Anlässlich des 60. Jahrestags der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz im Jahr 1945 erklärten die Vereinten Nationen 2005 den 27. Jänner zum „Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust“. Ein symbolträchtiges Datum im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg steht auch hinter dem europäischen „Gedenktag an die Opfer von Stalinismus und Nazismus“. Am 23. August 1939 unterzeichneten der deutsche Außenminister Joachim von Ribbentrop und sein sowjetischer Amtskollege Wjatscheslaw Molotow den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt. Dieses auch Hitler-Stalin-Pakt genannte Abkommen teilte Ost-Europa zwischen der sowjetischen und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft auf. Damit war der Weg für den nationalsozialistischen Angriffskrieg geebnet. Kurz darauf, am 1. September 1939, startete Hitler den Überfall auf Polen, der Zweite Weltkrieg begann.
Im April 2009 nahm das EU-Parlament mit 553 Ja-, 44 Nein-Stimmen und 33 Enthaltungen die Resolution für die Bestimmung dieses Tages als europäischem Gedenktag an die Opfer von Stalinismus und Nazismus an. In der Praxis wird der Tag aber bis heute nur in wenigen osteuropäischen Ländern begangen, im Westen ist er weitgehend unterhalb der Wahrnehmungsgrenze angesiedelt. „Im westlichen Europa ist der 23. August ein toter Gedenktag. Ich weiß nicht, ob ein Prozent der Österreicherinnen und Österreicher eine Antwort darauf geben könnte, was es mit dem Tag auf sich hat“, sagte die Historikerin Heidemarie Uhl zu APA-Science.
Misstöne und Kritik
Der neue Gedenktag war von Beginn an von Misstönen und Kritik begleitet. Der israelische Holocaustforscher Yehuda Bauer sah etwa in der Gleichsetzung der beiden Regime eine Trivialisierung und Relativierung des Holocaust. Für Uhl, die an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und als Lehrbeauftragte an der Universität Wien tätig ist, stellt sich über das Problem der Vergleichbarkeit hinaus die Frage nach den geschichtspolitischen Zielsetzungen dieses Gedenktags: Geht es darum, die ohnehin erst vor kurzem erkämpfte Anerkennung des Holocaust als einzigartigem Zivilisationsbruch in der europäischen Geschichte zu relativieren?
Dessen ungeachtet bekräftigte das Europäische Parlament in seiner Entschließung „zur Bedeutung des europäischen Geschichtsbewusstseins für die Zukunft Europas“ vom September 2019 die Bedeutung des Gedenktags und forderte alle Mitgliedsstaaten auf, den 23. August als nationalen und unionsweiten Gedenktag zu begehen. Der Aufruf stieß auf scharfe Kritik von Überlebenden- und KZ-Verbänden.