Auswirkungen von Mikroplastik auf Gesundheit noch wenig erforscht
Plastik begleitet die Gesellschaft seit vielen Jahrzehnten im Alltag. Umso erstaunlicher erscheint, wie wenig bisher über die Effekte von Mikroplastik auf die menschliche Gesundheit bekannt ist. Wissenschafter verweisen auf Korrelationen, sehen aber keinen Nachweis für einen direkten Ursache-Wirkung-Zusammenhang. Warum das Forschungsfeld noch sehr jung ist und welche Hürden es dabei gibt, erklärt Lukas Kenner von der Medizinischen Universität (MedUni) Wien im Gespräch mit APA-Science.
„Als vor knapp vier Jahren das Projekt microONE gestartet ist, war der Auslöser, dass wir Mikroplastik im Stuhl gefunden haben. Wir wussten damals noch nicht, dass es auch ins Blut geht und damit in alle Organe“, verweist der Pathologe auf den sich rasant ändernden Forschungsstand. Werde Mäusen Plastik oral verabreicht, sei es schon nach zwei Stunden im Blut zu finden und überwinde schließlich sogar die Blut-Hirn-Schranke. Inzwischen habe sich gezeigt, dass Plastik in manchen Tumoren bei Menschen höher konzentriert sei als im umgebenden Nicht-Tumorgewebe.
Sammelt sich über die Jahre im Körper an
Es gebe auch Hinweise auf eine Zunahme über die Zeit, also dass sich diese Plastikpartikel in den Geweben ansammeln. So hat ein Forscherteam kürzlich in Leber- und Gehirnproben Verstorbener aus dem Jahr 2024 deutlich mehr winzige Teilchen gefunden als in Proben aus dem Jahr 2016, so Kenner, der das am Grazer CBmed angesiedelte Forschungsprojekt microONE leitet. Im Gehirn sei die Konzentration zudem viel höher gewesen als in der Leber oder den Nieren.
Warum die Auswirkungen auf den Menschen erst in jüngster Zeit in den Fokus rücken, sei ihm ein Rätsel: „Die Plastikproduktion nimmt ja schon seit den 1950er-Jahren massiv zu. Und dieses Material akkumuliert, weil die meisten Plastikarten nicht gut abbaubar sind, sondern degradiert werden und in immer kleinere Partikel zerfallen.“ Beachtet worden sei das erst Anfang der 2000er-Jahre, hauptsächlich wegen Partikel, die im Meer gefunden wurden. Die Beschäftigung mit den Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit habe da noch lange auf sich warten lassen.
Abgesehen von den Niederlanden, die hier staatlich unterstützt als Vorreiter agieren würden, sei das bis heute noch kein großes Thema. Das dürfte auch mit der enormen Komplexität des Forschungsbereichs zusammenhängen. Der größte Teil des Mikroplastik entstehe durch Abbau oder Zerfall, beispielsweise durch UV-Licht oder physische Einflüsse – Stichwort Reifenabriebe –, werde also im Gegensatz zu Partikeln in Kosmetika nicht gezielt von einem Unternehmen produziert. Die Partikel seien also, was Größe, Zusammensetzung oder Eigenschaften betrifft, sehr unterschiedlich.
Mikropartikel umgeben sich mit Vielerlei
Die Oberfläche fungiere zudem als Träger für sehr viele andere Substanzen aus der Umgebung, etwa Umweltgifte. „Wenn wir im Labor Effekte von Mikroplastik untersuchen, dann wollen wir natürlich möglichst reines Mikroplastik haben, wissen aber, dass das, was wir da untersuchen, eigentlich nicht der Realität entspricht“, so Kenner. Zum Teil werde eine „natürliche“ Umgebung für die Partikel und eine mehr oder weniger definierte Witterung modelliert. Das Mikroplastik wird dann etwa einfach einen Monat auf dem Hausdach platziert. Es habe sich auch gezeigt, dass die sogenannte Corona, mit der sich die Partikel umgeben, zum Beispiel Cholesterin-Moleküle binde, um quasi nicht als körperfremd erkannt zu werden und die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden.
„Jeder von uns nimmt Mikroplastik jeden Tag auf – mit der Nahrung, mit der Atmung, teilweise über die Haut und die Schleimhäute und wir wollen das mit unseren Versuchen imitieren“, erklärt Kenner. Aktuell werde Forschung aber hauptsächlich mit einer bestimmten Art von Partikel ohne Additive durchgeführt, um die Komplexität zu reduzieren – auch wenn in Organen oft mehrere Partikelarten mit unterschiedlichen Eigenschaften gleichzeitig vorkommen. Unklar sei nach wie vor, wie sich die Partikel in den Zellen selbst verhalten. Diese Faktoren würden es sehr schwierig machen, eine tatsächliche Kausalität nachzuweisen.
Für Studien müssten die Partikel extra hergestellt werden, was einer umfangreichen chemischen Expertise bedürfe. Denn für reproduzierbare Versuche sollten die Partikel – anders als es in der Umwelt ist – eine bestimmte Qualität, standardisierte Größe, Form, Oberfläche und Ladung aufweisen. „Als wir begonnen haben, habe ich nicht gewusst, was auf uns zukommt“, erklärt der Experte rückblickend. Herausfordernd sei auch die Analytik: „Wir haben eigentlich keine Maschinerie, um Partikel in Gewebe zu detektieren, vor allem ist noch kein zelltypspezifischer Nachweis möglich.“
Kleinere Partikel problematischer?
Der Zerfall von großen Teilchen in immer kleinere Partikel könnte weitere Probleme mit sich bringen. Denn eine noch unbestätigte Hypothese lautet, dass kleinere Partikel biologisch relevanter sind, weil sie sich leichter in Zellen bewegen können. Aus einem Mikroplastikpartikel mit 5 Millimeter könnten Milliarden Nanoplastikpartikel mit einem Mikrometer entstehen mit einer tausendfach größeren Oberfläche, wo sich wahrscheinlich wiederum eine Corona bildet.
„Man kann Plastik essen und es wird wahrscheinlich nichts passieren. Die Kleinheit und womit sich der Partikel umgibt, sind das eigentliche Problem“, sagt der Pathologe. Aktuell gebe es noch technologische Schwierigkeiten, Teilchen, die kleiner als ein Mikrometer sind, im Gewebe wirklich verlässlich zu messen und bestimmten Zelltypen zuzuordnen. Das wäre aber notwendig, um zumindest eine Korrelation mit einer Erkrankungshäufigkeit oder einer Erkrankungsausprägung herzustellen, erklärt Kenner.