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Mehr zum Thema / Hermann Mörwald / Donnerstag 13.10.22

Mächtige Wasser

Mit Hochwasser hat man in Österreich schon genug Erfahrung, sodass das Management bereits gut funktioniert, meinen Experten im Gespräch mit APA-Science. Das ist gut so, da unisono davon ausgegangen wird, dass die Vorfälle künftig weiter zunehmen werden, was übrigens auch für Trockenphasen gilt.
APA/Artinger

Hochwasser ist – kurz gesagt – eine erhöhte Wasserführung. Übersteigt die Wassermenge die jährliche mittlere Wasserführung spricht man von einem Hochwasser. Viele Fließgewässer sind so ausgebaut, dass gewisse Hochwasser nicht ohne Überflutungen abgeführt werden können, erklärt Josef Schneider vom Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft der Technischen Universität Graz, der beim Disaster Competence Network Austria (DCNA) die Expertengruppe Hochwasser koordiniert.

Hochwasser vs. Überschwemmung

 

Der Unterschied Hochwasser-Überschwemmungen ist laut den Forschenden semantischer Natur. Ein Fluss kann bezüglich der Abflussmengen Hochwasser führen und nicht über die Ufer treten, erst wenn das passiert wird – landläufig – von Überschwemmungen gesprochen.

Hochwasser-Experte Günter Blöschl vom Institut für Wasserbau und Ingenieurhydrologie der Technischen Universität (TU) Wien sieht Österreich mittlerweile beim Hochwassermanagement „schon sehr gut aufgestellt“. Es gebe bereits viele Detailstudien zum zukünftigen Hochwasserrisiko und man kenne den Einfluss des Klimawandels recht genau.

Die Forscher gehen davon aus, dass es künftig in Österreich und dem ganzen mitteleuropäischen Raum vermehrt zu Hochwassern kommen wird. Durch die Klimaerwärmung sei mehr „Energie im System“ (Auswirkung durch klimawirksame Treibhausgase), was dazu führe, dass mehr Wasser in der Atmosphäre (siehe auch: „Im Klima menschelt es“) vorhanden ist. Dies kann zu Extremwetterereignissen mit daraus resultierenden starken Hochwassern führen, erläutert Schneider.

Klimawandel ist der Treiber schlechthin

„Der Einfluss des Klimawandels auf die Hochwassersituation in den vergangenen 50 Jahren ist mittels Studien bereits gut dokumentiert. Das steht außer Frage“, so Blöschl. Bleibe noch die Frage, was davon ist anthropogen, was natürliche Klimavariabilität? Er verweist dabei auf den jüngsten Bericht des Weltklimarats IPCC, wo der menschengemachte Faktor ein großes Thema ist: „Wie groß der Faktor Mensch bei Hochwasservorfällen genau ist, ist in der Wissenschaft nicht ganz unumstritten. Dass es einen wesentlichen anthropogenen Beitrag gibt, dagegen nicht. Das ist ganz klar, über die ,Prozentzahlen‘ kann man diskutieren“, erklärt der Forscher.

Was zu machen sei, wisse auch die  Politik seit geraumer Zeit, nämlich Kohlenstoff-neutral zu werden, um Energie aus dem weltweiten Wettersystem zu nehmen. Der Pfad sei vorgegeben. Wie man die Ziele erreichen soll und wann, stehe auf einem anderen Papier. Letztlich sei das eine gesellschaftspolitische Frage, die rasch beantwortet werden sollte.

Für das Hochwassermanagement ist die Frage des anthropogenen Klimabeitrags jedoch weniger relevant. „Wir wissen bereits recht gut, wie sich das Klima verändert und wie es auf Hochwasser wirkt. Ob das jetzt menschengemachte oder natürliche Einflüsse sind, ist für den  Hochwasserschutz zweitrangig, man muss auf die jeweilige Situation reagieren. Das gilt prinzipiell für sämtliche Naturkatastrophen“, erläutert Blöschl.

Überschwemmungstypen

 

Die Wissenschafter weisen darauf hin, dass es wesentlich ist, zwischen Überschwemmungstypen zu unterscheiden. So gibt es etwa Flusshochwasser, wo es zu großräumigen Überschwemmungen kommt (fluviale Hochwasser). Das hängt nur zum Teil (die Komponenten Niederschlag und Schneeschmelze) mit dem Klimawandel zusammen. Dabei würden auch menschengemachte Faktoren wie zum Beispiel Bodenversiegelungen, wodurch über die Ufer tretendes Wasser nicht versickern könne, Uferbebauungen, Größe des Flusseinzugsgebietes sowie fehlende Retentionsflächen (Rückhalteraum für über die Ufer tretendes Wasser) hineinspielen.

Pluviale Hochwasser dagegen, die „meist auf der Fläche auftreten“ und weitgehend unabhängig von der Existenz eines „Wasserkörpers“ sind, werden in der Regel von massiven Niederschlägen, die der Boden nicht mehr aufnehmen kann, hervorgerufen. Marc Olefs, Abteilungsleiter Klimaforschung bei der ZAMG, meint dazu: „Da im Zuge des Klimawandels Starkniederschlagsvorkommen zunehmen, kann man stark davon ausgehen, dass pluviale Vorfälle generell mehr werden.“

Großräumige Verlagerungen

Mittlerweile sei klar, dass sich die großräumigen Klimazonen verlagern, was etwa dazu führe, dass in Europa der Jetstream nach Norden wandere, mit dem Effekt, „dass Hoch- oder Tiefdruckgebiete sich länger halten, als es früher der Fall war“, schildert wiederum Schneider: „Dieses Jahr zum Beispiel war es ungewöhnlich lang sehr heiß und trocken.“

Gleichzeitig heize sich das „System“ derart auf, dass es regional zu sehr heftigen Gewittern komme, die pluviale Hochwasser wie etwa in diesem Sommer im Kärntner Gegendtal nach sich ziehen. Pluviale Hochwasserereignisse seien im Gegensatz zu fluvialen auch kaum vorherzusagen. Die Großwetterlage sei mittlerweile schon recht präzise prognostizierbar, lokale Ereignisse noch nicht, bzw. sind sie erst sehr kurzfristig vor einem Ereignis erkennbar.

So entsteht ein Gewitter

Das System heizt sich auf und es kommt regional zu heftigen Gewittern

Die Sache mit der Prognose

Bezüglich Prognosen meint Blöschl: „Je größer der Fluss, umso genauer kann die Vorhersage ausfallen. Für die Donau z.B. fällt Niederschlag auf ein großes Gebiet, und die Regenmenge für Gebiete mit über 100.000 Quadratkilometern kann man für ein, zwei Tage im Voraus schon gut abschätzen. Je kleiner das Gebiet, umso schwieriger wird es. Selbst wenn man weiß, dass ein schweres Gewitter niedergeht, kann man nicht sagen, wo das genau sein wird.“ (siehe auch: „Prognosen sind schwierig – besonders …“). Man dürfe also für pluviale Vorfälle nicht erwarten, dass man treffsichere Vorhersagen machen könne im Sinne von „in sechs Stunden, in zwölf Stunden wird es eine Sturzflut geben. Hier geht es vielmehr um Wahrscheinlichkeiten“.

Für Flüsse von der Größe des Kamps (Waldviertel/NÖ) aufwärts habe man mittlerweile weltweit durch Abflussmessungen bereits eine gute Datenbasis. Darauf aufsetzend könne man die Aussage treffen, dass für viele dieser Gebiete die Hochwasser schon zugenommen haben und mit großer Wahrscheinlichkeit weiter ansteigen werden. „Das gilt global für 60 bis 70 Prozent der Landfläche“, so der Hochwasserspezialist.

Gleichzeitig erklärt er jedoch, dass auf den restlichen 30 bis 40 Prozent die Hochwasservorfälle abnehmen werden: „Zu sagen, überall auf der Welt werden die Hochwasser mehr, wäre zu verallgemeinernd.“

„Wasserscheide“

Trotzdem, in Mitteleuropa muss laut den Wissenschaftern in den nächsten Jahren mit mehr Hochwasservorfällen gerechnet werden. Österreich liege da „gewissermaßen an einer Wasserscheide“. Im Norden Europas seien starke Zunahmen zu verzeichnen, was sich auch künftig mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht ändern werde. Das liege vor allem daran, dass die „Wetter-Zugbahnen“ vermehrt im Norden über den Atlantik ziehen (Hadley-Zelle, siehe dazu: „Im Klima menschelt es„).

Blöschl spricht diesbezüglich von einem Glücksfall, dass die jeweiligen Veränderungen Österreich weniger stark betreffen als den Norden und den Süden Europas. Unbenommen dessen werde hierzulande nördlich des Alpenhauptkamms eine Zunahme von Hochwassern von rund fünf Prozent pro Dekade registriert. Im südlichen Österreich werde eine geringere Zunahme verzeichnet. Trotzdem müssen wir mit weiteren Hochwasserereignissen rechnen, vermehrt auch Hangwasser, bei denen Häuser fernab eines Baches oder Flusses überschwemmt werden. Aber „Bund, Länder und Gemeinden haben das am Radar“, ist er zuversichtlich.

Laut Schneider kann man sagen, dass es auch jahreszeitlich zu Verschiebungen kommt: „Es wird im Winter weniger schneien, dafür mehr regnen, mit dem Effekt, dass es weniger Schmelzwasser geben wird. Dadurch wird es weniger Hochwasser im Frühling geben.“ So würden wahrscheinlich Hochwasserereignisse durch Schneeschmelze bei gleichzeitigem Regen seltener werden, Hochwässer durch lokale Starkregenereignisse jedoch, wie bereits erwähnt, zunehmen.

Generell ist es Schneider ein Bedürfnis darauf hinzuweisen, dass den Flüssen wieder mehr Raum gegeben werden sollte: „Auch wenn das medial bereits häufig erwähnt wurde, kann man es nicht oft genug sagen. Damit könnten Hochwasser besser zurückgehalten werden“. Das habe man auch schon erkannt und es würden bereits zahlreiche Maßnahmen gesetzt. Für den Hochwasserschutz sei das enorm wichtig. „Hochwasser werden dann zur Katastrophe, wenn es zu einer unkontrollierten Ausuferung kommt. Wenn das Wasser nicht mehr abfließen und versickern – z.B. in einem Waldgebiet – kann, werden wir wahrscheinlich ein verstärktes Problem in verbauten Gebieten bekommen“, so Schneider.

Österreich gut aufgestellt

Eine internationale Studie unter Leitung des Helmholtz-Zentrums Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ hat untersucht, wie Städte und Länder weltweit mit zunehmenden Hochwassern und Dürren umgehen. In vielen Fällen konnten demnach die Schäden bei zunehmend größeren Ereignissen nicht reduziert werden. Gleichzeitig wurden aber auch Erfolgsgeschichten identifiziert. Darunter die Hochwasser 2002 und 2013 in Österreich und Deutschland. Die Donaufluten verursachten demnach 2002 Schäden in der Höhe von 4 Milliarden Euro, 2013 waren es dann nur noch 2,3 Milliarden, obwohl das Ereignis extremer ausgefallen war. In Österreich allein floss laut Blöschl, der an der Studie beteiligt war, seit 2002 etwa eine Milliarde Euro, rund die Hälfte davon bis 2013, in den Hochwasserschutz.

Ein guter Teil davon ging demnach in konstruktive Schutzmaßnahmen, aber auch in die Raumplanung und ein verbessertes Hochwasser-Management wurde investiert. So sei etwa der Ablauf des Warn- und Alarmsystems optimiert worden. „In Österreich hat man aus dem Hochwasser 2002 gut gelernt“, so Blöschl. Nach 2002 (bis 2005 im Auftrag der Länder OÖ und NÖ) wurde unter Leitung eines TU Wien-Teams unter Führung Blöschls ein Prognosetool für die Donau und Zubringer entwickelt: „Das hat sich dann 2013 gut bewährt. Es war eine punktgenaue Prognose, was nicht selbstverständlich ist, wenn man die Unsicherheiten von Niederschlags vorhersagen und die Komplexität der Abflussbildung bedenkt.“

Raumplanerisch sei es nach 2002 besonders auch darum gegangen, inwieweit man in möglichen Überflutungsflächen bauen dürfe. Im Zuge des Baubooms nach dem 2. Weltkrieg (Wohnfläche wurde dringend benötigt) wurden auch hochwassergefährdete Gründe zu Bauland. Nach 2002 wurde das dann strenger gehandhabt. Noch immer würden viele Häuser in hochwassergefährdeten Zonen stehen. Ob man das zulässt oder nicht, sei letztlich eine gesellschaftspolitische Entscheidung, so Blöschl.

Trockenphasen

 

Wenig überraschend korrelieren Hochwasser und Trockenheiten – besonders in großen und mittleren Flusssystemen. Bei schweren lokalen Gewittern sei das anders. Schaut man sich laut Blöschl aber die Fluss-Hochwasser an, dann kann vereinfacht gesagt werden: „Viel Regen, mehr Hochwasser, weniger Regen, mehr Trockenheit.“ In Österreich komme wiederum die Wasserscheide zum Tragen, im Süden und Osten werde es künftig mit hoher Wahrscheinlichkeit trockener werden, was mittlerweile auch durch die Daten der vergangenen Jahre gut belegt sei. Für den Norden treffe das weniger zu.

Die häufigeren Dürrephasen seien nicht nur auf weniger Regen, sondern auch darauf zurückzuführen, dass die Verdunstung zugenommen habe – in den vergangen 40 Jahren laut Blöschl um 17 Prozent. Dadurch komme es häufiger zu niedrigeren Grundwasserpegeln. So hänge der niedrige Wasserspiegel des Neusiedlersees nicht nur mit geringen Niederschlagsmengen, sondern auch mit der erhöhten Verdunstung zusammen.

Auf Schlimmeres vorbereiten

„Es ist unrealistisch zu hoffen, dass die Dürren nur natürliche Wetterkapriolen gewesen sind und sich nicht so schnell wiederholen werden. Im Gegenteil, man sollte sie als Vorboten von noch schlimmeren Dürren ansehen und sich fragen: Sind wir auf  solche Extremereignisse vorbereitet?“, meint Wolfgang Wagner vom Departments für Geodäsie und Geoinformation der TU Wien. Seine Antwort fällt ernüchternd aus: „Leider nein.“ Die Wissenschaft könne bei weitem noch nicht alle Fragen zu den komplexen Wirkungszusammenhängen des Auftretens und der Auswirkungen von Dürren beantworten.

Erschwerend komme hinzu, dass viele wissenschaftliche Erkenntnisse noch nicht in der Praxis angekommen sind. Es bedürfe noch umfangreicher Diskussionen zwischen Wissenschaft, Verwaltung, Wirtschaft und der breiten Öffentlichkeit, um nachhaltige Adaptionsmaßnahmen zu entwickeln, die von allen mitgetragen werden können. Das Zauberwort heißt wiederum: „Daten“ – optimalerweise flächendeckend und langfristig.

Welche Hochwasserereignisse gibt es?

Hochwasserereignisse werden in Bezug auf die Wasserstände unterschieden. Die Schreibweise „HQ“ (H=Hochwasser, Q=Abflussmenge) bezeichnet die Abflussmenge bei Hochwasser.

 

Häufige Hochwasserereignisse

  • HQ10     Ereignisse, die statistisch einmal in 10 Jahren mit erhöhten Wasserständen bzw. alle 10 Jahre einmal auftreten
  • HQ20     Ereignisse, die statistisch einmal in 20 Jahren mit erhöhten Wasserständen bzw. alle 20 Jahre einmal auftreten

 

Mittlere Hochwasserereignisse

  • HQ100  Ereignisse, die statistisch einmal in 100 Jahren mit erhöhten Wasserständen bzw. alle 100 Jahre einmal auftreten

 

Extreme Hochwasserereignisse

  • HQExtrem   Ereignisse, die statistisch in Zeiträumen von mehr als 100 Jahren mit erhöhten Wasserständen auftreten

 

Im Falle eines 100-jährlichen Hochwassers ist die überflutete Fläche deutlich größer als bei einem häufigen Hochwasser. Bei extremen Hochwassern ist die überflutete Fläche noch größer. In diesem Zusammenhang darf „Wiederkehrintervall“ bzw. „Häufigkeit“ aus den Messungen über vergangene Zeiträume nicht mit „Wahrscheinlichkeit“ für zukünftige Zeiträume gleichgesetzt werden. So kann z.B. ein extremes Hochwasser innerhalb der nächsten 20 Jahre auftreten. Ein extremes Hochwasser kann aber auch zweimal innerhalb der nächsten 20 Jahre auftreten.

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