Elektronik, in Batterien, in Wasser- und Luftreinigungsfiltern, in der Biomedizin und in anderen Arten von Sensoren sind ebenfalls verfügbar oder stehen kurz vor der Markteinführung. Der globale Graphenmarkt erreichte im Jahr 2022 einen geschätzten Jahresumsatz von 380 Millionen Dollar (350 Millionen Euro) und soll bis 2027 auf 1,5 Milliarden Dollar (1,38 Milliarden Euro) wachsen.
In welchen Bereichen leisten Graphen und andere 2D-Materialien den größten Beitrag zur europäischen Innovation und Wettbewerbsfähigkeit?
Graphen und andere 2D-Materialien versprechen, Anwendungen in vielen der wichtigsten europäischen Industrien zu revolutionieren. Nehmen wir nur ein Beispiel: Führende Partner des Graphene Flagship wie Airbus, Lufthansa und Leonardo haben die Möglichkeiten von Graphen und 2D-Materialien in der Luftfahrt demonstriert. Graphen wird bereits in Verbundmaterialien verwendet, die Flugzeuge leichter und stabiler machen.
Unsere Forscher haben auch Prototypen von Graphen-Luftfiltern entwickelt, die Verunreinigungen effektiver entfernen können als HEPA-Filter, sowie elektrisch leitfähige Verbundwerkstoffe, die Flugzeuge eisfrei halten können.
Zudem könnte Graphen in Zukunft die Halbleiterindustrie revolutionieren, indem es die Leistung herkömmlicher Silizium-Wafer verbessert.
Der europäische Fortschritt auf diesem Gebiet könnte dazu beitragen, Europas Abhängigkeit von ausländischen Lieferungen knapper und umweltschädlicher Materialien zu verringern, was letztlich zu einem sichereren Europa führt.
Welche Rolle können 2D-Materialien bei der Verwirklichung der europäischen Nachhaltigkeitsziele spielen?
2D-Materialien können die Nachhaltigkeitsziele sowohl durch die Förderung einer besseren Nutzung von Rohstoffen als auch durch die Unterstützung bei der Gewinnung, Umwandlung und Speicherung erneuerbarer Energien unterstützen. Sie werden dazu beitragen, Technologien umweltfreundlicher zu gestalten.
Die elektrische Leitfähigkeit von Graphen macht es zu einem geeigneten Ersatz für bestimmte knappe Rohstoffe. Durch die Eliminierung von Kupferleitungen in Elektronik und elektronischen Komponenten in Autos und Flugzeugen wird es dazu beitragen, diese Produkte leichter recycelbar zu machen.
Forscher des Graphene Flagship haben gezeigt, dass durch Graphen verbesserte Solarmodule eine höhere Effizienz und Haltbarkeit bieten. Graphen kann auch dazu beitragen, langlebigere und effizientere Batterien für Elektroautos und andere Anwendungen herzustellen. Wasserfilter für die Anwendung am Entnahmepunkt, die mit Graphen hergestellt wurden, können sogar neu auftretende Schadstoffe herausfiltern, die in europäischen Wasserquellen zunehmend vorhanden sind.
Ganz zu schweigen davon, dass Graphen selbst aus dem Kohlenstoff in Abfallprodukten wie alten Autoreifen und organischem Abfall hergestellt werden kann, was es zu einem idealen Produkt für eine grüne Kreislaufwirtschaft macht.
Wie sicher sind diese neuen Materialien?
Gesundheit und Sicherheit waren seit Beginn ein zentrales Anliegen des Graphene Flagship, wobei eine spezialisierte Arbeitsgruppe diesen Aspekt von Anfang an bearbeitet. Aufgrund der verschiedenen Herstellungsverfahren und der unterschiedlichen Formen, die es annehmen kann, ist Graphen nicht nur ein Material, sondern vielmehr eine Familie von Materialien.
Obwohl weitere Forschung zu den Gesundheitsauswirkungen von Graphen durchgeführt werden muss, deuten alle bisher gesammelten Beweise darauf hin, dass Graphen für Menschen nicht schädlich ist und im menschlichen Körper biologisch abbaubar ist.
Wir untersuchen auch die Auswirkungen von Graphen auf die Umwelt. Das Graphene Flagship hat mit den REACH/ECHA-Behörden der Europäischen Kommission zusammengearbeitet, um die Materialeigenschaften von Graphen in all seinen Formen zu bewerten und eventuelle Gesundheits-, Sicherheits- oder Umweltprobleme zu untersuchen.
Was sind die bedeutendsten Erfolge der ersten zehn Jahre?
Schon allein die Tatsache, dass Graphen in so kurzer Zeit aus dem Labor in kommerzielle Anwendungen gebracht wurde, ist eine große Leistung. Darüber hinaus hat das Graphene Flagship ein echtes Ökosystem für Graphenforschung und -innovation in Europa geschaffen.
Dies geht auch über die EU-geförderten Partner des Graphene Flagship hinaus. Unser Modell, das assoziierte Mitglieder und Partnerprojekte umfasst, hat es uns ermöglicht, eine noch breitere Palette akademischer und industrieller Partner einzubeziehen und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Die langfristige Perspektive und die erhaltene finanzielle Unterstützung waren dabei entscheidende Faktoren.
Wir waren auch eine bemerkenswert gute Investition für Europa. Für FET-Projekte im Allgemeinen setzte die EU das Ziel, 1 Patentanmeldung pro 10 Millionen Euro Fördermittel zu erreichen. Bis Dezember 2023 hatte das Graphene Flagship 3,5 Patentanmeldungen pro 10 Millionen Euro erreicht.
Das Graphene Flagship hat auch das Ziel für wissenschaftliche Publikationen weit übertroffen. Ein wirtschaftlicher Wirkungsbericht des unabhängigen WifOR-Instituts ergab, dass das Graphene Flagship zwischen 2014 und 2030 einen Beitrag von 3,8 Milliarden Euro zum BIP der europäischen Wirtschaft leisten und zur Schaffung von 38.400 Arbeitsplätzen in EU-Ländern beitragen wird.
Was macht das Graphene Flagship einzigartig?
Das Graphene Flagship ist unter den von der EU geförderten Projekten sowohl in Bezug auf seine Größe als auch auf seine Langlebigkeit einzigartig. Durch ein einzelnes Projekt, das das gesamte Spektrum der Forschung zu Graphen und anderen 2D-Materialien abdeckt, war es möglich, Daten mit einer Vielzahl von Partnern zu teilen und Überschneidungen und Redundanzen zu vermeiden.
Da unsere Finanzierung über einen längeren Zeitraum gesichert war, konnten unsere Partner ehrgeizigere Arbeiten durchzuführen. Der längere Zeitrahmen half dabei, eine echte Gemeinschaft für Graphenforschung und -innovation in Europa aufzubauen und Raum für wachsendes Vertrauen zwischen den Partnern zu schaffen. Dies erleichterte die Zusammenarbeit und den Wissensaustausch, was letztendlich zu besseren Ergebnissen führte.
Über einen Zeitraum von zehn Jahren konnten wir auch die langfristigen Auswirkungen des Projekts besser beurteilen, was bei einem typischen Dreijahresprojekt nicht wirklich möglich ist.
Es kann Jahre dauern, bis Patente genehmigt werden, und Produkte müssen mehrere Iterationen durchlaufen sowie Sicherheitsprüfungen bestehen, bevor sie auf den Markt gebracht werden können. Das Graphene Flagship hatte die Zeit, die Technologien zu entwickeln und ihren Fortschritt zu verfolgen: letztendlich mit echtem Nutzen für die europäische Industrie und Gesellschaft.
Was hält die Zukunft für das Graphene Flagship und 2D-Materialien bereit?
Das Graphene Flagship setzt seine Reise nun in neuer Form unter Horizon Europe fort. Unter dem Dach des Graphene Flagship werden 12 laufende Forschungs- und Innovationsprojekte mit einem Budget von über 62 Millionen Euro finanziert, die weitere Fortschritte in den Bereichen Energie, Elektronik und Photonik, biomedizinische Anwendungen und Verbundwerkstoffe sowie die Entwicklung neuer 2D-Materialien anstreben.
Wir bringen auch die 2D-Experimental Pilot Line (2D-EPL) – eines der Graphene Flagship-Projekte – auf die nächste Stufe mit einem Vorschlag für eine echte Pilotlinie, die die Art und Weise, wie 2D-Materialien in Europa zur Anwendung gebracht werden, verändern wird.
Darüber hinaus wird die Partnerschaft für Innovative Advanced Materials for Europe (IAM4EU), die mit Beiträgen sowohl aus der Graphene Flagship-Gemeinschaft als auch der Advanced Materials Initiative (AMi2030), entworfen wurde, nun eine neue öffentlich-private Partnerschaft (PPP) im Rahmen des zweiten strategischen Plans für Horizon Europe für 2025-2027 bilden.
Durch diese laufenden Entwicklungen wird Graphene Flagship weiterhin einen Einfluss auf Europas grünen Wandel, den digitalen Wandel und den Aufbau eines widerstandsfähigeren, wettbewerbsfähigeren, integrativeren und demokratischeren Europas haben.
Weitere Infos
- Graphene Flagship
- Die Flaggschiffe der EU für künftige neue Technologien (FET)
- EU-Forschung und Innovation für Chemikalien und fortschrittliche Materialien
Artikel von HORIZON STAFF
Die Ansichten des Befragten spiegeln nicht unbedingt die der Europäischen Kommission wider. Dieser Artikel wurde ursprünglich in Horizon, dem EU-Magazin für Forschung und Innovation, veröffentlicht.