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Mehr zum Thema / Jochen Stadler / Donnerstag 22.06.23

Kläranlage als Ressourcenquelle

Klimakrise und globaler Ressourcenverbrauch fordern auch ein Umdenken bei der Klärung von Abwasser. Experten unterstreichen die Notwendigkeit, dass Kläranlagen künftig energieautark sein sollten und Abwasser als Ressource zu nutzen ist.
APA (Georg Hochmuth) Man sollte Abwasser eigentlich als wertvolle Ressourcenquelle für Kohlenstoff und Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor sehen

Vor zehn Jahren wähnten wir uns als Weltmeister, weil wir es schaffen, alle Stoffe zu mineralisieren, die im Abwasser sind, und es somit klären“, sagt Thomas Ertl vom Institut für Siedlungswasserbau, Industriewasserwirtschaft und Gewässerschutz der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien. Heute sind die Abwasseringenieure und -Forscher demütiger. „Wir stehen vor der bitteren Wahrheit, dass der Energie- und Ressourceneinsatz nicht mehr leistbar ist“, erklärt er. Angesichts der Klimakrise und der globalen Ressourcenverteilung müsse man komplett auf Kreislaufwirtschaft umstellen. Die Kläranlagen haben in Zukunft energieautark zu sein und Ressourcen zu gewinnen, anstatt sie zu verbrauchen. Außerdem gilt es Problemstoffe aufzufangen, die in kleinsten Mengen umweltschädlich sind, wie Wirkstoffe aus Medikamenten.

Kläranlagen in Österreich

In Österreich gibt es über 27.000 Kläranlagen. Die mit Abstand größte ist die Hauptkläranlage Wien. Sie reinigt die kommunalen Abwässer der Bundeshauptstadt – bei Trockenwetter rund eine halbe Milliarde Liter. 

Abwasser als Ressource

Neben umwelt- und gesundheitsschädlichen Substanzen werden in den Kläranlagen Kohlenstoff und  Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor aufgefangen. „Sie haben in Flüssen, Seen und dem Grundwasser unerwünschte Wirkungen“, so der Experte gegenüber APA-Science. Doch man sollte diese „Verunreinigungen“ eigentlich als wertvolle Ressourcen sehen. Stickstoff wird zum Beispiel für Düngemittel mit energieintensiven Verfahren aus der Luft gewonnen. Man könnte ihn auch in großem Maßstab aus dem Urin im Abwasser isolieren, wie man es aktuell schon punktuell in Systemen von Schutzhütten macht, um die hochalpine Umwelt zu schützen.

Auch Phosphor müsse man in naher Zukunft in großem Ausmaß recyceln. „Er ist eine limitierte Ressource, die man in Europa gar nicht abbauen kann, sondern aus Ländern bezieht, die politisch nicht ganz so stabil sind, wie etwa Russland“, erklärt Ertl. Solches würde auch in naher Zukunft in einer österreichischen Abfallverbrennungsverordnung für mittlere und große Kläranlagen vorgeschrieben. Bei Kohlenstoff wiederum sollte man überlegen ob man ihn nicht einer stofflichen Verwertung zum Beispiel mithilfe einer Bioraffinerie zuführt. Das hätte aber weitreichende Auswirkungen auf die konventionellen Verfahren. 

Vierte Reinigungsstufe – bitte warten

Umweltbiologen zeigten, dass gewisse Substanzen wie Medikamentenrückstände im Urin wie zum Beispiel Hormone und Schmerzmittel für Gewässerlebewesen schädlich sind. In „normalen“ Kläranlagen wird das Wasser zudem nicht desinfiziert, das heißt krankheitserregende Keime passieren sie unbeschädigt. Laut zukünftigen Novellierungen in der erwarteten neuen Kommunalabwasserrichtlinie der EU müssen Kläranlagen mit größerem Einzugsgebiet deshalb in Zukunft eine „4. Reinigungsstufe“ besitzen, um solche Verunreinigungen zu eliminieren, berichtet  Jörg Krampe vom Institut für Wassergüte und Ressourcenmanagement der Technischen Universität (TU) Wien. Das selbe gilt für Anlagen, deren geklärtes Wasser in sensible Gewässer geleitet werden. 

Derzeit werden etwa in der Schweiz und in Teilen Deutschlands die Kläranlagen massiv mit vierten Reinigungsstufen aufgerüstet, so der Experte. In Österreich ist von der Hauptkläranlage Wien bis zu den kleinen Kläranlagen einzelner Gemeinden keine einzige mit einer solchen bestückt. „Es gibt keine rechtlichen Vorschriften dafür, deshalb tut man sich schwer, das Geld der Gebührenzahler dafür auszugeben“, meint Krampe. Der Ausbau würde einiges kosten, die vierte Reinigungsstufe verbraucht viel Energie und Ressourcen, und teils würden die Anlagen gar nicht die Haupteintragspfade der Schadstoffe klären. „Man muss sich wirklich das aufnehmende Gewässer und die Eintragspfade vor Ort jeweils genau ansehen“, sagt der Forscher.

Kläranlage nicht länger als Energiefresser

„Wir müssen auch im Hinterkopf behalten, dass die vierten Reinigungsstufen den Energieverbrauch und CO2-Fußabdruck jeder Kläranlage erheblich steigern werden“, so Krampe. Es gäbe zwei Technologien, die dafür hauptsächlich eingesetzt werden. Erstens die sogenannte Ozonung. „Dabei bricht man die schwer abbaubaren Substanzen mit reaktivem Sauerstoff auf und entfernt sie anschließend mit einem Biofilter“, erklärt er.

Ozon zu generieren ist aber sehr energieintensiv. In einem Forschungsprojekt untersucht er mit seinem Team deshalb, wie man dies effizient vor Ort machen und dabei sogar Wasserstoff zum Veredeln von Biogas gewinnen kann. Wenn grüner Strom im Überschuss vorhanden ist, wollen die Forscher ihn nutzen, um Wasser zu spalten. Den reinen Sauerstoff, der dabei anfällt, könnte man zur Ozonerzeugung nutzen. Wasserstoff würde wiederum mit Biogas „verschnitten“. Dadurch wird das üblicherweise zu 60-65 Prozent aus Methan und zu 35-40 Prozent aus CO2 bestehende Biogas aufgewertet. Aus CO2 und Wasserstoff wird nämlich durch biologische Umwandlungsprozesse ebenfalls Methan, sodass es am Ende 98 Prozent des Gases ausmacht. Dieses könne man in das bestehende Erdgasnetz einspeisen, oder direkt als Energieträger nutzen. „Außerdem reduziert man damit die CO2 Emissionen der Kläranlagen“, sagt Krampe.  

Zweitens kann man bedenkliche Spurenstoffe mithilfe von Aktivkohle abfangen. Die Herstellung von Aktivkohle ist aber ebenfalls energieintensiv. Derzeit wird sie zudem meist aus Ländern importiert, wo die Herstellungsverfahren bedenklich sind, sagt Jan Back vom Department Umwelt-, Verfahrens- und Energietechnik des Management Center Innsbruck (MCI). Er habe sich in seiner Doktorarbeit unter anderem damit beschäftigt, Aktivkohlepulver aus Waldhackgut, einer Mischung aus Hackschnitzel, Rinde und Nadeln, herzustellen, um sie für die vierte Reinigungsstufe zu verwenden. In einem Folgeprojekt treibe seine Kollegin Angela Hofmann dieses Projekt nun im Josef Ressel Zentrum für die Produktion von Pulveraktivkohle aus kommunalen Reststoffen voran. 

Wir müssen auch im Hinterkopf behalten, dass die vierten Reinigungsstufen den Energieverbrauch und CO2-Fußabdruck jeder Kläranlage erheblich steigern werden. Jörg Krampe, TU Wien
Problemstoffe im Klärschlamm

 

Ein weiterer Problemstoff, nämlich Mikroplastik, wird in den Anlagen effizient aus dem Wasser geholt und landet im Klärschlamm, berichtet Krampe. Hier kann dann das sonst so vorteilhafte Trennsystem zu einem Nachteil werden, da Teile des Regenwassers nicht in den Kläranlagen behandelt werden. Dann gerät der Regen von den Straßen oft direkt in die Gewässer, samt Reifen- und Bremsenabrieb sowie anderen Verschmutzungen. 

 

Auch Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) im Abwasser und im Klärschlamm stellen ein Problem dar, erklärt Back. Dies sind Industriechemikalien, die laut Umweltbundesamt ausgiebig Verwendung fanden als „Farben, Leder- und Textilbeschichtungen, (Outdoor-)Kleidung, Schuhen, Teppichen, Verpackungen, Skiwachs, Boden- und Autopflegemitteln, sowie Bestandteile von Imprägnier- und Schmiermitteln“. PFAS, Mikroplastik und andere schädliche Substanzen im Klärschlamm verhindern, dass er für Kreislaufwirtschaft als Düngemittel genutzt wird. Back entwickelt mit Kollegen „einen neuen, hoch selektiven Adsorptionsstoff einhergehend mit einem geeigneten Verfahren“, wie er erzählt: „Es sollte aber dezentral bei den Verursachern angewendet werden, zum Beispiel bei Industriebetrieben mit PFAS-haltigem Abwasser, bei betroffenen Trinkwasserversorgern oder bei der Sanierung von mit PFAS verunreinigtem Grundwasser“. 

Kläranlage zum Ausprobieren

 

Um die Forschung voranzutreiben, betreibt etwa die TU Wien eine Modellkläranlage. „Einem Bakterium ist es ziemlich egal, ob es sich in einem schwimmbadgroßen Becken herumtreibt oder in einer kleinen Versuchsanlage. Die biologischen und chemischen Prozesse, die in der Kläranlage einer Großstadt ablaufen, lassen sich auf recht kleinem Maßstab nachbilden, untersuchen und verbessern“, heißt es von Seiten der TU.

 

Das Mess- und Regelungssystem der Modellanlage entspricht genau dem einer großen Kläranlage, berichtet Krampe: „Die Studierenden können die Prozesse genauso steuern und beobachten als handle es sich um eine große Anlage – und wenn mal ein Fehler passiert, ist das trotzdem kein Problem.“ In der Forschung würden etwa neu entwickelte Sensoren und Regelungskonzepte sowie weitergehende Aufbereitungsverfahren getestet, um optimale Ergebnisse zu erzielen.

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