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Mehr zum Thema / Mario Wasserfaller / Donnerstag 13.10.22

Katastrophenforschung bleibt krisensicher

Mit der steigenden Zahl an Katastrophen aller Art steigt auch der Bedarf, mehr über Desaster, deren Prävention und Bewältigung in Erfahrung zu bringen. Katastrophenforschung beschäftigt sich mit allen Aspekten von Krisen und ist in Österreich im Verein Disaster Research Network Austria (DCNA) gebündelt.
Foto: DCNA Christian Resch (Mitte) bei einem Katastropheneinsatz

„Katastrophenereignisse als Folge von Naturgefahren nehmen auch in Österreich zu und treffen auf eine eher schlecht vorbereitete Gesellschaft“, erklärte DCNA-Geschäftsführer Christian Resch gegenüber APA-Science. Bei den Ereignissen handelte es sich bisher zumeist um Hochwasser oder Überflutungen, nun würden auch Hitzewellen, Dürreperioden und daraus resultierende Waldbrände in das Bewusstsein der Bevölkerung dringen. „Präventionsmaßnahmen werden dennoch nicht oder immer erst sehr spät getroffen“, gibt Resch zu bedenken.

Stärkere Präventionskultur

Es komme laut dem Experten vor allem darauf an, bestehende Risiken zu verringern und neue zu verhindern. Dazu gehöre eine tiefer greifende Stärkung der Präventionskultur, deren Rahmen durch das Sendai-Rahmenprogramm der Vereinten Nationen (siehe Infokasten) und dem Zivilschutzmechanismus der EU bereits vorgegeben sind.

Foto: APA/AFP/NASA
Das Sendai-Rahmenwerk

 

Zur Reduzierung von Katastrophenrisiken verabschiedeten die Vereinten Nationen 2015 das „Sendai Framework for Disaster Risk Reduction“ mit dem Ziel, bis 2030 weltweit Aktionen zur Minimierung des Katastrophenrisikos zu setzen. Das Sendai Rahmenwerk konzentriert sich auf ein umfassendes Risikomanagement und setzt dafür vier Handlungsprioritäten („Sendai Priorities“) fest, darunter die Schaffung eines besseren Verständnisses von Katastrophenrisiken oder die Verbesserung der Katastrophenvorsorge – demzufolge werden Wissenschaft und Forschung eine zentrale Rolle zuteil.

 

Am 10. November 2021 wurde das Wissensnetz formell durch die EU-Kommission eingerichtet. In Österreich ist eine nationale Plattform für die Umsetzung des Rahmenprogramms zuständig.

Unterschiedlicher Vorbereitungsgrad

Neben der für jeden zu beobachtenden Zunahme an Naturdesastern müsse man davon ausgehen, dass wir früher oder später mit einem (Teil-)Ausfall kritischer Versorgungsinfrastruktur konfrontiert sein werden. „Wie gut sich Herr und Frau Österreicher auf Katastrophenfälle vorbereiten, ist derzeit sehr stark davon abhängig, wie alt sie sind und in welcher Region sie leben“, so Resch. Ältere Generationen würden eher dazu neigen, die Speisekammer gut zu füllen, Jüngere dagegen weniger. In der Regel seien auch Haushalte am Land bzw. in Regionen, die zum Beispiel durch Lawinen oder Schneefall öfter von der Außenwelt abgeschnitten werden, besser vorbereitet als jene in der Stadt.

„Aufzeichnungen darüber, wie gut die österreichische Bevölkerung vorbereitet ist, gibt es offiziell nicht. Laut Zivilschutzverband soll das ab dem nächsten Jahr regelmäßig erhoben werden“, erläutert Resch. Unabhängig davon seien die Mittel und Maßnahmen zur Vorbereitung auf Katastrophen immer dieselben, wie etwa die Bundesregierung („Allgemeines zum Selbstschutz im Katastrophenfall“) und der Zivilschutzverband informieren. Generell sei die Versorgungssicherheit in Österreich sehr hoch und auch die Handlungsanweisungen durch einschlägige Behörden und Organisationen klar. Es scheitere aber oft schon daran, sich überhaupt damit auseinanderzusetzen, „was sind die Szenarien, die mich als Person, Haushalt, oder Betrieb betreffen“.

 

"Wie gut sich Herr und Frau Österreicher auf Katastrophenfälle vorbereiten, ist derzeit sehr stark davon abhängig, wie alt sie sind und in welcher Region sie leben.“ Christian Resch, DCNA

Forschung und die Mühen der Ebene

Gleichzeitig mit sich häufiger manifestierenden Naturgefahren nimmt für Resch der Stellenwert der Forschung beständig zu: „Wissenschaft, Forschung und Technologie haben es uns ermöglicht Strategien und Richtlinien anzuwenden, die vor 20 Jahren noch unvorstellbar waren: Dazu gehören ein breiteres und umfassendes Verständnis globaler Systeme und deren Abhängigkeiten, die Katastrophenrisiken verstärken, sowie der Einsatz von Satellitentechnologie für geografische Informationssysteme und Vorhersagemodelle, aber auch sozialwissenschaftliche und psychosoziale Aspekte, wie zum Beispiel Vorbeugung von posttraumatischen Belastungsstörungen.“

Dennoch muss auch die Katastrophenforschung gegen die im europäischen Vergleich laut Eurobarometer überdurchschnittlich ausgeprägte Wissenschaftsskepsis oder zumindest –apathie in Österreich ankämpfen – ein Phänomen, das Resch auch bei Behörden und Einsatzorganisationen ortet. Es zeichne sich ein Gefälle zwischen dem Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse und Innovationen und ihrer Berücksichtigung in der Praxis ab. Dies deute auf ein grundlegendes Vertrauens- und Akzeptanzproblem hin, sowie auf die Notwendigkeit, Strukturen und Strategien entsprechend zu optimieren, um die Vorteile von technischen Assistenzlösungen auch nutzen zu können: „Zur Verbesserung der Ist-Situation müssen technische Lösungen erreicht werden deren Verwendung nicht nur akzeptiert, sondern auch sozial-kulturell verankert ist.“

An dieser Stelle komme auch das DCNA ins Spiel, dessen Arbeit „als aktiver Schritt zur interdisziplinären Vernetzung sowohl innerhalb der wissenschaftlichen Community als auch mit ihren Stakeholdern aus dem öffentlichen und privaten Sektor“ zu sehen sei. Die Vereinigung aller Kompetenzen sei notwendig, um die Gesellschaft weniger verwundbar gegenüber Krisen und Katastrophen zu machen.

Foto: DCNA
Disaster Competence Network Austria

Das Disaster Competence Network Austria (DCNA) ist eine Kooperationsplattform von Universitäten und Forschungseinrichtungen rund um die Sicherheits- und Katastrophenforschung, die 2017 von der Technischen Universität Graz und der Universität für Bodenkultur Wien gegründet wurde und zahlreiche Einrichtungen Österreichs in diesem Bereich umfasst. Ziel des DCNA ist nach eigenen Angaben der Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis sowie die Bereitstellung von Informationen und wissenschaftlich-technischer Infrastruktur für Entscheidungsträger im Katastrophenfall. Die Forschung orientiert sich entlang der Tätigkeitsfelder „Massenbewegungen, Lawinen und Erdbeben“, „Kritische Infrastruktur und Industriegefahren“, „Hochwasser“,  „Extremwetterereignisse“, „Katastrophenrisiko“ und „Public Health“. Konkret hat das DCNA zum Beispiel ein mobiles Mess- und Analyselabor entwickelt, das an den Partneruniversitäten BOKU und TU Graz zur Verfügung steht. Die Forschungsplattform ermöglicht es den Forscherinnen und Forschern des DCNA, ihre Expertise bei Schadensereignissen orts- und zeitnahe einzubringen.

Eigene Wissenschaftsdisziplin

Die langfristige Zielsetzung des DCNA ist es laut Resch, die Katastrophenforschung als eigene Wissenschaftsdisziplin auszubauen. Dazu gehören neben der Vertiefung der Funktion als Vernetzungsplattform die Stärkung und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, zielgruppenspezifische Kommunikationsformate, das Nutzbarmachen wissenschaftlicher Expertise und Infrastruktur zur Unterstützung von Behörden und Einsatzorganisationen – etwa durch die mobile Forschungsplattform des DCNA.

Podcast-Interview mit Christian Resch

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