Abwasser für die Landwirtschaft? Danke, (derzeit) kein Bedarf!
In Österreich wird nur ein geringer Anteil (rund 1,5 Prozent) der landwirtschaftlich genutzten Flächen bewässert. Dementsprechend entfallen hierzulande rund vier Prozent des gesamten Wasserbedarfs auf den Agrarsektor, während es EU-weit 24 Prozent und weltweit sogar 70 Prozent sein dürften. Bis 2050 könnte sich laut Studien der Bedarf in Österreich aber verdoppeln. Aufbereitetes Abwasser wäre ein möglicher Weg zum Schutz der wertvollen Ressource.
Der Klimawandel mit höheren Durchschnittstemperaturen, häufigere Dürreperioden und die demografische Entwicklung verstärken sowohl die saisonale als auch die ganzjährige Wasserknappheit in der EU. Die erneuerbaren Wasserressourcen pro Kopf haben laut Weltbank von 1961 bis 2020 um 17 Prozent abgenommen. Der Wasserstress wird in vielen Gebieten deutlich zunehmen, zeigt der Aqueduct Water Risk Atlas. Um diesen Trend abzuschwächen setzen viele Länder zunehmend auf die Wiederverwendung von Wasser.
In Österreich ist die Situation derzeit eher entspannt. Vier Prozent des gesamten Wasserbedarfs entfallen auf die hierzulande großteils Niederschlags-gespeiste Landwirtschaft, die für Bewässerung 69 Mio. Kubikmeter und für Viehhaltung 55 Mio. Kubikmeter zu 95 Prozent aus dem Grundwasser entnimmt. Die Notwendigkeit zur Bewässerung ist regional im niederschlagsarmen Osten des Bundesgebietes – Stichwort Marchfeld, Seewinkel, Weinviertel – sowie saisonal sehr konzentriert und könnte sich bis 2050 beinahe verdoppeln, ergibt die Studie „Wasserschatz Österreichs“. Allerdings wird auch auf die lückenhafte Datenlage hingewiesen, weshalb die Schätzung mit Unsicherheiten behaftet sei.
Damit steigt der Bedarf in der Landwirtschaft am stärksten, während das Plus bei der Wasserversorgung elf bis fünfzehn Prozent betragen könnte und Industrie und Gewerbe ohnehin stagnieren (siehe „Viel Wasser in der Industrie – aber kühl bitte“). Berücksichtigt werden müssen die generell starken Schwankungen: In trockenen Jahren bis zum Achtfachen der Jahresmenge im Vergleich zu einem Jahr mit viel Niederschlag. Generell werden sich die Flächen für die Bewässerungsgebiete künftig zunehmend von Osten nach Westen ausdehnen, so die Fachleute.
Regionale Nutzungskonflikte entstehen
„Das Problembewusstsein nimmt zu. Man beschäftigt sich schon vermehrt mit dem Thema, dass das Wasser knapper wird. Wir haben in den vergangenen Jahren gesehen, dass es regional teilweise schon zu Nutzungskonflikten und medial ausgetragenen Diskussionen gekommen ist“, erklärt Reinhard Nolz vom Institut für Bodenphysik und landeskulturelle Wasserwirtschaft der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien gegenüber APA-Science. Der Anstieg der Temperaturen habe zu einer höheren Verdunstung und einem höheren Wasserbedarf geführt.
International ist der Leidensdruck ungleich höher und soll weiter steigen. Die Auswirkungen von Wasserknappheit und Dürre werden in den kommenden Jahren keineswegs abnehmen, sondern sich vor allem aufgrund des Klimawandels verschärfen, sind Expertinnen und Experten überzeugt. Die häufigeren Dürren würden immer mehr Regionen der Erde – auch traditionell feuchte Gebiete – betreffen.
Natürlich gibt es viele mögliche Beiträge zur Schonung der Ressource Wasser im Agrarbereich. Von effizienter Bewässerung durch verbesserte Informationsgrundlagen, Einsatz digitaler Technologien, Verlustvermeidung, Wechsel auf trockenheitsresistente Kulturen, Anpassung der Fruchtfolge bis zur Beschattung durch Photovoltaik-Anlagen, reicht die Palette. Effizienzverbesserungen führen aber nicht immer zu einer Gesamtwassereinsparung, „da das eingesparte Wasser möglicherweise für andere Zwecke verwendet wird, z. B. für wasserintensivere Kulturen oder die Bewässerung einer größeren Fläche“, heißt es in „OECD Studies on Water“ in Hinblick auf „Rebound“-Effekte.
Reuse verleiht Kreislaufcharakter
Eine Möglichkeit, die der Ressource Kreislaufcharakter verleiht und derzeit intensiv diskutiert wird, besteht in der Wiederverwendung von Abwasser für die Bewässerung. Ausgehend von Schätzungen, dass in Europa das Potenzial von wiederaufbereitetem Wasser rund sechsmal höher liegt als derzeit genutzt, wurde schon unter der österreichischen Ratspräsidentschaft 2018 eine Verordnung zur Wasserwiederverwendung verhandelt und 2020 beschlossen. Sie regelt Mindeststandards für die Nutzung von aufbereiteten kommunalen Abwasser bei der landwirtschaftlichen Bewässerung, wie sie etwa in Spanien, Italien, Griechenland, Zypern, Frankreich und Portugal teilweise intensiv genutzt wird.
Schon 2011 hatte eine Welle von ungewöhnlich heftigen EHEC-Erkrankungen, die durch einen neuen Stamm des Escherichia coli-Bakteriums ausgelöst wurden, zu zahlreichen Todesfällen und einer breiten Debatte über Lebensmittelhygiene geführt. Dabei wurden zunächst spanische Gurken mit den Erkrankungen in Zusammenhang gebracht, später gerieten Sprossen unter Verdacht.
Ziel der Verordnung war es nun, verschiedene Standards für Aufbereitung und Qualität des wiederverwendeten Wassers zu vereinheitlichen, um größtmögliche Lebensmittelhygiene, aber auch um gleiche Wettbewerbsbedingungen auf dem Agrarmarkt zu gewährleisten. Festgelegt werden einheitliche Mindestanforderungen an die Wasserqualität in verschiedenen Güteklassen (wobei die höchste für Bewässerung von für rohen Verzehr gedachtes Gemüse und Obst gilt), sowie für Überwachung, Risikomanagement und Datentransparenz.
Österreich wird „rausoptieren“
Die Verordnung (2020/741) gilt ab 26. Juni in den EU-Mitgliedstaaten, gibt diesen jedoch ausdrücklich eine Opt-out-Möglichkeit. Das heißt, sie können mit einer einfachen Meldung nach Brüssel für sich in Anspruch nehmen, diese Vorschriften nicht umzusetzen. „Wir werden der Kommission mitteilen, dass wir die Wiederverwendung von geklärten Abwässern aus kommunalen Kläranlagen für landwirtschaftliche Zwecke nicht umsetzen“, stellt Günter Liebel, Generalsekretär im Landwirtschaftsministerium, klar. Diese Option, die eine Vielzahl von Ländern ziehen dürfte, kann jederzeit wieder widerrufen und die „Water Reuse Regulation“ doch zur Anwendung gebracht werden.
Grund für die Bedenken mancher Mitgliedsstaaten sind angeblich unzureichende Regelungen, aber auch Haftungsfragen. Denn es braucht einen Provider, der die Abwässer von der Kläranlage übernimmt, aufbereitet und an die Landwirtschaft weitergibt. Aus Sicht des deutschen Umweltbundesamtes etwa „sind die Vorgaben der Verordnung zu den Mindestanforderungen und zum Risikomanagement nicht konkret und strikt genug. Daher könnten sie mit sehr unterschiedlich hohen Ansprüchen umgesetzt werden. Hier sind strengere nationale Regelungen erforderlich.“ Auch Staaten, bei denen derzeit keine geklärten Abwässer zur Bewässerung eingesetzt werden, könnten sich für ein Opt-out entscheiden – schon alleine aus Imagegründen.
Beobachtung erste Reihe fußfrei
Fachleute sehen in Österreich jedenfalls „derzeit keinen Bedarf“. Es werde aber interessiert verfolgt, wie sich die Situation in Europa weiter entwickelt, welche technischen Möglichkeiten es gibt, wie teilnehmende Länder das umsetzen und welche Investitionen dafür notwendig sind. Es seien noch viele Fragen offen. „Zum jetzigen Zeitpunkt ist unklar, ob das regional oder sogar überregional hilfreich sein kann und helfen würde, die Situation zu entlasten. Es braucht unter anderem genug gereinigtes Abwasser, damit das Sinn macht“, verweist Nolz auf die notwendige Verfügbarkeit, etwa wenn der Wasserbedarf in einer Region hoch, aber die Bevölkerungsdichte – und damit die Menge an Abwasser – niedrig sei.
Bei landwirtschaftlichen Flächen, die in unmittelbarer Nähe einer Kläranlage sind, sehe die Sache anders aus als wenn Wasser über längere Strecken transportiert beziehungsweise irgendwo hin geleitet werden müsste. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen seien von Region zu Region sehr unterschiedlich. Deshalb müsse zuerst ermittelt werden, wie das Verhältnis von Aufwand zu Nutzen ist. Auch der Umbau der Monitoringsysteme, um die Qualität zu erhalten und Gesundheitsgefährdungen zu verhindern, sei nicht von heute auf morgen machbar.
„Ob in Bezug auf das Klimathema oder in Bezug auf Wasser, man muss Veränderungen schrittweise und langfristig angehen. Man kann nicht von heute auf morgen den Schalter umlegen und erwarten, dass Lösungen sofort verfügbar sind“, warnt Norbert Kreuzinger von der Technischen Universität (TU) Wien vor einer zu starken Zurückhaltung beim Thema. „Die Entscheidungsträger glauben, dass dieses Thema für uns nicht wichtig ist“, so Günter Langergraber vom Institut für Siedlungswasserbau, Industriewasserwirtschaft und Gewässerschutz der Boku Wien: „Als Forscher sind wir da anderer Meinung und sagen das auch die ganze Zeit.“
Forschungsprojekte sind Mangelware
Keine große Überraschung ist aufgrund des hierzulande verfügbaren „Wasserschatzes“, dass man große Forschungsprojekte oder gar Leuchtturmprojekte zu dem Thema vergeblich sucht. „Das Top-Forschungsthema wird das hierzulande nicht. Aber mit dieser neuen Situation und mit der Aussicht, dass es in Österreich angewendet werden könnte, bin ich fast überzeugt, dass es da Studien oder Forschungsprojekte geben wird“, erklärt Nolz etwa in Hinblick auf die Anpassung an österreichische Verhältnisse.