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Mehr zum Thema / Mario Wasserfaller / Donnerstag 03.03.22

David Nutt: „Mushrooms sind gekommen um zu bleiben“

Der britische Neuropsychopharmakologe David Nutt hat nach eigener Aussage im Rahmen seiner Forschung mehr Arten von Drogen an Menschen verabreicht als irgendjemand sonst. Er gilt als einer der größten Koryphäen in der Drogenforschung und für ihn ist klar: Psychedelika sind nicht nur sicher und können gegen Depressionen oder Traumata helfen, sie sind auch zentral beim Verstehen der Gehirnfunktionen.
Foto: Imperial College London

Auf seinem wissenschaftlichen Konto stehen mehr als 400 Publikationen, eine ähnliche Anzahl an Gutachten und Buchkapiteln, acht Regierungsberichte und 27 Bücher. Mit seiner Meinung, dass Drogenpolitik mit Evidenz oft wenig zu tun hat, nahm er sich nie ein Blatt vor den Mund. Als Drogenbeauftragter der britischen Regierung (1998 bis 2009) legte er etwa eine Studie vor, in der er die Risiken von Ecstasy und dem britischen Nationalsport Reitsport verglich. Fazit: Reitsport ist wesentlich gefährlicher. Seinen Job als „Drogenzar“ kostete ihn aber schließlich die Bejahung der Frage „Sie sagen also ernsthaft, dass LSD weniger gefährlich ist als Alkohol?“ in einem TV-Interview.

Sein Ziel einer wissensbasierten Drogendebatte verfolgte er unbeirrt weiter. Nutt gründete das „Independent Scientific Committee on Drugs“ (DrugScience) und erstellte mit seinem Team ein Klassifizierungssystem für die Gefährlichkeit von Drogen, das 16 Kriterien mit unterschiedlichem Gewicht einschließt – von der Gefahr, an der Droge zu sterben bis zum Risiko, andere zu verletzen oder Eigentum zu verlieren. In dem Ranking kommt Alkohol mit Abstand am schlechtesten weg, gefolgt von Heroin. An der letzten Stelle, mit dem geringsten Risiko: Magic Mushrooms. Seine Methode wurde später auch von unabhängigen europäischen Drogenexperten getestet und bestätigt.

Foto: Imperial College London
Vielversprechendes Psilocybin

Die Zauberpilze sind es auch, auf die sich sein Forschungsfokus hauptsächlich richten sollte. Unter seiner Mitwirkung als Professor für Neuropsychopharmakologie am Imperial College in London wurden bis dato allein 37 Publikationen über Psilocybin veröffentlicht, dazu noch 18 über LSD und 4 über DMT. Dabei untersucht er sowohl den therapeutischen Nutzen, als auch mit bildgebenden Verfahren die Wirkungsweise der Substanzen im Gehirn.

 

Psilocybin ist für ihn vor allem bei der Behandlung nicht therapierbarer Depressionen vielversprechend. In klinischen Studien am Imperial College zeigte sich, dass schon eine einzelne Dosis bei Patienten auch noch nach mehreren Monaten eine dauerhafte Besserung einstellte. Weitere Anwendungsgebiete ergeben sich für Magersucht, bei Ängsten am Lebensende, oder Suchtkrankheiten.

Im Gespräch mit APA-Science erklärt Nutt, was Alfred Hofmann mit seiner Berufsentscheidung zu tun hat, warum Österreich und Deutschland möglicherweise in der Psychedelika-Forschung hinterherhinken und wohin die Reise in der Psychedelika-Forschung geht.

Zwar regional unterschiedlich – in den USA mehr, in Europa weniger, bzw. in Österreich bisher noch kaum -, ist in die Psychedelika-Forschung in den letzten Jahren viel Schwung gekommen. Was hat diese Renaissance ausgelöst?

Es ist definitiv eine aufregende Zeit. Es ist eine Revolution. Ich denke es gibt zwei Einflussfaktoren dafür. Erstens unsere neurowissenschaftliche Forschung: Zu zeigen, dass man den psychedelischen Zustand als eine massiv veränderte Form der Gehirnfunktion verstehen kann. Es waren diese Beobachtungen einer konsistenten, begreifbaren Veränderung, die wir Entropie im Gehirn nennen, unter Psilocybin, DMT, LSD, die uns dann zu klinischen Behandlungen geführt hat. Ich bin in die Behandlung von Depressionen und anderen (mentalen) Störungen mit Psychedelika gegangen, weil es aus neurowissenschaftlicher Sicht Sinn macht. Unsere Forschung wurde von der Neurowissenschaft angetrieben.

In den Vereinigten Staaten ist es ein wenig anders. Die Gruppe an der Johns Hopkins Universität, speziell Roland Griffiths und sein Team, sind von einem anderen Ausgangspunkt gestartet, als sie Mitte der 2000er psychedelische Psychotherapie mit nicht psychisch kranken Personen untersuchten. Einfach um eine systematischere Handhabe auf den Prozess der psychedelischen Psychotherapie zu bekommen. Sie konnten zeigen, dass man Verbesserungen im Wohlbefinden erreichen kann.

Wir arbeiten wie Griffiths Team, indem wir die gleichen Dosierungen in unserer klinischen Forschung verwenden. Es gibt also quasi diese parallele Schiene. Sie sind von der Annahme ausgegangen, dass Psychedelika therapeutisch wirken, was sich bewahrheitet hat. Wir sind über die Neurowissenschaft zur Therapie gekommen. Jetzt haben wir dieses riesige Paket an klinischen Studien der beiden Teams mit der neurowissenschaftlichen Untermauerung, die zeigt, dass es eine Rechtfertigung dafür gibt, was wir tun und eine Erklärung unserer Ergebnisse.

Würden Sie auch sagen, dass neue technologische Möglichkeiten und die systematischere Herangehensweise der Hauptunterschied zur ersten Welle der psychedelischen Forschung in den 50er- und 60er-Jahren sind?

Der Punkt ist, wir verstehen nun besser, was passiert. Davor war es die Frage, ist es mehr Placebo oder Hysterie, ist es der Glaube an Timothy Leary? In Kürze kommt eine Publikation von uns heraus, in der wir mit Gehirnscans zeigen, dass die Gehirne von Menschen nach einer psychedelischen Behandlung stärker vernetzt sind. Sie sind offener und flexibler auf dem Level der Konnektivität. Wir können eine physiologische Veränderung sechs Monate nach der Behandlung mit Psychedelika nachweisen, die mit einer verbesserten Stimmung korreliert und diese erklärt. Die Wissenschaft ist jetzt definitiv da, das kann man jetzt nicht mehr als irgendeine Hippie-Träumerei abtun.

Sprechen wir dabei von einer einzelnen Dosis Psilocybin?

Wir sprechen von einer einzelnen Dosis. Das Paper kommt in Kürze in „Nature Medicine“ heraus. Es wird einige Aufruhr hervorrufen, weil ich denke, dass erstmals gezeigt wird, wie ein Antidepressivum dauerhafte Effekte im Gehirn auslöst. Psychedelika funktionieren deutlich anders als traditionelle Antidepressiva.

Könnten Sie das noch ein wenig ausführen? Sprechen wir hier vom Ruhezustandsnetzwerk im Gehirn, von dem gesagt wird, dass sich die Aktivität unter Einfluss von Psychedelika reduziert?

Es geht hier mehr um den Prozess der Konnektivität im Gehirn. Ja, Psychedelika brechen das Ruhezustandsnetzwerk (engl. Default Mode Network; Anm.) auf, das ist wahrscheinlich der Grund, warum sie Depressionen beseitigen. Aber die Frage ist, bleibt es (DMN) unterbrochen? Vermutlich ja. Wir haben uns das jetzt nicht spezifisch angeschaut, weil es offensichtlich wieder in den normalen Modus zurückgeht, wenn man aus dem halluzinatorischen Zustand zurückkommt. Aber wir konnten zeigen, dass die Konnektivität im Gehirn für Monate danach verstärkt ist, und dass das tatsächlich mit der kognitiven Flexibilität und der Fähigkeit, Dinge anders zu sehen, einhergeht.  Es korreliert mit der Fähigkeit von depressiven Menschen, dem sogenannten Straßenbahn-Denken zu entkommen – einer repetitiven und grüblerischen Art des Denkens.

Gibt es bestimmte Bereiche im Gehirn die dann stärker vernetzt sind oder findet das im ganzen Gehirn statt?

Es handelt sich um ein globales Phänomen.

Diese Studie hört sich vielversprechend an, ich bin schon gespannt. Sie haben 2016 auch als Erster mit bildgebenden Verfahren das Gehirn unter dem Einfluss von LSD sichtbar gemacht. Waren Sie davon überrascht?

Nein, weil wir das von unserer Arbeit mit Psilocybin vorausgesagt hatten. Es gab keine Annahme dafür, dass das mit LSD anders sein würde. LSD erhöht die Konnektivität im Gehirn während des Trips. Wir nehmen an, das erklärt Phänomene wie neue Einsichten und Glaubenssysteme. Es hat wohl etwas mit außerkörperlichen und spirituellen Erfahrungen zu tun. Wir glauben, dass die beobachteten Gehirnveränderungen mit den psychologischen Berichten übereinstimmen. Wir haben allerdings keine Langzeit-Folgestudie mit LSD gemacht, weil wir keine Förderung dafür bekommen haben.

Aber unsere Arbeit mit Psilocybin weist stark darauf hin, dass man die biologische Basis zu den psychologischen Phänomenen des verbesserten Wohlbefindens und des Gefühls einer verstärkten Verbundenheit mit der Welt zeigen kann. Das ist es auch, worüber viele Menschen im Zusammenhang mit der psychedelischen Erfahrung erzählen, dass man die Welt anders sieht, positiver und alles erscheint bedeutungsvoller und schöner. Sie sind befreit von den Fesseln der Negativität, Feindseligkeit oder Angst, die häufig Teil des normalen Lebens sind.

Klassische Psychedelika wie Psilocybin, LSD, DMT und Meskalin werden heute oft in einem Atemzug mit MDMA und Ketamin genannt. Welche dieser Substanzen sind für Sie für die Forschung am Vielversprechendsten?

Das ist eine großartige Frage. Der Vergleich mit Ketamin ist ein interessanter. Natürlich war Ketamin schon vor der psychedelischen Renaissance da, es gibt gut 20 Jahre Forschung über Ketamin als schnell wirkendes Antidepressivum. Als erstes muss man sagen, dass die Pharmakologie eine sehr unterschiedliche ist. Wenn man aber EEG (Elektroenzephalografie; Anm.), MEG (Magnetoenzephalographie) oder fMRI-( funktionelle Magnetresonanztomographie-)Messungen vornimmt und sich die Hirnkonnektivität während des Trips ansieht, dann sieht alles ziemlich ähnlich aus wie bei Psychedelika. Ich glaube nicht, dass man anhand der Veränderungen und Entropie sagen könnte, welche Droge verabreicht wurde. Ketamin wie auch Psychedelika produzieren tiefgreifende Störungen der kortikalen Synchronizität. Aber die Trips erscheinen auf den Bildern nicht unterschiedlich, und niemand versteht warum das so ist. Die Erfahrungen sind unterschiedlich. Wir können spekulieren warum das so ist, aber wir kennen die Antwort nicht. Aber die langfristigen Effekte sind mit Ketamin viel geringer als mit Psilocybin.

Sie haben sich in Ihrer Forschung hauptsächlich mit Psilocybin beschäftigt. Ist zum Beispiel DMT für Sie weniger interessant?

Nein, wir machen auch klinische Arbeit mit DMT. Das Problem ist, dass man es intravenös geben muss. Wenn man DMT oral nehmen will, verwendet man Ayahuasca. Ayahuasca ist seit Tausenden von Jahren im Umlauf. Wenn man es in kleinen Mengen trinkt, wird man entspannt und glücklich. In etwas größeren Mengen wird man gesellig und engagierter in gemeinschaftlichen Aktivitäten. Ich arbeite mit einem Unternehmen das DMT-Infusionen entwickelt für Menschen, die sich von einem Schlaganfall erholen (Algernon Pharmaceuticals; Anm.). DMT ist nicht intrinsisch halluzinogener als LSD oder Psilocybin. Wenn man jedoch eine große Dosis intravenös verabreicht oder eine große Menge raucht, dann macht die rapid einsetzende Wirkung die Erfahrung sehr profund. Ob DMT als Molekül stärker ist, ist unbekannt. Es könnte einfach eine Frage der Geschwindigkeit des Einsetzens der Wirkung liegen, schwer zu sagen. Manche sagen, dass 5-MeO-DMT (kommt u.a. in den Drüsen der Colorado-Flusskröte vor; Anm.) noch stärker ist.

Aber das Interessante an DMT oder 5-MeO-DMT (5-methoxy-N,N-dimethyltryptamin) ist, dass sie eine sehr, sehr kurze Wirkdauer haben. Wenn wir DMT intravenös verabreichen, hält der Effekt vielleicht sieben bis zehn Minuten an. Wir brauchen also gute zwei Dosen, um genug Zeit für den Gehirnscan zu haben (siehe https://www.nature.com/articles/s41598-019-51974-4). Aber diese sieben Minuten sind ziemlich kraftvoll.

Ob dieser kurze Schub gleich effektiv bei Depressionen wirkt wie die Psilocybin-Wirkung von drei oder vier Stunden, ist eine interessante Frage, die recht unterschiedlich untersucht wird. Ein Ansatz ist natürlich, die DMT-Erfahrung zu verlängern, um zu sehen, ob man einen längeren Trip und somit eine stärkere antidepressive Wirkung erreichen kann. Ähnliche Versuche gibt es bei LSD und Psilocybin, dabei aber in die Richtung, die Wirkdauer jeweils zu verkürzen. Es wird also versucht, einen ökonomischen oder kommerziellen Vorteil daraus zu ziehen, die optimale Wirkungsdauer vorherzubestimmen. Es ist gut möglich, dass ein 10-minütiger „Schlag” von DMT Aspekte der Depression zurücksetzt, genauso wie der fünfstündige Psilocybin-Trip – die Zukunft wird es zeigen.

Welche Substanz wird als erstes auf dem Markt sein?

Psilocybin. Oregon (Bundesstaat der USA) hat Zauberpilze legalisiert, und sie werden dort eine Therapie mit Mushrooms innerhalb von zwei Jahren haben. Es gibt Experten- und Therapiegruppen, die sich heute in Oregon mit den entsprechenden Einrichtungen schon darauf vorbereiten. Mushrooms sind gekommen um zu bleiben. Sie hätten nie gehen sollen, aber sie sind definitiv großartig.

Warum wir hauptsächlich mit Psilocybin arbeiten ist, weil es sehr sicher ist. David Nutt

Was sind die größten Vorteile von Psilocybin im Vergleich mit LSD oder DMT, warum es auch für so viele Studien herangezogen wird?

Warum wir hauptsächlich mit Psilocybin arbeiten ist, weil es sehr sicher ist. Wir haben sehr viele Daten. Wir haben Psilocybin hunderte Male ohne große Probleme verabreicht. Auch die Tripdauer von vier bis sechs Stunden ist gut. Die Menschen haben genug Zeit, um dorthin zu gehen wo sie sollen, und die Nebeneffekte sind abgesehen von gelegentlichen Kopfschmerzen ziemlich gering. Es ist nicht so verstörend, die Psilocybin-Trips bauen sich langsamer auf, sind daher weniger verstörend. Bei DMT zum Beispiel ist die Geschwindigkeit des Übergangs so groß, dass man innerhalb von zehn Sekunden vom Normalzustand hinauskatapultiert wird. Das ist für viele Leute verstörender als eine allmähliche Lockerung des Bewusstseins, wie es bei einer Psilocybin-Gabe passiert.

Was erzählen Ihnen die Probanden nach einem Psilocybin-Trip? Patienten mit einer Depression sagen Ihnen wohl meistens, dass es ihnen besser geht. Aber berichten sie auch von spirituellen Erfahrungen, wie das etwa in der Studie von Roland Griffiths geschehen ist, der ja gesunde Menschen auf den Trip geschickt hat?

Das ist zurzeit eine wirklich wichtige Frage. Die Antwort ist, dass es sehr variabel ist. Eines ist sicher, man muss keine spirituelle Erfahrung machen, damit es einem besser geht. Andererseits, wenn du eine tiefgehende spirituelle Erfahrung hast, dann trägt das bestimmt dazu bei, weil es psychologisch sehr ermächtigend ist, zu erfahren, dass man Dinge ganz anders sehen kann. Es ist also nicht notwendig aber hilfreich. Das erklärt auch, warum schlechte Trips hilfreich sind, weil sie oft sehr mächtige Erfahrungen sind. Es ist also eine sehr schwierige Frage.

Zweitens sind wir gerade dabei, diese Art von Daten zu analysieren und Evidenz aus unseren klinischen Versuchen zu gewinnen.  Es wird dazu wahrscheinlich  noch mehrere Publikationen geben. Insgesamt denke ich also, es ist hilfreich, aber nicht essenziell.

 

Die Hysterie damals war massiv. Das meiste was über Drogen erzählt wurde, waren Lügen. David Nutt

Welche Mythen über Psychedelika können Sie anhand der heute verfügbaren Daten sofort entkräften?

Wir haben gerade ein Paper veröffentlicht, wo wir uns die Mythen und Hysterie rund um Psychedelika angeschaut haben. Es gab einen systematischen Versuch, Psychedelika zu zerstören, weil man dachte, sie befeuern die Anti-Kriegs-Bewegung. Diese Drogen wurden verboten, einfach weil sie die Art, wie Menschen den Vietnamkrieg und die Regierung sehen, verändert haben. Man konnte die Leute nicht davon abhalten, gegen den Krieg zu sein, aber man konnte ihnen verbieten, Psychedelika zu nehmen. Das war also auch ein symbolischer Akt, wie es historisch oft versucht wurde, um ungewollte Gruppierungen und Meinungen unter Kontrolle zu bringen. Die Hysterie damals war massiv. Das meiste was über Drogen erzählt wurde, waren Lügen. Und viele Geschichten waren ausgedacht oder sie passierten tatsächlich, aber zum Beispiel mit Menschen, denen ohne ihr Wissen LSD in das Getränk gemischt wurde.

Was wir sagen können ist das: In unseren kontrollierten Situationen, jetzt nach über 200 Psilocybin-Gaben – weltweit sind wahrscheinlich viele Tausende Dosen in Forschung oder Therapie verabreicht worden -, ist die Inzidenz von Nebenwirkungen sehr gering und wir hatten keine Psilocybin-Gabe, die wir abbrechen mussten. Wir mussten also nie Rettungsmedikation einsetzen, bei keinem einzigen Patienten.

Depressive Menschen haben tendenziell viel schwierigere Trips, düsterer und dunkler als nicht-depressive. Das kommt nicht überraschend, weil ihr Gehirn einfach in einem dunkleren Zustand ist. Bei LSD mussten wir einmal eine Rettungsmedikation bei einer Scanner-Untersuchung vornehmen. Scanner sind ziemlich unangenehme Orte. Außerhalb des Scanners hat es nie Probleme gegeben.

Wir fanden auch keine Hinweise auf eine anhaltende sogenannte HPPD (Hallucinogen Persisting Perception Disorder). Einige Probanden sagten, dass sie danach eine Art Flackern an der Seite ihrer Augen hatten, was aber von kurzer Dauer und nicht störend war. Wir haben also keine größeren Probleme festgestellt, was nicht heißt, dass es keine geben wird. Menschen mit einer psychotischen Vorgeschichte wurden sämtlich ausgeschlossen. Ich denke, wenn die Psychedelika vorsichtig unter ärztlicher und therapeutischer Aufsicht angewendet werden, sind sie sehr wirksame  Medikamente -bestimmt sicherer als Opiate.

Um es zusammenzufassen, die grundlegenden Indikationen sind immer noch Depressionen, Angst vor dem Lebensende oder Suchtbehandlung. Eröffnen sich noch andere potenzielle Anwendungsgebiete?

Es passiert gerade in vielen Richtungen etwas. Wo sind wir derzeit? Also wir haben diese Depressionsstudie durchgeführt, wo wir Psilocybin mit Escitalopram verglichen haben, einem der Goldstandard-SSRIs. Psilocybin hat sich sehr gut geschlagen. Wir machen zum Beispiel auch eine Magersucht-Studie (Anorexia nervosa). International sind auch Studien über Zwangsstörungen (Obsessive-Compulsive Disorder, OCD) geplant und es gibt Suchtstudien, eine zum Rauchen und eine zum Alkoholkonsum, beide zeigten positive Auswirkungen. Wir setzen auch eine Studie für Menschen mit chronischen Schmerzen auf. Und dann gibt es die Angst am Lebensende. Ich weiß nicht, ob da weitere Studien laufen, weil das Problem mit dem Lebensende darin besteht, dass die Arzneimittelaufsichtsbehörden gesagt haben, dass Sterben keine Krankheit ist. Sie sagen: Du kriegst keine Lizenz fürs Sterben. Das ist keine Diagnose, das ist ein Ergebnis. Ich meine, es ist irgendwie verdammt erbärmlich, oder?

Sie haben ja auch Ihr ganz eigenes Verhältnis mit Regulierungsbehörden und Politik, oder?

Das habe ich ganz bestimmt. Sie haben in ihrer ersten Frage angedeutet, dass sich in Österreich noch kaum etwas in der Psychedelics-Forschung getan hat. Warum das so ist? Weil sich Deutschland nicht bewegt hat. Ich weiß, es ist ein bisschen klischeehaft, aber die Deutschen sind wirklich „Regelbefolger“. Ich denke, die Österreicher haben ein bisschen was davon.

Die einzige Person, von der ich denke, dass sie mehr über dieses Gebiet weiß als ich, ist Torsten Passie. Wenn ich zu jemandem gehen müsste, der mir hilft, die Geschichte der psychedelischen Therapie zu verstehen, ist es er. Er ist, glaube ich, der größte Experte der Welt. Er ist Deutscher und er versucht seit fast 40 Jahren die Erlaubnis zu bekommen, psychedelische Forschung in Deutschland zu betreiben. Und die Behörden sagen, Sie können keine psychedelische Forschung betreiben, weil Sie kein GMP-Psilocybin oder -LSD erhalten können, und wir können es auch nicht. Unsere Regulierungsbehörde hat uns jedoch, wie auch Schweizer Aufsichtsbehörden, erlaubt, nicht GMP-Material für einige Forschungen zu verwenden.

Können Sie das System der GMP kurz erklären in dem Zusammenhang?

GMP steht für gute Herstellungspraxis (siehe dazu auch „Psychedelika in klinischen Tests – bitte warten!“). In Deutschland kann man also nichts verabreichen, das nicht GMP-zertifiziert ist. das nicht durch gute Herstellungspraktiken hergestellt wurde. GMP ist eine regulatorische Einschränkung, die so repressiv ist, dass niemand die Auflagen für experimentelle Medikamente einhalten kann. Die einzigen, die sich GMP leisten können, sind Pharmaunternehmen, da GMP die Kosten um das Drei- bis Zehnfache erhöht.  Es wurde damals eingeführt, um die Welt vor Rinderwahnsinn und vor der versehentlichen Einnahme eines Prions zu schützen.

Die Schweizer sind so gut bei Pharmazeutika, weil sie kein GMP benötigen, bis man sie Patienten gibt. Alles was es davor braucht, ist die Zustimmung der Probanden: Stimmen Sie zu, es zu nehmen, ja oder nein? Sobald Sie ein Patient sind, ist die Richtlinie anders. Die Schweizer beschleunigen also die Forschung und sind viel aufgeschlossener. Die Behörden erlauben ihnen jetzt klinische Studien mit GMP-freien Substanzen wie LSD, weil sie der Meinung sind, dass die Risiken eines Nicht-GMP-Mittels viel geringer sind als das Risiko der Krankheit. Aber ich denke, Österreich und Deutschland wenden diese Vorschriften strikt an, weil die deutschen Aufsichtsbehörden sie erfunden haben.

Im Vereinigten Königreich ist es also ein bisschen einfacher, diese Substanzen zu bekommen?

Ja, wir durften Nicht-GMP-Material für unsere eigenen nichtklinischen Studien oder Studien am Menschen verwenden. Weil die Aufsichtsbehörden sagten, das ist ein wichtiger Wissenschaftszweig. Wir können Experimente machen, und wir haben in den letzten 10 Jahren das Gesicht der Medizin verändert. Torsten und die Deutschen durften das nicht tun. Deshalb seid ihr wirklich so weit zurück.

Was könnten Psychedelika Ihrer Meinung sonst noch für die Gesellschaft im Allgemeinen bewirken?

Lassen Sie uns über Covid sprechen. Psychedelika helfen nicht beim Post-COVID-Syndrom, aber ich denke, sie könnten all jenen Ärzten und Krankenschwestern helfen, die traumatisiert wurden, weil sie ohne die richtigen Waffen an vorderster Front standen. Behandlungen gegen Posttraumatische Belastungsstörungen sind Mist, wir können nur den Schmerz betäuben. Psychedelika könnten diese Behandlungen revolutionieren, wir sollten das also unbedingt beschleunigen, weil es einen enormen Bedarf dafür gibt.

2012 erhielten wir von der britischen Regierung eine Förderung, um Psilocybin bei therapieresistenten Depressionen zu untersuchen. Das Paper dazu ist mein am dritt- oder vierthäufigsten zitierter Artikel, jetzt schon über 600 Mal, es hat das Gesicht der Medizin verändert. Seitdem bekomme ich keinen Zuschuss mehr von meiner Regierung. Ich denke, das liegt zum Teil daran, dass es sich um kontrollierte Drogen handelt, die immer noch als Gefahr gesehen werden. Die meisten Wissenschafter denken, dass es gefährliche Drogen sind, da sie in Schedule One gelistet sind – also süchtig machen. Ich sage: Nein, sie machen nicht süchtig. Und sie sagen: Wie können sie dann Schedule-1 sein? Sie sind Schedule One, weil Leute über die Suchtgefahr gelogen haben. Wir müssen diese Stoffe aus Schedule One rausholen, damit es für die Wissenschaft einfacher wird.

Sie haben jahrzehntelang auf dem Gebiet der Psychedelics geforscht. Stimmt es, dass  Albert Hofmann Ihr Interesse bereits in der Schule geweckt hat?

Das stimmt. Ich höre also von seiner Fahrt mit dem Fahrrad und denke mir: Was für eine tolle Sache. Ich habe mich schon immer für das Gehirn interessiert. Das war das erste Mal, dass ich dachte: Wow, so man kann also die Zeitwahrnehmung beeinflussen. Das heißt, die Zeit muss also eine biologische Basis haben, was wiederum mit Chemikalien zu tun hat, weil Drogen sind Chemikalien. Und das war für mich gewissermaßen die Grundlage dafür, Psychopharmakologe zu werden.

Das zweite, was eine Rolle gespielt hat, war, dass mein Tutor an der Universität einer der Leute war, die GABA (γ-Aminobuttersäure, englisch gamma-Aminobutyric acid, abgekürzt GABA; Anm.) entdeckt haben. GABA ist einer der wichtigsten Neurotransmitter im Gehirn, daher wollte ich ab dem Alter von 18 Jahren über das chemische Gehirn sprechen und habe festgestellt, dass die Art und Weise, die Gehirnchemie zu untersuchen, darin besteht, andere Chemikalien wie Drogen zu verwenden. Und meiner Meinung nach sind Drogen absolut zentral für das Verständnis der Gehirnfunktion. Wie ich schon oft gesagt habe: Ich habe mehr Arten von Drogen an Menschen gegeben als irgendjemand jemals in der Geschichte. Dadurch haben wir viel über das Gehirn gelernt.

Sie blicken auf jahrzehntelange Forschung und zurück. Was kommt aufs „Greatest Hits”-Album?

Ich habe zwei absolut wegweisende Entdeckungen in meinem Leben gemacht. Die erste bestand darin, in den 1980er-Jahren die Anti-Benzodiazepine zu entdecken, den inversen Agonisten am GABA-Rezeptor: Wie man also das Gehirn abschalten kann. Anti-Benzodiazepine haben das Verständnis der Regulation der Gehirnerregbarkeit völlig revolutioniert.. Und schließlich die Entdeckung, wie Psychedelika das Gehirn verändern.

Sie sind fast 72 und könnten schon längst die Pension genießen. Was hält Sie bei der Arbeit?

Ich muss es tun. Es gibt noch so viel zu lernen.

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