Die Bio-Alternativen zu Erdgas
Erdgas (Methan) steckt nicht nur in uralten Lagerstätten tief unter der Erdoberfläche – und zwar oft in Ländern mit zweifelhaften Regierungsmethoden –, sondern lässt sich auch aus Biomüll, Klärwasser und nicht essbaren Pflanzenresten je nach Bedarf herstellen. Das hat viele Vorteile, erklären Experten: Biogas ist im Prinzip klimaneutral, weil bei der Verwertung nur jene Kohlenstoffmengen freigesetzt werden, die wenige Zeit zuvor von den Pflanzen aus der Atmosphäre gebunden wurden.
Freilich kommt noch ein CO2-Fußabdruck durch Herstellung, Transport und Ähnliches dazu, doch dies ist bei allen erneuerbaren Energieträgern und -quellen der Fall. Es kann lokal in Österreich, im Bundesland und in der Gemeinde produziert und gleich dort genutzt werden. Biogas kann sogleich mit Blockheizkraftwerken (BHKWs) zur Strom- und Nahwärme-Erzeugung verwendet oder in „edleres“ Biomethan aufgereinigt werden. Dieses ist zur Einspeisung in das lokale Gasnetz geeignet, weil es chemisch praktisch identisch mit Erdgas ist, das Europa etwa aus Russland und Zentralasien bezieht. Damit lassen sich auch PWK und LKW betreiben, Biomethan ist demnach eine klimaneutrale Alternative zur Wasserstoff- und Batterie-elektrisch angetriebenen Mobilität.
Es lässt sich aber bei weitem nicht so viel Biomethan herstellen, wie normalerweise Erdgas durch die Pipelines nach Europa strömt. Außerdem ist seine Herstellung teurer, als es einfach aus dem Untergrund strömen zu lassen, zumindest in Friedenszeiten: Der Krieg Russlands in der Ukraine hat die Preise für Erdgas allerdings auf ein ähnliches Niveau wie jenes von Biomethan steigen lassen.
Erzeugungsmöglichkeiten
Biogas wird von Mikroben erzeugt, indem sie organische Substanzen abbauen. Durch den Abbau von Bioabfall, Speiseresten, Gülle, Mist, Gras, Holz, Mais oder Zuckerrüben gewinnen sie Energie, und zwar mit „anaeroben Stoffwechselwegen“, die unter Ausschluss von Sauerstoff ablaufen. Biogas ist vonseiten der Mikroben quasi ein Abfallprodukt, das sie ausscheiden. Es besteht je nach den verwendeten Ausgangsmaterialien vor allem aus unterschiedlichen Anteilen von Methan und Kohlendioxid (CO2), erklärt Andreas Wagner vom Institut für Mikrobiologie der Universität Innsbruck. Bei Glukose (Traubenzucker) und Acetat entstehen zum Beispiel 50 Prozent Methan und 50 Prozent CO2, bei Glycerin sind es zirka 58 Prozent Methan und 42 Prozent CO2. Methan ist wertvoll, weil es energetisch gut nutzbar ist, CO2 wird in der Regel durch Membransysteme technisch abgetrennt. Derzeit wird CO2 meist einfach „in die Luft geblasen“. Einerseits ist das harmlos, weil es keine größeren Mengen sind, als zuvor von den Pflanzen aufgenommen und gespeichert wurden. Um den Klimawandel zu bremsen, ist es freilich trotzdem sinnvoll, so wenig CO2 wie möglich in die Atmosphäre zu befördern und das entstehende CO2 zu nutzen. Durch biologische Systeme ist es möglich, mithilfe von Wasserstoff-Beigabe anfallendes CO2 durch sogenanntes Upgrading teilweise auch noch in Methan umzuwandeln, so Wagner.
Eine andere Verwendung haben die Betreiber der Biogasanlage Energieversorgung Margarethen am Moos (EVM) gefunden. Sie leitet das Gas in die Glashäuser der nahe gelegenen Firma Red Tomatoes, wo die Pflanzen es aufnehmen, durch Photosynthese fixieren und in Biomasse umwandeln, berichtet Geschäftsführer Stefan Malaschofsky.
Biogas in „fossiler Qualität“
Durch die Ausgangsstoffe und die Herstellungsprozesse bedingt, ist also der maximale Anteil von Methan im Biogas vor einem möglichen Upgrading 60 bis 65 Prozent, der Rest ist größtenteils CO2, das technisch abgetrennt wird, genauso wie die giftigen Substanzen Schwefelwasserstoff und Ammoniak, die ebenfalls während des Abbauprozesses entstehen können. Außerdem muss Biogas „getrocknet“, der darin enthaltene Wasserdampf also entzogen werden. Ist das größtenteils passiert und hat das restliche Biomethan eine Reinheit von 98 bis 99 Prozent erreicht, dann ist es qualitativ mindestens gleichwertig mit fossilem Erdgas, so die Experten. Dann darf man es „Renewable Natural Gas (RNG)“ nennen und es unter anderem ins gewöhnliche Erdgasnetz einspeisen. „Der Erdgasnetzbetreiber macht eine Qualitätskontrolle. Wenn da etwas nicht passen würde, würde er den Hahn zudrehen und nichts mehr hinein lassen“, erklärt Malaschofsky. Chemisch und physikalisch gesehen sei RNG weitgehend identisch mit Erdgas. „Es ist ein bisschen sauberer, weil keine fossilen Bestandteile enthalten sind“, so Malaschofsky. „Für die Industrie ist RNG voll tauglich, ebenso zum Heizen, und natürlich auch für die Mobilität mit Erdgasfahrzeugen“, sagt Wagner: „Die technische Aufreinigung ist ein Prozess, der ganz gut funktioniert.“
Die Verwendung von gemeinem Biogas
Es ist aber nicht immer nötig, RNG herzustellen, man kann Rohbiogas auch verstromen, also die darin enthaltene Energie durch Verbrennung in elektrischen Strom umwandeln. Allerdings sollte das Biogas zuvor entschwefelt werden. „Schwefelwasserstoff ist schlecht für Elektromotoren, man sollte diesen unbedingt vorher entfernen“, erklärt Wagner.
Besonders effektiv genutzt wird es in Blockheizkraftwerken (BHKWs). Hier kann man den Strom in den eigenen Anlagen nutzen oder in das Netz einspeisen, und zusätzlich die beim Verstromen entstehende Abwärme als Nahwärme zur Heizung von Gebäuden oder Wasser verwenden. „Die Wärme fällt als Nebenprodukt bei der Stromerzeugung in einem BHKW an, bei der ein Verbrennungsmotor einen Generator antreibt, der Bewegungsenergie in elektrische Energie umwandelt“, so Malaschofsky. BHKWs wie an der Biogasanlage der EVM arbeiten mit hohen Wirkungsgraden von 90 bis 95 Prozent, sprich, von der im Ausgangsmaterial gespeicherten Energie werden mehr als 90 Prozent in „brauchbare Energie“, also elektrischen Strom und Nahwärme umgewandelt. Theoretisch arbeitet es Treibhausgas-neutral, weil nicht mehr CO2 freigesetzt wird, als zuvor in den Pflanzen in diversen Kohlenstoffverbindungen gespeichert war. In der Praxis kommen freilich diverse Emissionen dazu, etwa durch Transport, die Errichtung der Infrastruktur, seltene Reparaturen und den Betrieb.
Ausgangsmaterialien
Mögliche Ausgangsmaterialien für die Biogasproduktion sind praktisch alle biologischen Stoffe, wie Biomüll, Speisereste, Gülle, Klärschlamm, und nachwachsende Rohstoffe (NaWaRo), also Pflanzenreste aus der Abfallwirtschaft, sowie landwirtschaftliche Produkte wie Zuckerrüben, Mais oder Korn selbst. „Es macht definitiv aber nur Sinn, Stoffe aus Abfallströmen zu verwenden“, sagt Malaschofsky. Tabu sollten sämtliche von Tieren oder Menschen verzehrbaren Pflanzenteile sein, also alles, was als Futter oder Nahrungsmittel verspeist werden kann. Alles andere wäre ein Widerspruch zum nachhaltigen Betrieb. Außerdem sollten die Rohstoffe aus der unmittelbaren Umgebung stammen, meint er: „Es wäre verrückt, Biogasanlagen zum Beispiel mit südamerikanischen Rohstoffen zu betreiben, da wäre ich absolut nicht dafür.“
Licht in der „Black Box“
Ein wichtiges Thema in der Forschung ist, den Herstellungsprozess so effektiv und prozesssicher wie möglich zu gestalten. Ziel sei es, die Abbaukinetiken (Abbau-Mechanismen und -Abfolgen) so gut zu verstehen, dass man sie beeinflussen und die Entstehung von Hemmstoffen vermeiden sowie die Methan-Ausbeute vergrößern kann, berichtet Wagner: „Wir beschäftigen uns zum Beispiel mit Störstoffen wie Ammonium, aus dem schließlich der schädliche Ammoniak entsteht.“ Ein weiteres „Problemkind“ können ringförmige (aromatische) Kohlenstoffverbindungen sein. „Man hat auch lange geglaubt, dass Kohlenstoff in Aromaten unter Sauerstoff-freien Bedingungen nicht aufgeschlossen werden kann, aber es wurde mittlerweile sehr sauber gezeigt, dass dies durchaus möglich ist“, sagt er.
Solche Verbindungen stammen sehr oft vom Holzbestandteil Lignin. „Wenn man Bioabfälle vergärt, werden oft zusätzlich Strauch- und Baumschnittreste zugegeben, weil dies den Prozess positiv beeinflusst, indem sie etwa für die Reaktionen förderliche Oberflächenstrukturen bereitstellen“, so der Forscher. Die Ligninkomponenten haben einerseits viel Kohlenstoff gespeichert. Andererseits sind sie mit ihren aromatischen Strukturen schwer verdaulich für die Mikroorganismen. „Wir sehen uns also genauer an, wie viel Lignin man zusetzen kann, und welche Bedingungen für den Abbau optimal sind“, erklärt er: „Unter anderem interessiert uns, welche Organismen es sind, die den aromatischen Ring unter anaeroben Bedingungen (Anm.: ohne Sauerstoff) aufschließen können.“ Diese könnte man schließlich in Zukunft so einsetzen, dass der im Holz gespeicherte Kohlenstoff effizienter genutzt wird.
Resteverwertung
Wie intensiv man einen Rohstoff verwertet sei aber ein zweischneidiges Schwert, meint Wagner: „Die Reststoffe der Biogasproduktion sind in der Regel sehr gut als Dünger geeignet, weil sie bei niedrigem Kohlenstoffgehalt gute Stickstoff- und Phosphorwerte haben. Das ist auch ein riesiger Vorteil von Biogas-Anlagen“, sagt er: „Es muss also immer in einer Balance stehen, wie gut man das Substrat verwertet, damit es dann trotzdem noch wirtschaftlich gut nutzbar ist.“
Mengenhaftes Potenzial
In Zeiten der Lieferunsicherheiten von Erdgas, und freilich wegen dessen Klimaschädlichkeit wäre es sinnvoll, so viel wie möglich davon durch Biomethan zu ersetzen. „Den heutigen Verbrauch in Österreich, sprich 100 Terawattstunden im Jahr, könnte man meiner Meinung nach nicht komplett mit Biogas ersetzen“, erklärt Malaschofsky: „Wir alle wissen aber ohnehin, dass die sinnvollste Klimaschutzmaßnahme wäre, Energie einzusparen.“ Reduzierte man wie geplant (oder immerhin gewünscht) den Gasverbrauch hierzulande um die Hälfte, bräuchte man „nur“ mehr 50 Terawattstunden Energie. „Dann schaut die Sache schon ganz anders aus“, meint er: „Wenn man, was ich für realistisch halte, 20 Terawattstunden mit grünem Gas machen könnte, wären das schon 40 Prozent der Gesamtmenge.“ Laut Studien wären sogar 40 Terawattstunden möglich, allerdings erst mit zukünftigen Technologien und mit massiver „Holzvergasung“. „Das ist technisch allerdings noch nicht ganz ausgereift“, so Malaschofsky.
Ungefördert
Alles andere als ausgereift mutet auch die Förderung für „grünes“, also mehr oder weniger klimaneutrales Biogas in Österreich an. Anders als zum Beispiel im Nachbarstaat Deutschland gibt es nämlich keine, erklärt Malaschofsky: „Die Biogasszene hat in Österreich fast ausschließlich davon gelebt, Ökostrom zu produzieren, denn dieser war gefördert. Mittlerweile wurde die Ökostrompauschale allerdings vom Staat gestrichen, weil die Strompreise am Markt schon höher waren als die geförderten Tarife.“ Die zweite ökonomische Schiene für Biogas ist die Aufbereitung als Biomethan für die Einspeisung ins Gasnetz. „In Deutschland gibt es eigene Einspeistarife für Biomethan, aber das wollte man in Österreich bewusst nicht“, so der Experte. Sprich: Es gibt in Österreich keine direkte Förderung, um Biogas als klimafreundlichere und autarke Alternative zu Erdgas zu etablieren. „Das hat meiner Meinung nach damit zu tun, dass eine politische Partei mit der grünen Farbe im Namen grundsätzlich gegen Gas ist und Angst hat, dass über die Hintertüre der Förderung des grünen Gases das fossile Gas weiter genutzt wird“, sagt er: „Vor wenigen Tagen sagte aber erstmalig die Frau Bundesministerin Leonore Gewessler, man müsse Biogas fördern, dies habe ich vorher noch nicht gehört.“ Die aktuelle politische Situation in der Ukraine sorgte hier möglicherweise für ein Umdenken.
Von früheren Regierungen ohne grüne Beteiligung habe es schon Ankündigungen zum Forcieren von Biogas gegeben, und zwar anno 2010, als man sich im Regierungsprogramm vornahm, bis Ende 2020 nicht nur 250.000 Elektrofahrzeuge auf die Straße zu bringen, sondern, „man höre und staune“, auch 200.000 CNG-Fahrzeuge (Vehikel, die mit flüssigem weil komprimiertem Erdgas – „Compressed Natural Gas“ – betrieben werden) bei einer Biomethan-Beimischungsverpflichtung von 20 Prozent, erklärt Malaschofsky. Das Ziel wurde nicht nur bei Elektroautos deutlich verfehlt: Statistik Austria berichtet von einem Bestand von 85.857 rein elektrisch betriebenen PKWs in Österreich im April 2022, was 1,7 Prozent des gesamt-Bestandes entspricht. Sondern mit laut Statistik Austria 5.390 gasbetriebenen PKW gibt es gerade einmal ein Vierzigstel der geforderten Anzahl.
In Österreich minimal ausgereizt
Das Resultat der fehlenden Unterstützung und der bisher niedrigen Strompreise ist, dass mittlerweile viele sehr kleine Biogas-Produzenten wieder zusperrten, weil der Betrieb ökonomisch keinen Sinn machte, berichten die Experten. „Die Biogasproduktion wurde dem Tod geweiht, weil keine Unterstützung gekommen ist“, sagt Malaschofsky. Einst gab es knapp 380 Biogas-Anlagen in Österreich, heute sind es zirka 300. „Wir sind jetzt auch am Ende der Strompreisförderung, deshalb wird es bald wohl weitere Industrieruinen geben, was ich nicht für sinnvoll halte“, meint er. Ausgereizt ist die Biogasproduktion in Österreich daher minimal. Man könnte dies auch umgekehrt formulieren: Es gibt ein großes Potenzial, dass mehr Biogas ins Netz kommt. Das wäre von Seiten des Klimaschutzes wie der Energie-Eigenständigkeit aus Sicht der Experten wünschenswert. Förderlich dafür könnte sein, dass durch das allgemeine Steigen der Gaspreise wegen des Krieges in der Ukraine die Tarife von Erdgas ein Niveau erreicht haben, bei denen Biogas mithalten kann. Dessen Produktion ist normalerweise teurer als der Bezug von einst billigem, russischem Gas. Freilich sieht die Sache ganz anders aus, wenn man die Umwelt-Folgekosten einberechnen würde. „Nun bekommen wir aber, was wir uns in den vergangenen Jahren schon gewünscht hätten, nämlich einen vernünftigen Preis für unser Produkt“, berichtet Malaschofsky.