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Illegale Gen-Erdäpfel leiteten 1996 Gentechnik-Aus in Österreich ein

Am 1. Jänner 1995 war es soweit, der Ende 1992 zu Begutachtung eingebrachte Entwurf für ein - aus heutiger Sicht sehr liberales - Gentechnikgesetz (GGT) trat in Kraft, das unter anderem den Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen (GVO) regelte. 1996 gab es den ersten Antrag für einen Freilandversuch einer Gen-Pflanze in Österreich - und mit der kommerziellen Vermarktung des GVO-Soja Roundup Ready kam die "Gen-oder-Nicht-Gen-Debatte" in Fahrt.
APA (HANS PUNZ/THEMENBILD) Zweijähriges Moratorium für Freisetzung von GVO folgte

Das österreichische Gentechnikgesetz beinhaltete neben GVO auch die Anwendung von Genanalyse und Gentherapie am Menschen, der zuständige Gesundheitsminister Michael Ausserwinkler (SPÖ) sah darin beim Beschluss im Jahr 1994 „weder ein Gentechnik-Verhinderungs- noch ein Hurrah-Gesetz“. Arbeiten mit gentechnisch veränderten Organismen (GVO) sowie deren Freisetzung solle etwa dann zulässig sein, wenn nach dem Stand von Wissenschaft und Technik keine Gefährdung zu erwarten ist. Schon zu diesem Zeitpunkt kritisierten die Grünen, dass im österreichischen Gesetz nur ein Anmeldeverfahren für gentechnische Verfahren vorgesehen sei, wie auch eine Kennzeichnungspflicht fehle.

Der geplante Freiland-Versuch – das Forschungszentrum Seibersdorf beantragte die Aussaat eines transgenen Erdapfels – stieß dann 1996 auf wenig Gegenliebe. Umwelt-NGOs verlangten im Februar von der neuen SPÖ-Gesundheitsministerin Christa Krammer, dieses Vorhaben doch mit einem negativen Bescheid zu untersagen – und alle künftigen auch. Der zweite Antrag folgte prompt ein Monat darauf, erneut sollte eine Gen-Knolle in den niederösterreichischen Boden gelangen. Es war die Zuckerforschung Tulln, die 2.000 transgene Erdäpfel unter die Erde bringen wollte.

Umweltschutzorganisation argumentierten unter anderem, es gelte auf Bio-Landwirtschaft zu setzen und sich der Gentech-Lobby zu widersetzen. Die heutige SPÖ-Politikerin Uli Sima, damals noch bei Global 2000, sah in der Gentechnik ein „unabschätzbares Risiko“, das aber ebenso verharmlost wie die Atom-Technik werde, wie sie 1996 in der „Kronen-Zeitung“ warnte.

Auch außerhalb Österreichs war 1996 das Jahr, an dem die Gen-Debatte ins mediale Zentrum rücken sollte. Auslöser war die EU-Kommission und ihre Genehmigung des Monsanto-Antrags auf Einfuhr des gentechnisch veränderten Sojas „Round-Up-Ready“ (RRS) – bekannt durch seine Resistenz gegen das Herbizid Glyphosat.

Antrag auf Freisetzung rasch wieder zurückgezogen

In Österreich wandte sich indes Global 2000 erneut an Krammer, nachdem ein Antrag auf Freisetzung von Herbizid-resistentem Mais aus Bad Vöslau in Niederösterreich, erfolgte. Die NGO warnte vor einem „unkontrollierten Transfer und Ausbreitung der mutierten Gene“. Beim Antragsteller würde man zudem im Auftrag der deutschen „Agrevo GmbH“ handeln, einer Tochter der Chemieriesen „Hoechst“ und „Schering“. Schnell wurde der Antrag dann wieder zurückgezogen.

Der große Knall folgte dann im Mai. Da wurde bekannt, dass der zweite Antragsteller ohne Genehmigung seine genmanipulierten Erdäpfel bei Absdorf in Niederösterreich freigesetzt hatte. Eine Strafanzeige gegen die Zuckerforschung Tulln GesmbH, einem Tochterunternehmen der Agrana (Raiffeisenkonzern), war die Folge des durch Global 2000 aufgedeckten Skandals. Wenige Tage später wurden die Feldfrüchte wieder ausgegraben. Die Konsequenzen folgten trotzdem und waren gewaltig: Ressortchefin Christa Krammer verkündete ein zweijähriges Moratorium, solange wurde jeglichem Freisetzen von GVO ein vorläufiges Ende gesetzt: Antragsteller Nummer eins, Seibersdorf, musste ins Glashaus ausweichen.

Dieses Vorgehen sorgte für Kritik: Hermann Katinger, Vorstand des Instituts für angewandte Mikrobiologie an der Universität für Bodenkultur (Boku Wien) fürchtete einen „nicht absehbaren großen wirtschaftlichen Schaden“, die Wirtschaftskammer sah das Gentechnikgesetz mit „äußerstem Befremden“ sozusagen auf Eis gelegt. Die Grünen forderten stattdessen ein Fünfjahres-Moratorium für Gentechnik sowie Österreich als „gentechnikfreie Zone, Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) sah wiederum weder einen Grund, dass Gentechnikgesetz auszusetzen noch einen dafür, es zu ändern.

Auch auf EU-Ebene folgte im Juni ein Moratorium der Umweltminister bezüglich der Zulassung von Gen-Mais , während im Juli in Österreich trotz Moratorium ein weiterer Freisetzungsantrag angekündigt wurde – und zwar von der Zuckerforschung Tulln und ihrem Mutterkonzern Agrana. Im August reagierte dann die Anti-Gentechnik-Fraktion und kündigte ein Volksbegehren für das Frühjahr 1997 an.

US-Frachter mit Soja an Bord gestoppt

Nicht nur in Österreich sondern in vielen EU-Staaten wurde dann im Herbst für ein Importverbot von GVO-Sojabohnen mobil gemacht. Monsanto hatte die Genehmigung von der EU inzwischen zwar erhalten, in Österreich waren jedoch sowohl NGOs wie auch das Umweltministerium für ein Verbot der „Inverkehrbringens“ der „Roundup Ready Soybean“. Damit die Bohne erst gar nicht auf EU-Festland kommen sollte, stoppten Greenpeace-Aktivisten einen US-Frachter mit dem Soja, das laut der Grünen Klubobfrau Madeleine Petrovic zum „Tschernobyl der Gesundheitspolitik“ werden könnte.

„Wie etikettiert man das Schnitzel von einem Tier, das manchmal gentechnisch veränderte Produkte gegessen hat?“, fragte Petrovic damals. Bis heute lautet die Antwort darauf auch in Österreich „gar nicht“, denn rund 96 Prozent der EU-Importe sind aktuell GVO-Soja, rund 80 bis 90 Prozent von geschätzten 500.000 Tonnen an Soja-Nettoimporten landen in Österreich und werden als Sojaschrot-Tierfutter vorwiegend an Mastschweine verfüttert.

Ende 1996 machte sich Österreichs Regierung hingegen für eine Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln stark – selbst im Alleingang solle dieser Plan umgesetzt werden. Soweit sollte es nicht kommen, denn im letzten Moment konnte sich der EU-Trilog auf die sogenannte Novel Food-Verordnung einigen, inklusive einer Kennzeichnungspflicht für neuartige Lebensmittel, die sich nachweislich von herkömmlichen Produkten unterscheiden. Ein Kompromiss, der in Österreich auf wenig Gegenliebe stieß, und infolge als einziges EU-Mitglied gegen diesen stimmte.

1997, dem Jahr der Gentechnikvolksabstimmung, zeigt sich die neu formierte SPÖ-ÖVP-Koalition zunehmend ablehnend der Gentechnik gegenüber. So kündigte etwa SPÖ-Konsumentenschutzministerin Barbara Prammer im Februar – dem Kabinett Vranitzky V war gerade jenes von Viktor Klima (SPÖ) gefolgt – ein vorläufiges Importverbot von Gen-Mais an, Greenpeace warnte indes, dass Futtermittel bereits mit Gentech-Soja „verseucht“ seien. Im Gegenzug hob Ende des Monats der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) in Wien den Bescheid des Gesundheitsministeriums vom Mai 1996 auf, der die Freisetzung der Gen-Erdäpfel in Absdorf (NÖ-Bezirk Tulln) verbot.

„Ja, aber“ zur Gentechnik

Im März stellte die Bundesregierung dann ihr Gentechnik-Positionspapier mit einem „Ja, aber“ zur Gentechnik als Zukunftstechnologie vor – mit Auflagen für Sicherheit, einer Kennzeichnung von Lebens- und Futtermitteln, sowie einer laufend dem Stand des Wissens angepassten Risikobewertung. Dann startete im April das Gentechnik-Volksbegehren mit seinen drei Hauptforderungen: „Kein Essen aus dem Genlabor in Österreich!“, „Keine Freisetzungen genmanipulierter Organismen in Österreich!“ sowie „Kein Patent auf Leben!“: Kurz davor meldete die EU-Kommission ihren Plan, die bisherigen Kennzeichnungsvorschriften doch noch zu verschärfen.

Am 14. April 1997 war die einwöchige Eintragungsfrist zu Ende, über 1.226.551 Österreicher und Österreicherinnen hatten unterschrieben, womit es das zweiterfolgreichste Volksbegehren werden sollte – nur 1982, als das „Konferenzzentrum- Einsparungsgesetz“ gegen die UNO-City gefordert wurde, konnten mehr Wählende mobilisiert werden.

Im April 1998 folgte dann das Gentechnik-Änderungsgesetz von SPÖ und ÖVP, die Opposition kritisierte aber, dass nicht alle Forderungen des Volksbegehrens umgesetzt worden seien. Trotzdem, bis auf die illegalen Erdäpfel wurden in Österreich keine GVO-Pflanzen ausgesetzt. Ein solches nationales Verbot wurde durch die EU-Gesetzgebung ermöglicht. Das österreichische Importverbot für Gen-Mais hielt den EU-Gesetzen hingegen nicht stand. 25 Jahre später steht die EU und somit auch Österreich vor der Debatte mit dem Umgang mit der Neuen Gentechnik (NGT).

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