Automatischer Verschub noch nicht auf Schiene
„Mehr Schiene, weniger Straße“ heißt es beim Güterverkehr seit vielen Jahren. Geschehen ist hier eher wenig. Den Verschub zu automatisieren würde die Wettbewerbsfähigkeit deutlich steigern, sind Fachleute überzeugt. Ein Schlüsselelement dabei ist die Digitale Automatische Kupplung (DAK), durch die manuelle Prozesse wie das Ab- und Ankuppeln von Waggons automatisiert werden sollen. Noch ist man aber nicht ganz am Ziel.

Aktuell werden die Güterwaggons in Europa per Hand mit einer Schraubenkupplung und der Luftleitung zum Bremsen verbunden. Ein wenig effizienter, mühsamer und auch gefährlicher Vorgang, wie Burkhard Stadlmann von der Fachhochschule Oberösterreich (FH OÖ) Campus Wels gegenüber APA-Science erklärt. Besonders herausfordernd sei das im Einzelwagenverkehr, bei dem Wagen oder kleine Wagengruppen unterschiedlicher Versender in Verschiebebahnhöfen getrennt, sortiert und zu Zügen neu zusammengestellt werden.
Damit einher gehe ein oftmaliges Entkuppeln und Kuppeln bis zum Bestimmungsort. Im Verschiebebahnhof der Zukunft soll deshalb die DAK eine große Rolle spielen. Sie könnte die Schraubenkupplung ablösen und ermöglicht eine automatische Verbindung und Trennung von Güterwagen inklusive Luft-, Daten- und Stromleitungen. „Dieses System für Güterwagen gibt es weltweit in der Form noch nicht“, so Stadlmann. Ein von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG gefördertes Projekt namens „DACIO“, das sich mit dieser Thematik beschäftigt und Zugzusammenstellung und -vorbereitung erleichtern soll, wurde kürzlich abgeschlossen.

Daten- und Stromleitungen mit an Bord
Europa ist demnach der letzte Kontinent ohne ein automatisches Kupplungssystem im Schienengüterverkehr. Er könnte aber der erste mit einem Digitalen Automatischen Kupplungssystem werden. Die Mechanik dafür ist in Form der Scharfenbergkupplung schon seit langem im Personenverkehr im Einsatz, soll nun aber noch einen E-Kuppler für Luft-, Daten- und Stromleitungen bekommen, was unter anderem neue Möglichkeiten im Bereich Digitalisierung eröffnet.
Durch entsprechende Sensoren könnte beispielsweise die ebenfalls viel Zeit beanspruchende Bremsprobe automatisiert werden, so Stadlmann. Die bisweilen bis zu zwei Stunden dauernde Tätigkeit könnte mit Hilfe der DAK auf zwei bis drei Minuten verkürzt werden.
Im Rahmen von „DACIO“ wurde zudem ein sogenannter Preparator entwickelt, der Waggons, die der Schwerkraft folgend vom Rollberg runter und je nach Destination in die einzelnen Gleise rollen, abbremst und automatisch kuppelt. Diese Aufgabe übernimmt der Prototyp, in dem er aus einer Grube in die Arbeitsposition fährt und das ankommende Zugmaterial quasi „auffängt“ und sichert. Im ungleich größeren EU-Projekt „TRANS4M-R”, das bis 2026 läuft und dem inklusive der FH OÖ 77 Partner aus dem gesamten Eisenbahnsektor angehören, soll der Preparator soweit weiter entwickelt werden, dass er im Nachfolgeprojekt auch in einen realen Abrollberg eingebaut werden kann.
Schneller und mit weniger Personal
In der Praxis werden die Waggons dann über die DAK gekuppelt sowie mit Luft und elektrischer Energie versorgt. Die Datenleitung ermöglicht eine Überprüfung, ob alle geplanten Waggons vorhanden sind, worauf die Bremsprobe durchgeführt wird. Der Preparator versenkt sich, die Lok kuppelt an und der Zug kann wegfahren. Dadurch sei es möglich, die Prozesse zu beschleunigen und „nicht immer personallos, aber personalarm abzuwickeln“ – eine mögliche Antwort auf Engpässe bei den Arbeitskräften, die sich bereits abzeichnen würden. „Innerhalb des Verschiebebahnhofs will man ohne Personal auskommen und außerhalb mit einer Person. Das ist das Ziel“, so Stadlmann.
Ein erster Demonstrationszug mit DAK fährt in Schweden, für kommendes Jahr sind weitere in Italien, Deutschland und Österreich geplant. Im Jahr 2027 sollen Pilotzüge bereits kommerziell betrieben werden, gibt Stadlmann einen Ausblick. Die große Frage sei, wie man letztendlich 400.000 Waggons und 15.000 Lokomotiven umbaut, angesichts der Tatsache, dass die DAK und die alten Schraubenkupplungen nicht kompatibel sind. “Eine so große Zahl von Waggons europaweit in einer sehr kurzen Zeit umzurüsten, ist eine große Herausforderung“, verweist der Experte, der die Forschungsgruppe Bahnautomatisierung in Wels leitet, auf verschiedene Bauarten und ein sehr unterschiedliches Alter der langlebigen Waggons.
Umstellung dürfte teuer kommen
Für die frühestens ab 2030 erfolgende Umstellung bedürfe es entsprechender Förderungen. „Die Bahn ist ein komplexes System mit verschiedenen Stakeholdern. Müssten die Wagenbesitzer die Kosten tragen, um der Infrastruktur den Betrieb zu vereinfachen?“, umreißt der FH-Professor die Problemlage. Zu überlegen sei auch, wie ausreichend Kapazitäten in den Werkstätten für die Umrüstung aufgebaut werden könnten.
„Die Bahn hat das Potenzial, große Gütermengen zu transportieren, aber sie muss automatisieren, digitalisieren und sich organisatorisch gut aufstellen. Und die Politik muss die Rahmenbedingungen in der Verkehrspolitik schaffen“, fordert der Forscher einen fairen Wettbewerb. Es gelte, die organisatorischen und technischen Schwächen sowie die Fragmentierung des Bahnsystems zu überwinden, „aber es gibt natürlich viele Widerstände, das zu ändern“.
Service: Projekt „DACIO“, Projekt „TRANS4M-R”, Video zu Preparator: https://www.youtube.com/watch?v=SnFR-JZBdMY
