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Mehr zum Thema / Marietta Steinhart / Freitag 31.01.25

Social Media und der „böse Wolf“

In Social Media die Schuld für Phänomene wie Polarisierung, Echokammern und Fake News zu suchen, hält die Medienexpertin Sophie Lecheler für "den easy way out".
Credit: Public Domain Der moderne Mensch, der mit Social Media aufgewachsen ist, hat nichts dagegen, vom Wolf gefressen zu werden

Am Anfang stand der Traum einer digitalen Gegenkultur und freier Kommunikation. Inzwischen genießen Social Media einen zweifelhaften Ruf als „böser Wolf“, der Polarisierung, Echokammern und Fake News in einem postfaktischen Zeitalter befeuere. In Social Media die Schuld für all das zu suchen, hält Sophie Lecheler allerdings für viel zu einfach, „weil man natürlich diesen großen ‚bösen Wolf‘ hat, der auch ein großer böser Wolf ist, aber es ist eben nicht so einfach“. Diese Phänomene gebe es schon lange, weiß die Medienexpertin vom Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien.

Eine gewisse Entwicklung sei dennoch unbeansprucht: Big Tech werde zum politischen Akteur auf der Weltbühne. „Das ist ein neuer Schritt“, sagt die Akademikerin im Gespräch mit APA-Science. „Dann haben wir nicht mehr nur Regierung und Parteien, sondern wir haben Regierung, Parteien, Plattform – und das ist beispiellos in Demokratien.“

So sehen Gewinner aus: Die US-Amerikaner haben quasi nicht nur Donald Trump ins Weiße Haus gewählt, sondern auch den Tech-Magnaten Elon Musk (Credit: APA/Getty Images via AFP/GETTY)
"Soziale Medien sind niemals unpolitisch"

 

„Soziale Medien sind Unternehmen und ein Unternehmen ist niemals unpolitisch“, betont Lecheler. Denn es operiere immer auch in sozialen, rechtlichen und politischen Regelwerken und verändere diese mit. „Die politische Verantwortung von diesen Plattformen, die ist ein großes Problem, und die wird natürlich auch ausgenutzt, wie jetzt im Fall USA mit Elon Musk, wo dann sogar die Menschen, die diese Plattformen besitzen, politische Ämter besetzen“, so die Wissenschafterin.

 

Tesla-CEO Elon Musik hat im Jahre 2022 Twitter gekauft, in X umbenannt, und fast alle Angestellten, die sich um Moderation und Sicherheit kümmerten, gefeuert. Bald schon bezieht der Verbündete von US-Präsident Donald Trump ein Büro im Weißen Haus.

Es sei kein völlig neues Phänomen, schließlich habe es in der Vergangenheit immer wieder CEOs und Mogule gegeben, die politisch aktiv wurden, erklärt Lecheler. Ebenso gab es Politiker wie den früheren italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, der sich ein Medienimperium aufbaute. „Aber der Fall Plattformen ist neu“, betont die Wissenschafterin, „weil: global, populistisch, radikal“. Solche gesellschaftspolitischen Entwicklungen seien durchaus eine Gefahr für die Demokratie, denn der Gewinner, so scheint es, ist die populistische Politik, welche die vorherrschende Verunsicherung in der Bevölkerung ausnutzt.

"Man kann diese Plattformen nicht als eine Art Unvermeidlichkeit sehen" Sophie Lecheler
Der große eXit

 

Zahlreiche heimische Medienvertreter sowie langjährige Nutzer und mehr als 60 deutschsprachige Hochschulen und Forschungsinstitutionen haben sich seit Musks Übernahme von X zurückgezogen. „Weltoffenheit, wissenschaftliche Integrität, Transparenz und demokratischer Diskurs“ wären nicht mehr gegeben, hieß es in einer gemeinsam initiierten Aussendung.

 

Lecheler hält das für die richtige Entscheidung. „Man kann diese Plattformen nicht als eine Art Unvermeidlichkeit sehen. Im Prinzip haben die Plattformen unser Leben so durchwirkt, dass es uns fast unmöglich erscheint, ohne sie zu leben, aber natürlich können wir alle ohne X leben, auch wenn X dann ein ‘Sumpf von Hass und Horror‘ wird.“ Denn das soziale Netzwerk droht nun endgültig zur Echokammer der politischen Rechten zu werden.

 

"Natürlich können wir alle ohne X leben, auch wenn X dann ein ‘Sumpf von Hass und Horror‘ wird" (Credit: APA/dpa/Fabian Sommer)

Hallo-lo-lo: Vom Mythos der Echokammern

Bei Echokammern handelt es sich um ein soziales Phänomen, dass es eigentlich schon immer gab: Menschen umgeben sich gerne mit Gleichgesinnten. „Das ist komplett menschlich“, weiß auch Lecheler. „Da war der Papa Sozialdemokrat, man hat eine bestimmte Zeitung gelesen und man hat eine bestimmte Partei gewählt, oder man war katholisch oder evangelisch.“

Social Media in diesem Zusammenhang zum Sündenbock zu küren, sei keine Lösung. Eine Studie ihrer Kollegin Hannah Metzler vom Complexity Science Hub (CSH) in Wien, legt sogar nahe, „dass die Echokammern offline, also in unserem Arbeits- und Freundeskreis, noch stärker sind als in den sozialen Medien“.

Anderen Studien hätten außerdem gezeigt, dass Journalistinnen und Journalisten in ihrer Arbeit für mehr Echokammern sorgen als Algorithmen, erzählt Lecheler. „Das Problem ist, wenn Echokammern gesetzfreie Zonen werden.“ Das sei früher nicht so gewesen. „Das haben Social Media gebracht: anonyme Echokammern, die nicht reguliert sind.

Sophie Lecheler von der Universität Wien (Credit: Universität Wien/Jakob-Moritz Eberl)
Emotionen neu denken

 

Jetzt ziehen empörende, polarisierende Inhalte natürlich viel eher Aufmerksamkeit an. „Aber es ist nicht so, dass es eine Dichotomie zwischen Fakten und Emotionen gibt“, sagt Lecheler. Emotionen seien für die Menschen immer schon extrem wichtig gewesen, auch in der Politik, „nur waren die letzten 50 bis 70 Jahre geprägt von Theorien, die Emotionen negativ gesehen haben“. In den letzten 10 bis 20 Jahren hätte sich das auch in der Wissenschaft verändert.

 

„Emotionen sind nicht notwendigerweise schlecht“, sagt die Expertin. Sie können durchaus zu positiven Erfahrungen oder Entscheidungen führen, ja selbst ein Gefühl wie Angst. „Emotionsbiologisch ist es wichtig zu wissen, ob man vom Säbelzahntiger aufgefressen wird oder nicht“, schmunzelt die Medienexpertin. „Heute sieht der Säbelzahntiger eben ein bisschen anders aus.“

 

"Emotionen sind nicht notwendigerweise schlecht" Sophie Lecheler

Was eine gute Entscheidung ist, hätte demnach nicht so so sehr mit Emotionen zu tun, sondern eher etwas mit Extremen. Das gleiche gelte für Meinungen. Mehr und mehr Wissenschafter und Wissenschafterinnen würden von einer Art „dynamischer Resilienz“ sprechen. Also die Idee, dass wir dynamische Meinungen und Emotionen haben, die nicht in Stein gemeißelt sind. „Das ist etwas, was für gesunde Demokratie sorgt“, betont Lecheler. „Nicht, dass wir keine Emotionen, oder ganz viel Wissen, oder gar kein Wissen haben, sondern dass wir dynamisch sind, dass wir miteinander sprechen können, dass wir Wut auch wahrnehmen können, genauso wie Hoffnung. Das ist gesunde Demokratie.“

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