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Mehr zum Thema / Jochen Stadler / Donnerstag 03.03.22

Psychedelika in klinischen Tests – bitte warten!

Psychedelisch wirksame Substanzen sollen nicht nur als bewusstseinserweiternde  „Spezialität“ für Kenner „narrischer Schwammerl“ (die sie enthalten) dienen, sondern haben medizinisches Potenzial. Sie könnten zum Beispiel  Ärzten helfen, Patienten mit Depressionen oder Alkoholsucht wirksam zu behandeln, bei denen konventionelle Arzneimittel unzureichende Wirkung zeigen.
Foto: APA/Fohringer

„Wenn man als Psychiater mit therapieresistenten Patienten arbeitet, ist quasi jeder Pfeil im Köcher gegen die Krankheit höchst willkommen“, sagt Matthäus Willeit, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie und Zentrum für Suchtforschung und Wissenschaft (AddRess) der Medizinischen Universität (Meduni) Wien.

Vor allem in englischsprachigen Raum erkannte man deren mögliche Durchschlagskraft schon. Es gibt viel Literatur zum klinischen Einsatz von Psychedelika aus den 1960er Jahren, doch nach dem Controlled Substances Act 1971 kam diese Forschung weitgehend zum Erliegen, so Willeit. Doch vor kurzem wurde sie wieder aufgegriffen. „Die Amerikaner und vor allem Engländer haben vor gut fünf Jahren damit begonnen, Psychedelika im klinischen Umfeld zu testen“, berichtet Hans-Günther Knaus vom Department für  Genetik und Pharmakologie der Medizinischen Universität Innsbruck: „Das ist dort ein richtiger Boom.“ Teilweise würden sogar Firmen gegründet, die sich ausschließlich mit dem Testen solcher Substanzen beschäftigen.  Vor allem Psilocybin, ein Psychedelikum aus Pilzen, sei derzeit stark beforscht.

Im englischsprachigen Raum ist die Psychedelikaforschung "ein richtiger Boom" Hans Günther Knaus

„Wir arbeiten hier an der Meduni Wien schon seit längerer Zeit an einem Protokoll, um Psilocybin bei Alkoholmissbrauchsstörungen zu verwenden“, so Willeit. Daten aus den USA würden vorsichtig andeuten, dass dies wirksam sein könnte. Außerdem gäbe es ältere Studien, die positive Effekte feststellten, doch sie genügten nicht den derzeitigen medizinischen und wissenschaftlichen Standards. Deshalb würde er gerne Psilocybin in einer modernen Studie umfassend testen. Das ist in der Praxis aber alles andere als einfach:

Problem 1: Psychedelika sind „nicht verschreibungsfähige Suchtgifte“

„Psilocybin ist in Österreich zur Zeit eine „nicht verschreibungsfähige Substanz“, sagte Knaus. Ein Arzt kann demnach kein Rezept dafür ausstellen, und sie ist hierzulande auch nicht so leicht verfügbar, wie viele andere Wirkstoffe. „Das ist eines der großen Probleme bei klinischen Studien“, erklärte er. „Psilocybin ist in Österreich auch als Suchtgift klassifiziert, was für mich nicht rational nachvollziehbar ist“, sagte Willeit. Psychedelische Substanzen lösen keine Sucht aus, sondern könnten im Gegenteil helfen,  Suchtverhalten für andere Stoffe zu vermindern. Die Suchtgift-Gesetzgebung nennt der Mediziner „vollkommen irrational“.

Problem 2: Aus dem Wald aber nicht der Apotheke

„Psilocybin kann sich natürlich jeder selbst besorgen, wenn er in den Wald geht und ‚narrische Schwammerln‘ holt“, sagte Willeit. Für klinische Studien gelten freilich andere Standards. Hier gibt es spezielle Regulatorien, dass die Medikationen entsprechend einer genau geregelten „guten Herstellungspraxis“ (englisch: Good Manufacturing Praxis, GMP) erzeugt werden muss. Die Reinheit, die Stabilität der Wirksubstanz und eine Reihe anderer Qualitätsmerkmale haben bekannt zu sein. Solch GMP-konformes Psilocybin gibt es aber weder in Österreich, noch in einem anderen EU-Land zu kaufen, so die Experten. „Es ist also für die Forschung mit Psychedelika ein großes Problem, dass es innerhalb der EU praktisch keine GMP-konformen Substanzen gibt“, so Willeit.

Die neuen „Clinical Trial Regulations“ bedeuten "für uns einen großen administrativen Mehraufwand" Hans Günther Knaus

Problem 3: Felsbrocken Clinical Trial Regulation

Eine weitere Hürde für die akademische Psychedelika-Forschung sind neue, zentralisierte EU-Regularien für klinische Versuche. „Diese „Clinical Trial Regulations wurden vor einigen Jahren beschlossen und treten nun nach einigen Verzögerungen mit 1. Jänner 2023 in Kraft“, erklärte Knaus: „Sie bedeuten für uns einen großen administrativen Mehraufwand“. „Durch die Umstellung läuft alles über die Europäische Arzneimittelagentur EMA, und nicht wie bisher über die österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit AGES“, berichtete Willeit:  „Wir haben als winzige akademische Institutionen die gleichen Hürden und Auslagen bei klinischen Versuchen wie große Pharmakonzerne.“

Problem 4: Keine Riesenkapazitäten und wenige Patienten

Während es bei den Pharmafirmen ganze Abteilungen gibt, die sich um die Antragsformalitäten kümmern, ist das für akademischen Forscher, die meist zusätzlich in der Klinik arbeiten, in der Regel eine Beschäftigung für viele lange Abende nach Dienstschluss und Wochenenden, berichtet Knaus: „Man muss sich klar sein, dass es ein enormer Zeitaufwand ist, eine klinische Studie hauptverantwortlich aufzusetzen.“ Außerdem sei es oft schwierig, in einem einzigen medizinischen Zentrum genügend betroffene Personen zu finden, um „robuste, statistisch signifikante Effekte“ beobachten zu können. Bei einer Psilocybin Studie müssten man zum Beispiel außerdem Patienten finden , die mitmachen wollen, obwohl sie gerade eine schwere Depression durchmachen und möglicherweise ‚nur‘ in der Placebogruppe landen“, so der Mediziner.

„Man muss sich klar sein, dass es ein enormer Zeitaufwand ist, eine klinische Studie hauptverantwortlich aufzusetzen“ Hans Günther Knaus

Ausweg 1: Gemeinsame Studien mit vieler Zentren

Genau so wie bei vielen anderen medizinischen Forschungsgebieten gäbe es daher einen Trend, dass sich mehrere internationale Institutionen für eine klinische Studie zusammenschließen. Bei solchen „multizentrischen Studien“ könnte ein größeres Zentrum die Administration samt der wichtigsten Behördenwege übernehmen und die einzelnen akademischen Institutionen sich auf die eigentliche Forschung konzentrieren. „Typischerweise kann man dann das Studienprotokoll der leitenden Institution übernehmen und muss sich nur mehr etwa um die Genehmigung der lokalen Ethikkommission kümmern“, so Knaus: „Außerdem hätte man dann wohl weniger Probleme, eine GMP-konforme Studienmedikation aufzutreiben.“ Er erwartet, dass sich österreichische Forscher durchaus an großen, internationalen, multizentrische Studien beteiligen können, wenn diese in naher Zukunft Realität werden. Er habe bei den lokalen Psychiatern vorgefühlt, diese wären teils durchaus an solchen Studien interessiert.

Kein Problem 1: Die Ethik würde zustimmen

Von Seiten der Ethik gäbe es keine generellen Bedenken für die Forschung mit Psychedelika, erklärte Knaus, der selbst in der Ethikkommission der Meduni Innsbruck tätig ist: „Es wäre laut unserer Geschäftsstelle keine besondere Sache, wenn ein Studienprotokoll mit psychedelischen Wirkstoffen wie Psilocybin für eine klinische Eigenstudie vorgelegt würde.“

Kein Problem 2: Die Kompetenz der Behörden

Auch für die zuständigen österreichischen Arzneimittelbehörden, das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) und die AGES Medizinmarktaufsicht (MEA) wäre eine Studie mit Psychedelika „eine Arzneimittelstudie wie viele andere“, meint Knaus. Ihnen würde es nicht an Kompetenz fehlen, eine klinische Studie zu diesen Wirkstoffen „entsprechend gut abzuarbeiten.“

Kein Ausweg 1: Studien in Schwellenländern

Von Überlegungen, die aufwendigen Regularien (die unter anderem probaten Patientenschutz gewährleisten) zu umgehen, indem man in Länder ausweicht, wo „die Standards nicht jenen der EU oder anderer hochregulierter Märkte entsprechen“, hält Knaus nichts: Dann hat man von den generierten Daten nicht viel, denn man kann sie nicht in genau jenen Ländern nutzen, die man eigentlich versorgen will. Ziel der Mediziner sei es schließlich, die hiesigen Patienten mit sicheren Medikamenten zu versorgen, und um dies zu erreichen, ist eine Flucht ins weniger regulierte Ausland kein gangbarer Weg.

Ausweg 2: Hilfe von Anstaltsapotheken und Koordinationszentren

Außerdem gäbe es in Österreich durchaus Unterstützung für Mediziner, die klinische Studien auch mit derzeit etwas ausgefalleneren Wirkstoffen wie Psychedelika durchführen wollen. Anstaltsapotheken, die etwa von den Universitätskliniken betrieben werden, hätten in der Regel die Befugnis, Studienmedikation nach GMP-Richtlinien herzustellen. Kompetenzzentren für Klinische Studien (KKS) würden wiederum den akademischen-klinischen Forschern beratend bei der Planung, Durchführung, Auswertung, und Berichterstattungen von klinischen Studien zur Seite stehen, so Knaus.

Ausweg 3: Ketamin: Ein Narkotikum mit Zusatzwirkung

Bei einem Wirkstoff gibt es im Vergleich zu den anderen Psychedelika einen großen Vorteil: Ketamin ist ein wichtiges Narkotikum in der Human- und Tiermedizin. Vor allem bei Unfällen ist es für die Notärzte oft unverzichtbar, und wird daher von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als „unentbehrliches Arzneimittel“ bezeichnet. Ketamin hat als Zusatzwirkung  Effekte ähnlich jenen von Psychedelika, die Willeit und andere Mediziner bei ihren Patienten nutzen. „Der große Unterschied zu anderen Wirkstoffen ist, dass es Ketamin schon seit Jahrzehnten gibt und es als GMP-konforme Substanz erhältlich ist“, sagte er. Es gelte außerdem nicht als Suchtgift.

Fast ebensolange testet und nutzt er die Substanz bei therapieresistenten Patienten.  Doch heutzutage sei die Behandlung mit Ketamin etwa bei therapieresistenten Depressionen schon „Mainstream“. „Nasales Ketamin ist für die Therapie einer therapierefraktären Major Depression, besonders bei bestehender suizidaler Einengung, zugelassen“, so Knaus. Zunächst geschah dies in den USA durch die zuständige Behörde (Food and Drug Administration, FDA), und die EMA zog mit zeitlicher Verzögerung nach. Wir können damit nun erstmals Patienten, die akut suizidgefährdet sind, mit Ketamin behandeln, um sie durch eine suizidale Episode durchzubringen, sagte der Mediziner. In Zukunft würden vielleicht auch andere Psychedelika wie Psilocybin etwa bei therapieresistenten Depressionen und Angsterkrankungen einsetzbar sein, hofft er.

„Ich denke, dass die Psychedelika-Forschung in den kommenden Jahren die Psychopharmakologie erneuert“ Matthäus Willeit

Kein Ausweg 2: Die Entwicklung verschlafen und den Anschluss verpassen

„Sobald man mehr in diese Richtung denkt und arbeitet, wird man sehr Vieles lernen“, meint auch Willeit. Es würden sich nicht umsonst immer mehr Medizinforscher wieder mit Psychedelika beschäftigen und Studien damit designen. „Ein Grund dafür ist, dass schon die alten Studien sehr vielversprechende Signale zeigten“, sagte er. Dass diese Substanzen zwischenzeitlich verboten wurden, habe „viel in der Wissenschaft liegen bleiben lassen.“ Die Mediziner in den USA und Großbritannien würden diese Untersuchungen nun wieder aufgreifen und vorantreiben. „Ich denke, dass die Psychedelika-Forschung in den kommenden Jahren die Psychopharmakologie erneuert“, so Willeit.  Sonst würde den Patienten in der EU inklusive Österreich unter Umständen aus irrationalen Vorurteilen gegenüber einer Wirkstoffklasse eine bestmögliche Behandlung versagt bleiben.

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