Sozialkontakt-Mangel kann so energielos und müde machen wie Hunger
Acht Stunden Alleinsein können zu einem ähnlichen Erschöpfungs- und Müdigkeitsgefühl führen wie Nahrungsentzug. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung von Wiener Psychologen, in der auch Daten von Studienteilnehmern während dem ersten CoV-Lockdown in Österreich und Italien berücksichtigt wurden. Im Fachjournal "Psychological Science" interpretieren die Forscher die Beobachtung als Folge eines aus den Fugen geratenen Grundbedürfnisses, unter dem manche Menschen stark leiden.
Laborexperiment und Umfrageanalyse
Einerseits untersuchte das Team um Giorgia Silani von der Fakultät für Psychologie der Universität Wien die Reaktionen und Wahrnehmungen von 30 Teilnehmerinnen an einem Laborexperiment unter verschiedenen Isolations-Bedingungen. Andererseits suchten die Wissenschafter unter den zahlreichen weiblichen wie auch männlichen Teilnehmern einer engmaschig durchgeführten Befragung während der Lockdown-Premiere im Frühjahr 2020 nach Menschen in vergleichbaren Situationen. Im in Wien durchgeführten Experiment verbrachten die Teilnehmerinnen an drei Tagen je acht Stunden im Labor.
Diese Zeitspanne verging entweder mit präzise eingetakteten sozialen Kontakten und Essen, oder mit Gesprächen und ohne Nahrungszufuhr, oder, in der dritten Bedingung, ohne Sozialkontakte, aber mit Verpflegung. Im Tagesverlauf gaben die Teilnehmerinnen mehrfach Auskunft über ihr Stressempfinden sowie ihre Stimmung und die wahrgenommene Müdigkeit. Ebenso protokolliert wurden u.a. der Spiegel des Stresshormons Cortisol und die Herzfrequenz.
"Auffallende Ähnlichkeiten"
"In der Laborstudie fanden wir auffallende Ähnlichkeiten zwischen sozialer Isolation und Nahrungsentzug. Beide Zustände führten zu verminderter Energie und erhöhter Müdigkeit, was überraschend ist, wenn man bedenkt, dass wir durch Nahrungsentzug buchstäblich an Energie verlieren, während dies bei sozialer Isolation nicht der Fall ist", so die Erstautoren der Studie, Ana Stijovic und Paul Forbes. Um abzuschätzen, ob sich Hinweise auf ähnliche Prozesse auch in mehr oder weniger alltäglicheren Situationen finden, griffen die Wissenschafter auf Daten aus einer größeren Feldstudie aus der Zeit des ersten Lockdowns zurück.
Die Teilnehmer dieser Studie machten über mehrere Tage hinweg wiederholt Angaben zu ihrem Verhalten und Erleben sowie zu dem von ihnen empfundenen Stressniveau. In der Feldstudie fanden sich Daten von 87 Personen, die in dieser Zeit angegeben hatten, mindestens acht Stunden am Stück alleine verbracht zu haben.
Mensch braucht Austausch mit Artgenossen
"Der im Labor beobachtete Rückgang des Energieniveaus nach sozialer Isolation zeigte sich auch bei jenen Teilnehmern der Feldstudie, die allein lebten oder sich als sehr gesellig beschrieben", heißt es in der Arbeit. Die Wissenschafter interpretieren dies als Folge eines aus dem Gleichgewicht geratenen grundlegenden psychologischen Bedürfnisses nach Kontakt zu anderen Menschen. Als Spezies, die den Austausch mit Artgenossen braucht, gebe es durchaus Parallelen zwischen dieser Reaktion mit jener auf Nahrungsentzug, heißt es in einer Aussendung der Uni Wien.
Die menschliche Psyche sinnt mehr oder weniger automatisch darauf, nach Phasen der Isolation wieder mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Ist das nicht möglich, gerät das psychische Gefüge aus den Fugen. Allerdings ist diese Reaktion auch stark von der Persönlichkeitsstruktur abhängig, wie die Studie zeigt. Während bekannt ist, dass lange anhaltende Einsamkeit und verstärkte Müdigkeit zusammenhängen, sei über die psychologischen Muster, die bei sozialer Isolation ablaufen, insgesamt relativ wenig bekannt, so die Forscher: "Die Tatsache, dass wir diesen Effekt schon nach einer kurzen Zeit der sozialen Isolation beobachten", weise darauf hin, dass dieses psychologische Ungleichgewicht längerfristig zu Anpassungsproblemen führt.
Service: https://doi.org/10.1177/09567976231156413