Neue Gentechnik in der Landwirtschaft – Diskurs zu Sinn, weniger zu Technik
Um den Vorschlag der EU-Kommission, die Auflagen für Verfahren der Neuen Gentechnik (NGT) in der Landwirtschaft aufzuweichen, gibt es teils intensive Kontroversen. So auch am Mittwochabend bei einer von APA-Science veranstalteten Diskussion über "Neue Gentechnik bei Pflanzenzucht - weiterhin ein Tabu?". Die neue Technologie, mit der gezielt Erbgutänderungen ausgelöst werden können, erschien weniger als Aufreger, im Fokus standen Sinnfrage und Kennzeichnungspflicht.
Von Verfahren wie der Genschere CRISPR/Cas in der „Grünen Gentechnik“ versprechen sich Befürworter Nutzpflanzen, die etwa Dürren besser wegstecken, mehr Ertrag auf weniger Fläche bringen und bei deren Anbau man weniger Pestizide benötigt. Auf der anderen Seite hegen Kritiker Bedenken, dass durch das Ausbringen von neuen gentechnisch veränderten Organismen (GVO) Risiken für Umwelt und Mensch entstehen können, die sich kaum abschätzen bzw. später wieder einhegen lassen. Die heimische Politik und einige Interessensvertretungen stehen einer Aufweichung der momentanen strikten Regelungen im Rahmen des EU-Vorschlags sehr skeptisch gegenüber. Wissenschaftsinstitutionen wiederum mahnten zuletzt mehrfach ein, NGT „vorurteilsfrei, aufgeschlossen und auf Basis wissenschaftlicher Evidenz“ zu bewerten.
Der rein naturwissenschaftliche Blick auf das Thema greift für Ulrike Felt vom Institut für Wissenschafts- und Technikforschung der Universität Wien allerdings zu kurz. Die Entscheidung darüber, eine Technologie in einer demokratischer Gesellschaft einzusetzen, müsse mehr als eine Risikoabschätzung beinhalten. In Gesprächen in den vergangenen Jahren zum Thema Gentechnik wurde oft gar nicht ursächlich die Praxis der Erbgutveränderung selbst thematisiert, es gehe vielmehr auch darum, dass in der Vergangenheit hochtrabende Versprechen nicht eingelöst wurden, Menschen das Gefühl haben, dass ihnen durch Pläne zur Aufweichung von Kennzeichnungspflichten Wahlfreiheit genommen wird, und dass auch bei den neuen Überlegungen Marktinteressen im Vordergrund stehen.
Für Felt geht es in der aktuellen Diskussion eher nicht darum, „ob Menschen Wissenschaft verstehen“. Es gehe um Werte und um das gemeinschaftliche Abklopfen von Fragen dazu, was die Änderungen für wen bedeuten könnten. Zudem seien Argumentationslinien schwer nachvollziehbar, wenn einerseits gesagt werde, dass es sich um geringe Erbgut-Eingriffe handelt, von denen jedoch nicht nachvollziehbar ist, mit welcher Methode sie gemacht wurden, das Risiko der so entstandenen Produkte aber ohnedies überprüft werde und überhaupt alles jetzt sehr schnell gehen müsse. „Das erzeugt Unsicherheit“, so die Wissenschaftsforscherin, die sich im APA-Pressezentrum wünschte, dass die Thematik „ordentlich diskutiert“ wird.
Einen Mangel an Auseinandersetzung ortete auch der Molekularbiologe und Wissenschaftskabarettist Martin Moder. Selten habe die Wissenschaftskommunikation derart versagt, wie bei der Gentechnik in Österreich. Die Kluft im Blickwinkel zwischen der Wissenschaft und vielen Teilen der Bevölkerung sei kaum wo so groß wie bei der „Grünen Gentechnik“.
Frühere Bedenken, etwa dass sich Mutationen aus GVO in der Umwelt quasi ausbreiten oder landwirtschaftliche Produkte schlichtweg krebserregend sein könnten, habe die Forschung mittlerweile aber umfassend ausgeräumt. Auch die Diskussion sei offenbar ein Stück weit weggerückt von Horrorszenarien. Moder: „Die argen Sachen sind vom Tisch.“ Es gehe jetzt eher um Fragen zu Patenten auf GVO und Werte wie Wahlfreiheit, so der Forscher und Wissenschaftsvermittler, der eine möglichst „undogmatisch“ geführte Auseinandersetzung einmahnte.
Jens Karg vom Verein ARGE Gentechnik-frei würde sich in dem Zusammenhang wünschen, dass man Menschen, die bei dem Thema eine kritische Betrachtung einfordern, nicht prinzipiell Wissenschaftsskepsis vorwirft. Der EU-Vorschlag würde schlichtweg die Wahlfreiheit für Konsumenten und Bauern einschränken und diejenigen unter Druck setzen, die den „boomenden“ gentechnikfreien Markt bedienen möchten. Bio-Produzenten würde die EU-Kommission „Knüppel zwischen die Beine“ werfen.
Man wolle die Forschung an der neuen Technologie jedenfalls nicht verteufeln, beim Ausbringen solcher Pflanzen aber die strengen Standards nicht abschaffen. Das Problem sei, dass die Pläne das Sicherheitsnetz sozusagen „pauschal wegziehen“ würden. Das sei gewissermaßen auch „unwissenschaftlich“, so Karg. Es gebe nicht ohne Grund Verfahren für Freilandversuche. Ob diese so wie aktuell ausgestaltet auch sinnvoll sind, könne man diskutieren. Sie aber einfach wegzunehmen sei „unredlich“. Es gehe nicht um das Verbieten von Anwendungen, sondern um nachvollziehbare Regeln dafür.
So wie die Regeln zur Zeit in Österreich ausgestaltet sind, bestehe jedenfalls keine Gefahr, dass solche Pflanzen im Freiland getestet werden. Kein Wissenschafter würde die Hürden in den Zulassungsverfahren für solche Untersuchungen auf sich nehmen, erklärte Ortrun Mittelsten Scheid vom Gregor Mendel Institut für molekulare Pflanzenbiologie (GMI) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien. Auch Moder wurde zu Beginn seiner Karriere geraten: „Wenn du an Pflanzen forschen willst, dann schau, dass du ins Ausland kommst.“
Gegen Prüfverfahren sei überhaupt nichts einzuwenden und natürlich brauche es auch „vernünftige Patentregelungen“, so beide Wissenschafter. „Ich möchte die Risikoforschung auf jedes einzelne neue Produkt angewandt haben, nicht aber auf die Methode“, betonte Mittelsten Scheid mit Blick auf das Gen-Editing mit CRISPR/Cas. Letzteres sei die „Fortsetzung einer langen Erfolgsgeschichte“, die schon vor Jahrtausenden mit herkömmlicher Züchtung begann und seither in mehreren Stufen verfeinert wurde. Das „Risiko für unerwartete Effekte“ sei bei herkömmlichen Gentechnik-Methoden jedenfalls „viel größer“ als beim gezielten Einsatz der Genschere, für den es bereits rund 700 Anwendungsbeispiele in der Pflanzentechnologie gebe. Darunter etwa eine Weizensorte mit Mehltauresistenz. Das sei nur mittels Genschere möglich gewesen.
Service: Eine Aufzeichnung der Veranstaltung ist unter https://go.apa.at/Z1LZ2GbX abrufbar.