Arbeit in neuem Klima
Der Klimawandel ist allgegenwärtig. Nachdem alle Bereiche des Lebens direkt oder indirekt davon betroffen sind, sehen Expertinnen auch in Bezug auf die Erwerbsarbeit großes Potenzial für Veränderung - hin zu einem klimafreundlicheren Leben. Die Frage ist, wie diese Transformation aussehen kann.
Beim Konsum, etwa von nachhaltigen Lebensmitteln oder Kleidung, kann an die individuelle Verantwortung appelliert werden. „Das ist bei der Arbeit nur bedingt möglich, da die individuelle Entscheidungsfreiheit aufgrund der existenziellen Notwendigkeit, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, stark eingeschränkt ist“, sagt Johanna Hofbauer vom Institut für Soziologie und Empirische Sozialforschung der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien. Daher sei es wichtig, Erwerbsarbeit in Bezug auf Arbeitszeit neu aufzustellen. Das eröffne dem Einzelnen mehr Möglichkeiten, sich klimafreundlich zu verhalten und nachhaltiger zu konsumieren. Das ist auch ein Ergebnis des APCC-Reports „Strukturen für ein klimafreundliches Leben“ des Klima- und Energiefonds, an dem Hofbauer als Autorin mitgewirkt hat.
Eine Zeitfrage
Ein zentraler Aspekt für einen nachhaltigen Lebensstill ist demnach die Arbeitszeitverkürzung. „Menschen können eher klimafreundlich leben, wenn sie mehr Zeit zur Verfügung haben statt mehr Geld – immer unter der Voraussetzung, dass die Grundversorgung gesichert ist“, sagt auch Barbara Smetschka, stellvertretende Leiterin des Instituts für Soziale Ökologie an der Wiener Universität für Bodenkultur (BOKU) und ebenfalls Autorin des APCC-Reports, gegenüber APA-Science.
Dabei kann eine Arbeitszeitverkürzung von ein oder zwei Stunden schon viel bewegen. Das würde laut einer Studie der Technischen Universität Berlin auch nicht zu zusätzlichem Konsum führen, so Hofbauer. Vielmehr könne darauf aufbauend das Privatleben besser und nachhaltiger organisiert werden. Letztendlich sei der Erfolg dieser Maßnahme eine Frage der Gestaltung der Arbeitszeitverkürzung und welche Formen der Freizeitbeschäftigung den Menschen zugänglich gemacht würden. Die Soziologin schränkt jedoch ein: Die plötzliche Einführung einer 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich könnte durchaus kontraproduktiv sein; um genauere Effekte zu ermitteln, benötige es aber noch weiterer Untersuchungen.
Auch wenn Karin Huber-Heim von der Fachhochschule (FH) des BFI Wien keine direkte Verbindung zwischen Arbeitszeit und Klimawandel sieht, meint sie: „Zeit ist der wichtigste Faktor in jeder Verhaltenstransformation, da sich Änderungen erst festigen müssen.“ Eine Arbeitszeitverkürzung sieht sie vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels kritisch. Die Diskussion müsse vielmehr das Thema Präsenzarbeitszeit in den Fokus nehmen, so die wissenschaftliche Lehrgangsleiterin des Master-Studiengangs “Sustainability and Responsible Management”. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sollte stärker die Selbsteinteilung ihrer Arbeitszeit ermöglicht werden – auch wenn dies in vielen Industrie- und Handwerksbranchen nur eingeschränkt möglich ist.
Bis weit in das 19. Jahrhundert hinein war die Arbeitszeit in Österreich gesetzlich nicht geregelt. Eine erste konkrete Regelung gab es 1859, im Rahmen derer ein elfstündiger Arbeitstag an sechs Wochentagen plus eine 24-stündige Sonntagsruhe festgelegt wurde. Das war laut Peter Eigner, Historiker vom Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien, die erste große gesetzliche Festlegung zu dem Thema: „Allerdings wurde sie meist nicht eingehalten.“ In den 1890ern habe es dann erstmals Forderungen nach einem 8-Stunden-Tag gegeben. 1919 sei Österreich einer der „Pioniere in Europa bei der Einführung der Sechs-Tage-Woche mit dem Acht-Stunden-Tag“ – ein Ergebnis der „sozialpolitischen Offensive dieser Zeit“ – gewesen. Unter den Nationalsozialisten wurde das Gesetz nach 1939 rückgängig gemacht. Arbeitstage über zehn Stunden waren wieder erlaubt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden wieder Forderungen nach kürzeren Arbeitszeiten laut. Einzelne Branchen konnten eine Senkung auf 45 Stunden erreichen. Erst 1969 wurde die schrittweise Einführung der 40-Stunden-Woche gesetzlich verankert, die ab 1975 für viele Branchen galt (für manche auch die 38,5-Stunden-Woche). Seit damals habe es immer wieder kleine Änderungen gegeben. Die wichtigste war für Eigner jene im Jahr 2018, im Rahmen derer die zulässige Höchstarbeitszeit – flexibel gestaltet – auf 12 Stunden pro Tag bzw. 60 Stunden pro Woche ausgeweitet wurde.
Bewusstsein generieren
„Unternehmen müssen sich mit dem Thema Klimakrise auseinandersetzen, da es über kurz oder lang um ihre Geschäftsgrundlage geht“, so die Expertin für Corporate Sustainability. Bekomme man die globale Erwärmung nicht in den Griff, werde jede Idee eines weiteren Wirtschafts- und Wohlstandswachstums obsolet. Dabei würden Arbeitgeber als “Wissens-Multiplikatoren” bei der Vermittlung von nachhaltigen Ideen eine zentrale Rolle einnehmen.
Bei einem Teil der Arbeitgeber sei diese Verantwortung bereits angekommen, sagt die FH-Lektorin: “Es wird erkannt, dass das Wissen und das Bewusstsein über die Sinnhaftigkeit eines klimafreundlichen Lebens dem Unternehmen Vorteile bringen.“ Bereits vielfach aufgesetzte unternehmerische Programme z. B. zu klimabewusster Ernährung, nachhaltiger Mobilität und unternehmensinterner Verwendung von umweltfreundlichen Ressourcen sprechen für den Trend.
Damit werde mehr Bewusstsein bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern generiert und die Grundlage für Solidarität und Motivation für nachhaltige Lösungen geschaffen, erläutert die Expertin. Der Bedarf an solchen Projekten und Schulungen sei auch weiterhin groß. Aber es dürfe sich bei den Initiativen auch nicht in reinen „Überschriften“ ohne Fakten erschöpfen.
„Wir müssen vernetztes Wissen über die Klimakrise aufbauen, das darüber hinaus geht, was oft völlig verkürzt in sozialen Medien transportiert wird“, so Huber-Heim: „Die Auswirkungen des menschlichen Handelns auf das Klima müssen faktisch, aber auch emotional verstehbar gemacht werden.“
Verantwortliches Handeln
Die Transformation zu klimafreundlicherem Arbeiten wird laut Soziologin Hofbauer wohl nicht allen Unternehmen einfach so gelingen. Den Übergangsprozess in leuchtenden Farben darzustellen, greife zu kurz. Es werde auch zu Arbeitsplatzreduktionen kommen, um ökologische Innovationen voranzutreiben: „Unternehmen und Führungskräfte müssen verantwortlich handeln, indem sie eine entsprechende Konfliktaufarbeitung in Gang setzen, Übergänge und Re-Qualifizierungen gestalten, Betroffene sowie Interessensvertretungen zeitgerecht einbinden.“ Die Wirtschaftstreibenden müssten außerdem von der Politik klare Rahmenbedingungen verstärkt einfordern.
Unternehmen seien gefordert aktiv zu zeigen, dass sie ihren ökologischen Fußabdruck von der Vertragsgestaltung über Einkauf, Produktion, Gestaltung von Dienstreisen und Nutzung energiesparender Technologien bis hin zum Einsatz von erneuerbaren Energien senken. Das sei eine Frage der Authentizität und Glaubwürdigkeit eines Betriebs, ergänzt Huber-Heim.
Bildung vorantreiben
Nachhaltigkeit muss laut den Expertinnen auch in der Ausbildung mehr Gewicht bekommen. „Das Wissen um unsere natürlichen Systeme spielt allgemein keine Rolle, außer man studiert ein umweltrelevantes Fach“, fordert Huber-Heim mehr Bildungsanstrengungen. Beispiele für ein entsprechendes Angebot sind etwa der junge Master-Studiengang “Green Chemistry” (Universität Wien, Technische Universität Wien und BOKU) oder das Studium „Ecological Ecomomics” (WU Wien). Die Expertin plädiert darüber hinaus für eine breite Wissensvermittlung über „biosystemische Zusammenhänge“. Auch eine Art „Nachhaltigkeits-Grundausbildung“ sei vorstellbar: „Wir brauchen wieder mehr Verständnis für das Gesamtsystem. Klima ist ein interdisziplinäres Thema, das uns alle betrifft.“
An den Hochschulen und Universitäten ist die Klimakrise laut den Expertinnen jedenfalls schon angekommen. Der Druck vonseiten der Studierenden und die Nachfrage seien groß, so Hofbauer.
Um Unternehmen für die grüne Transformation fit zu machen, wurde im vergangenen Jahr in der Steiermark die Green Tech Academy Austria (GRETA), eine Initiative mehrerer Bildungsanbieter, ins Leben gerufen. Die Qualifizierung von Arbeitskräften, die Schaffung eines Netzwerks für Bildungsanbieter und die Bündelung der Aus- und Weiterbildungsangebote im “GreenTech”-Bereich sind die Ziele. Geplant ist unter anderem die Entwicklung maßgeschneiderter Angebote, die Unternehmen dabei unterstützen sollen, den Strukturwandel hin zu grünen Technologien zu meistern. Die Initiative ist Teil des EU-Projektes Greenovet; von den vier geplanten Zentren für berufliche Exzellenz im Bereich grüner Technologien und Innovationen war das steirische Zentrum das erste, das in Umsetzung gegangen ist. Die weiteren entstehen in Finnland, Nord-Mazedonien und Portugal.
Neue Job-Welt
Auch für die sogenannten Green Jobs braucht es angepasste Ausbildungen, sind sich die Expertinnen einig: „Sie qualifizieren für den Wandel und sensibilisieren für das Thema.“ Es würden Inhalte transportiert, die die Menschen auf dem Transformationspfad mitnehmen und auch „Zukunftsängste nehmen“ können.
Noch liegen jedoch laut Hofbauer zu wenige Daten vor, um sagen zu können, wo der genaue Bedarf an Ausbildung, Umschulung und die Arbeitsmarktnachfrage für Green Jobs festzumachen sei. Dazu brauche es weitere Forschungsarbeit. Bei Ausbildungen und Umschulungen zu Green Jobs werde man um Förderungen nicht herumkommen, da die Job-Welt der Zukunft ganz anders aussehen werde, meint Huber-Heim. Viele heutige Berufe wie etwa der klassische Kfz-Mechaniker werden sich in den nächsten Jahren stark verändern. Die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik habe die Verantwortung steuernd dafür zu sorgen, dass bei diesem Übergang in den „neuen Berufsmarkt“ so viele Menschen wie möglich befähigt werden, „in Arbeit zu bleiben”.
Klima-Glossar: Green Jobs
Als ein weiteres Ergebnis zeigt der APCC-Report auch auf, dass „Wirtschaftswachstum langfristig nicht mit ökologischen Zielen zu vereinbaren ist“. „Wir brauchen Bereiche, wo wir Wachstum reduzieren bzw. radikal umschichten müssen“, sagt Soziologin Johanna Hofbauer im Gespräch mit APA-Science. Im Folgenden einige Lesetipps zum Thema:
- A systematic review of the evidence on decoupling of GDP, resource use and GHG emissions, part II: synthesizing the insights (doi: 10.1088/1748-9326/ab842a)
- Is Green Growth Possible? (doi: 10.1080/13563467.2019.1598964)
- EEB Report: Decoupling debunked – Evidence and arguments against green growth as a sole strategy for sustainability