Lehren aus der Pandemie: Wie Corona unser Arbeiten flexibler machte
Aktuelle Studien zeigen die Ausmaße, die flexibles Arbeiten angenommen haben. Ein Bericht über den Status Quo der mobilen Arbeitswelt in Österreich.
Nach Corona: Flexibilisierung von Arbeitszeit und -ort
Nach der Corona-Pandemie sehen wir vor allem eine große Veränderung: Die Zunahme der mobilen Arbeit. Darüber sind sich Expertinnen und Experten einig. „Das Schöne nach der Pandemie ist: Es gibt nicht mehr diese Unterschiede zwischen eher konservativen oder progressiven Unternehmen“, meint etwa auch Michael Bartz, Professor an der IMC Fachhochschule (FH) Krems und Experte für mobiles Arbeiten.
Eine Studie des Unternehmensberaters Deloitte mit Fokus auf Büroarbeit hat gezeigt, dass vor dem ersten Lockdown nur vereinzelt Home-Office von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Anspruch genommen wurde. 2022 berichteten 82 Prozent der etwa 600 befragten Unternehmensvertretern bereits, dass ein großer Teil der Belegschaft gelegentlich oder regelmäßig von zuhause aus arbeitet. „Das ist ein echter Quantensprung“, sagt Bartz.
Auch wenn ein großer Anteil remote arbeitet, bleibt noch viel zu tun, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter motiviert und zufrieden zu halten. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Qualität des Home-Office stark divergiert und dass für produktives Arbeiten Freiheiten, Autonomie und Mitgestaltung eine große Rolle spielen.
In der Studie „Mobiles Arbeiten nach der Pandemie“ der IMC FH Krems gemeinsam mit der FH des BFI Wien wurde etwa untersucht, welchen Einfluss Freiheitsgrade und Mitbestimmung der Belegschaft auf die Motivation und Zufriedenheit haben. An der Online-Befragung nahmen im Herbst 2021 österreichweit 1.688 Personen teil, unter Berücksichtigung einer ausgewogenen Verteilung von Geschlecht und Alter.
Mehr als 50 Prozent der Befragten haben angegeben, dass ihnen frei steht, Überstunden im mobilen Office zu machen, sofern das zielführend ist, und dass sie ihre Arbeit so ausführen können, wie sie denken, dass es am besten ist. Aufholbedarf gibt es noch bei der Flexibilisierung der Arbeitszeit: 65 Prozent gaben an, dass sie nur gelegentlich bis nie ihre Arbeitszeit untertags länger unterbrechen dürfen. 71 Prozent dürfen nicht weniger als die vertraglich vereinbarte, tägliche Arbeitszeit mobil arbeiten.
Überall arbeiten ist nicht überall möglich
Auch beim Arbeitsort bleibt laut der Studie Aufholbedarf in Sachen Flexibilisierung: Weitaus mehr als die Hälfte der Befragten darf nur gelegentlich bis nie an anderen Orten als im Home-Office ihre Arbeit verrichten, den Arbeitsort im Tagesverlauf variieren oder das Firmenbüro mit dem mobilen Arbeitsort kombinieren.
In Österreich gilt seit dem 1. April 2021 das Home-Office-Gesetz. Darin wird neben Arbeitszeit und Haftung definiert, dass Home-Office dann vorliegt, wenn regelmäßige Arbeitsleistung in der eigenen Wohnung erbracht wird, wobei der Begriff auch auf einen Zweitwohnsitz, die Wohnung des Partners oder eines nahen Angehörigen ausgedehnt wird. Co-Working-Spaces, Kaffeehäuser oder Parks gelten nicht als rechtmäßige Arbeitsorte.
Home-Office-Gesetz erschwert "Workation"
Was während der Corona-Pandemie keine große Einschränkung brachte, wirkt mit zurück gewonnener Freiheit nach Pandemieende eher rückschrittlich, meint Bartz: „Manche Arbeitnehmer fragen sich: Warum soll ich nicht ein, zwei oder drei Wochen von Valencia aus arbeiten können? Was spricht dagegen? Leider das Gesetz.“ Die Verbindung von Arbeit und Urlaub hat unter dem neuen Begriff „Workation“ (work und vacation) die Runde gemacht – Workation ist dabei eines der diskutierten Zukunftsmodelle, die für die Flexibilisierung von Arbeit stehen.
Der Wunsch nach örtlicher Unabhängigkeit, etwa weil das eigene Zuhause nicht der beste Ort zum Arbeiten ist, ist vorhanden. Das Home-Office-Gesetz hat laut dem Wissenschafter Bewusstsein für das Thema geschaffen, inhaltlich sei es aber nicht gelungen. „Es wurde vom Arbeitsministerium versprochen, dass das Gesetz nach einem Jahr evaluiert wird. Das ist nicht passiert, wäre aber dringend erforderlich, weil es zu eng gefasst ist“, sagt Bartz.
Unabhängig von den debattierten Schwachstellen im Gesetz ist aber ein starker Trend hin zur Flexibilisierung der Arbeit zu sehen. Christina Maria Schweiger, Leiterin des Human Resources & Organization Study Programs an der FH der WKW Wien: „Wir beobachten ganz stark eine Flexibilisierung, also Home-Office auch an Orten, die nicht der Hauptwohnsitz sind.“ Es seien jedenfalls mehr Richtlinien für das mobile Arbeiten entstanden.
Warum Rahmenbedingungen wichtig sind
Heimarbeit wird auch nach der Pandemie ein wichtiger Bestandteil unseres Arbeitslebens bleiben. Mit Beginn der Pandemie waren Unternehmen gezwungen, im wahrsten Sinne des Wortes, von heute auf morgen auf mobilen Betrieb umzustellen. Doch seit Ende 2021 zeichnet sich laut Untersuchungen deutlich ab, dass die Unternehmen an mobilen Arbeitsweisen weiterhin festhalten. Laut der IMC-BFI-Studie ist ein regelrechter Transformationsprozess losgetreten worden, der nach Rahmenbedingungen für die neue Arbeitsweise ruft. Die Unternehmenskultur bestimme hier die Tragweite und Umsetzung der Regeln.
„Bei manchen Firmen werden Regeln auf sieben Seiten unkompliziert zusammengefasst, bei anderen sind es 30 Seiten mit Kleingedrucktem – und das ist auch in Ordnung. Es gibt hier kein Gut oder Schlecht“, meint Bartz. Diesem Prozess müsse man aber Zeit geben, idealerweise drei bis fünf Jahre.
Wichtig ist, ob die Belegschaft in den Entwicklungsprozess der Regelungen eingebunden wurde. Auch hier zeigte die Studie auf, dass mehr als die Hälfte der Befragten gar nicht bis wenig in die Gestaltung mit einbezogen wurde. In einem Großteil der Betriebe sei „das Leadership“ laut Bartz seit der Pandemie noch gar nicht weiterentwickelt worden.
Vor allem bei den Überstunden würde das zu einem ernst zu nehmenden Problem werden, so Schweiger: „Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tun sich schwer, Grenzen zu ziehen, wenn sie im Home-Office sind, privat von beruflich abzugrenzen.“ Sie verweist auf eine Studie der Statistik Austria für die AK Wien, die zeigt, dass im Jahr 2022 47 Millionen Mehr- und Überstunden ohne Bezahlung oder Zeitausgleich gemacht wurden – Tendenz steigend.
Home-Office verbessert Selbsteinschätzung
War es 2012 noch knapp zwei Drittel der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wichtig, jeden Tag am selben Schreibtisch zu sitzen,empfand das 2022 nur noch ein Drittel als essentiell. Das ist eines der Ergebnisse einer Zehn-Jahres-Studie bei Microsoft Österreich, die im März veröffentlicht wurden und bei der über die Jahre die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer immer wieder um die Einschätzung ihrer Effizienz im Home-Office gebeten wurden. „Und die Effizienz ist über die Zeit gewachsen. Das hängt mit dem Lernen, sich selbst beim mobilen Arbeiten einschätzen zu können, zusammen: Was passt an dem Tag ins Home-Office, was nicht? Wofür nutze ich lieber das Firmenbüro?“, so Bartz, der diese Studie wissenschaftlich begleitet hat. Die Selbsteinschätzung der Befragten habe sich verbessert.
Betriebliche Gesundheitsmaßnahmen nehmen zu
„Sowohl Krieg als auch Pandemie und Klimakrise haben zu einer Veränderung der sozialen Belastung geführt. Diese hat sehr stark zugenommen und wir beobachten einen Anstieg an verschiedenen Erkrankungen. Da ist natürlich auch die Frage: Wie gehe ich als Arbeitgeber damit um?“, ergänzt Schweiger gegenüber APA-Science.
Eine große Belastung stellt beispielsweise die Einsamkeit dar. Eine jüngst erschienene Studie der Universität Wien zeigt etwa, dass sich das Alleinsein, das durch Home-Office und Lockdowns unvermeidlich ist bzw. war, auf das menschliche Energielevel auswirkt. Acht Stunden ohne soziale Kontakte können zu einem ähnlichen Energieabfall führen, wie acht Stunden ohne Essen, so ein zentrales Ergebnis.
„Das Thema betriebliches Gesundheitsmanagement hat massiv an Bedeutung gewonnen. Es war vorher schon wichtig, weil es gesetzliche Vorgaben dafür gab. Aber jetzt ist den Unternehmen auch bewusst geworden, hier verstärkt konkrete und sehr schnell wirkende Maßnahmen zu ergreifen“, sagt die Studiengangsleitern. Jetzt sei den Unternehmen bewusst geworden, noch stärker konkrete und sehr schnell wirkende Schritte einleiten zu müssen. Das sei auch in Betrieben passiert, deren Unternehmenskultur eigentlich gar nicht zu einer solchen Gesundheitsstrategie gepasst habe, so Schweiger.
Home-Office abseits von Bürojobs?
Letztlich ist es aber nicht in allen Branchen so einfach möglich, von zuhause aus zu arbeiten. Wie sieht es etwa in Produktionsunternehmen aus? Gibt es auch dort die Möglichkeit, mobiles Arbeiten voranzutreiben? Als schwierig gilt es laut den Experten vor allem, wenn nur gewisse Abteilungen im Unternehmen unproblematisch auf Home-Office umsteigen können, andere aber nicht. Hier könne es emotionalen Schieflagen kommen. „Arbeiten an einer Produktionsmaschine werden nicht von zuhause aus klappen, aber man kann andere Freiheitsgrade einräumen“, sagt Bartz. Ein technischer Kundenservice, der ganztägig unterwegs ist, müsste für die Dokumentation oder den Bericht nicht mehr in sein Büro zurückkehren, sondern kann das auch von daheim aus erledigen.
Arbeitgeberattraktivität und Fachkräftemangel
Eine Kombination aus demografischem Wandel, bevorstehender Pensionierungswelle der Babyboomer-Generation in den nächsten zirka zehn Jahren und einer hohen Beschäftigungsquote machen dem Experten zufolge den Fachkräftemangel aktuell akut – umso wichtiger sei es, die Arbeitgeberattraktivität anders als über das Gehalt zu steigern. Eine Erhebung der Boston Consulting Group (BCG), Stepstone und The Network zeigt, dass eine große Mehrheit von 72 Prozent hybrides Arbeiten – beispielsweise mit zwei Tagen pro Woche im Home-Office und drei Tagen vor Ort – als ideal einschätzt. Allgemein gilt jedenfalls, dass flexible Arbeitszeitmodelle und Home-Office Voraussetzungen sind, um am Arbeitsmarkt als Arbeitgeber attraktiv zu sein.