Von Luft und Nahrung ins Blut
"Mikroplastik kann Ihre Gesundheit gefährden." - Zumindest sind die kleinen Teilchen an vielen Orten zu finden - ob in der Kletterhalle, der Atmosphäre oder Lebensmitteln - APA-Science stellt aktuelle Forschungsprojekte vor, um die Vielfalt der Ansätze und Anknüpfungspunkte an unseren Alltag aufzuzeigen.
Kletterschuhe zeichnen sich üblicherweise nicht durch Wohlgeruch aus – und in Kletterhallen machen sie tatsächlich dicke Luft, allerdings aus anderen Gründen: Forscherinnen und Forscher aus Wien und Lausanne wiesen in Boulderhallen hohe Konzentrationen von Partikeln mit potenziell schädlichen Chemikalien nach, die aus dem Abrieb der Gummisohlen der Kletterschuhe stammen. Ihre Konzentration in der Hallenluft war demnach teilweise höher als an stark befahrenen Straßen.
Thilo Hofmann von der Universität Wien, der die Forschungsgruppe leitet, stellt das Projekt vor:
Woran forschen Sie bzw. Ihr Team im Hinblick auf Mikroplastik?
Wir untersuchen die Freisetzung gesundheitsrelevanter Gummipartikel in Boulderhallen. Denn: Kletterschuhe enthalten ähnliche Gummimischungen wie Autoreifen, und zwar mit Additiven, die über den Sohlenabrieb in die Raumluft gelangen. Unser Fokus liegt auf der inhalativen Exposition, das heißt: Welche Stoffe werden eingeatmet, in welchen Konzentrationen und wie kritisch ist das für die menschliche Gesundheit?
Wie läuft das Projekt ab?
Mit einem Partikelsammler, der das menschliche Atemverhalten nachahmt, haben wir Luftproben in fünf Wiener Boulderhallen entnommen. Parallel wurden Staub- und Materialproben aus Frankreich, Spanien und der Schweiz analysiert. In Kooperation mit der EPFL Lausanne haben wir chemische Profile der Gummisohlen mit jenen aus der Reifenforschung verglichen.
Welche Erkenntnisse gibt es (bisher)?
In der Hallenluft fanden wir Konzentrationen von Gummiadditiven, die jenen an stark befahrenen Straßen ähneln – darunter auch Substanzen wie 6PPD, einen sogenannten „unsichtbaren“ Umweltschadstoff, der durch alltägliche Produkte wie Autoreifen in die Natur gelangt und dort Ökosysteme und andere Organismen schädigen kann. Besonders hohe Werte traten bei starker Frequentierung und schlechter Belüftung in den Hallen auf.
Was bedeutet das für die Zukunft?
Die Ergebnisse zeigen dringenden Handlungsbedarf: bessere Lüftung der Hallen, gezielte Reinigung, schadstoffärmere Sohlen und Aufklärung. Herstellerinnen und Hersteller sowie Hallenbetreiberinnen und Hallenbetreiber sind gefordert – erste Kooperationsbereitschaft ist da. Unser Ziel: gesünderes Klettern durch wissenschaftlich fundierte Lösungen.
Ansprechperson:
Univ.-Prof. Dr. Thilo Hofmann, Universität Wien, thilo.hofmann@univie.ac.at
Luftverschmutzung von der Quelle bis zur Senke
Auch der Transport von Mikroplastik durch die Atmosphäre wirft noch viele Fragen auf. Die potenziellen Umweltschadstoffe sind neben Wüstenstaub, Luftverschmutzung aller Art und anderen Aerosolen nur schwer erfassbar. In mehreren Projekten an der Uni Wien wird unter anderem untersucht, wie die physikalischen Eigenschaften von Mikroplastik-Partikeln ihren Transport in der Atmosphäre beeinflussen, woher die Emissionen stammen und inwieweit Mikroplastik etwa die Wolkenbildung beeinflussen kann.
Alessandra Cera, Daria Tatsii, Silvia Bucci, Ioanna Evangelou, Alina Reininger, Andreas Stohl (Leiter der Forschungsgruppe) von der Universität Wien über die Projekte:
Woran forschen Sie bzw. Ihr Team im Hinblick auf Mikroplastik?
Mikroplastik kann in der Luft, die wir atmen, vorkommen. Aber woher kommt es? Unser Forschungsteam für atmosphärische Transportprozesse am Institut für Meteorologie und Geophysik der Universität Wien arbeitet an:
- der Schätzung der Mikroplastik-Emissionen (S. Bucci, I. Evangelou),
- dem Verständnis, wie die physikalischen Eigenschaften von Mikroplastik-Partikeln ihren Transport in der Atmosphäre beeinflussen, (D. Tatsii, A. Reininger),
- und an der Analyse, inwieweit Mikroplastik atmosphärische Prozesse wie die Wolkenbildung beeinflussen kann. (D. Tatsii)
Dafür verwenden wir ein fortschrittliches Modell, mit dem wir den Transport von Mikroplastik in der Atmosphäre simulieren können. Dieses Werkzeug hilft uns auch, Gebiete mit höherem Risiko für Mikroplastikverschmutzung zu identifizieren.
Für unsere Simulationen benötigen wir genaue Messungen, wo wie viel Mikroplastik in der Luft schwebt. Das ist jedoch derzeit noch eine Herausforderung: Bis jetzt gibt es nicht genügend Daten über die Menge an Mikroplastik, die durch Menschen und ihre Tätigkeiten freigesetzt wird. Zum Beispiel bestehen unsere Kleidungsstücke größtenteils aus Kunststoffen (wie Polyethylen, Polypropylen und vielen anderen), und durch die Reibung beim Tragen werden Kunststofffasern freigesetzt. In dicht besiedelten Gebieten, wie Städten, kann dieses Phänomen sehr ausgeprägt sein. Unser Team hat neue Werkzeuge entwickelt, um diese Informationen zu sammeln und die allgemeine Mikroplastik-Luftverschmutzung in Wien zu bewerten.
Es ist auch bekannt, dass Mikroplastik lebende Organismen in Ozeanen, Flüssen und Seen beeinträchtigt. Um die Wasserqualität und die Gesundheit der Lebewesen zu schützen, ist es wichtig, die Quellen von Mikroplastik zu identifizieren, um deren Freisetzung zu stoppen. In diesem Sommer messen wir die Verschmutzung des Wassers mehrerer österreichischer Seen und gleichzeitig die Menge und Art von Mikroplastik, das an ihre Ufer gelangt ist. Wir werden diese Messungen kombinieren, um zu analysieren, welchen Beitrag in der Luft schwebendes Mikroplastik zur Gesamtverschmutzung der Seen leistet.
Wie läuft das Projekt ab?
Das Forschungsteam für atmosphärische Transportprozesse an der Universität Wien untersucht seit mehreren Jahren den atmosphärischen Transport von Mikroplastik. Dabei verwenden wir das Lagrange-Partikel-Dispersion-Modell FLEXPART und haben mehrere hochrangige wissenschaftliche Artikel veröffentlicht.
Das aktuelle EU-finanzierte Projekt „FLOAT“, das von Alessandra Cera und Andreas Stohl geleitet wird, kombiniert nun FLEXPART-Simulationen mit Messungen von Mikroplastik im Seewasser und der atmosphärischen Ablagerung. Das Projekt endet im November 2026. Weitere Informationen sind unter folgendem Link verfügbar: Analyse von FLOATing Mikroplastik: von der Atmosphäre zu Seen – Universität Wien.
Welche Erkenntnisse gibt es (bisher)?
Die Ergebnisse unseres Forschungsteams zeigen, dass Mikroplastik aufgrund seiner geringen Größe, niedrigen Dichte und Formen weltweit in der Atmosphäre verbreitet sein kann. Mikroplastik kann durch den Wind über lange Strecken transportiert und in abgelegenen Regionen abgelagert werden. Die Form beeinflusst die Verbreitung von Mikroplastik erheblich: Eine Mikroplastik-Faser oder ein Glitzerpartikel kann beispielsweise viel weiter transportiert werden als ein kugelförmiges Teilchen.
Unser Team arbeitete zudem an Schätzungen der Mikroplastikemissionen aus dem Ozean, dem Straßenverkehr und der Emission von Mikroplastik, das mit mineralischem Staub in trockenen Regionen vermischt wird. Im Rahmen eines Projektes des Hochschuljubiläumsfonds der Stadt Wien („Do we breathe our clothes?“), das von Silvia Bucci geleitet wird, arbeiten wir nun daran, die Menge an Mikroplastik zu bewerten, die durch Kleidung freigesetzt wird; und natürlich auch weiterhin an Untersuchungen von Mikroplastik in der Atmosphäre, um die Quellen, die Verbreitung und die Expositionsniveaus für Organismen, einschließlich Menschen, besser zu verstehen. Die Ergebnisse dieser verschiedenen Studien werden dann auch in das FLOAT-Projekt einfließen.
Was bedeutet das für die Zukunft?
Die Ergebnisse unserer Forschung werden unser Wissen über die Verteilung von Mikroplastik erweitern und hoffentlich solide Grundlagen für bessere Strategien zur Verringerung von Verschmutzung und effektive Maßnahmen zum Schutz der Umwelt schaffen.
Ansprechperson:
Dr. Alessandra Cera, Universität Wien, alessandra.cera@univie.ac.at
Wieviel Plastik essen wir?
Von trüben Fruchtsäften bis zu komplexeren Lebensmittel aus der Milch-, Fisch- und Fleischverarbeitung: Im Projekt „Microplexfood“ wird KI-unterstützt an neuen Analysemethoden gearbeitet, um Mikroplastik nachzuweisen, zu quantifizieren und zu charakterisieren. Außerdem sollen Richtlinien entwickelt werden, um Verunreinigungen zu vermeiden.
Michael Washüttl und Barbara Zottl vom OFI – Österreichisches Forschungsinstitut für Chemie und Technik stellen das Projekt vor:
Woran forschen Sie bzw. Ihr Team im Hinblick auf Mikroplastik?
Mikroplastikpartikel sind in der Umwelt allgegenwärtig und können über verschiedene Wege in die menschliche Nahrungsmittelkette gelangen. Jüngste Studien haben ihr Vorkommen in einer Reihe von Lebensmitteln bestätigt. Über das tatsächliche Ausmaß der Mikroplastik-Kontamination in komplexen Lebensmittelmatrizes (z.B. Milchprodukte, Fisch, Fleisch, trübe Getränke) ist mangels standardisierter Analysemethoden derzeit allerdings nur wenig bekannt. Durch die Entwicklung von innovativen, reproduzierbaren und harmonisierten Methoden, um Mikroplastik in komplexen Lebensmittelmatrizes nachzuweisen, zu quantifizieren und zu charakterisieren, zielt das ACR-Institut OFI im Projekt „MICROPLEXFOOD“ darauf ab, diese Lücke zu schließen.
Wie läuft das Projekt ab?
Der wissenschaftliche Ansatz des Projekts basiert auf einer mehrstufigen Methodik, die Probenvorbereitung, fortschrittliche Nachweistechniken und eine KI-unterstützte Datenauswertung integriert:
1. Probenvorbereitung und -aufreinigung: Entwicklung von breit anwendbaren enzymatischen und chemischen Denaturierungsprotokollen sowie von modularen Reinigungsabläufen
2. Nachweis und Identifizierung: Anwendung und Harmonisierung der drei vielversprechendsten schwingungsspektroskopischen Techniken für die Bestimmung von Mikroplastik: Mikro-Fourier-Transform-Infrarot-Spektroskopie & Mikro-Raman-Spektroskopie (partikelbasiert) und Pyrolyse-GC/MS-Ansatz (massenbasiert)
3. Datenanalyse und -visualisierung: Entwicklung von Machine Learning Algorithmen, um Mikroplastik-Partikel automatisiert zu klassifizieren und zu visualisieren
4. Rückverfolgung der Quelle und Strategien zur Eindämmung: systematische Analyse der Mikroplastik-Kontamination entlang des gesamten Lebensmittelproduktionszyklus und Ableitung von Richtlinien, um Verunreinigungen zu vermeiden
Welche Erkenntnisse gibt es (bisher)?
Aufbauend auf dem Vorgängerprojekt „mikroplasticATfood“, in dem robuste Methoden zum Mikroplastik-Nachweis in löslichen Lebensmittelmatrizes entwickelt wurden, lieferte „MICROPLEXFOOD“ bereits zahlreiche wertvolle Ergebnisse:
– Erfolgreiche Testung der enzymatischen Probenvorbereitung für Milchprodukte und Joghurt
– Erste Verfahren zur Entfernung der dabei identifizierten Störfaktoren (v.a. Stearate)
– Entwicklung und Einsatz von standardisierten Denaturierungsprotokollen für Fisch- und Fleischprodukte sowie trüben Getränken
– Weiterentwicklung der Machine-Learning-Software „microparticlesAI“
Was bedeutet das für die Zukunft?
Im Gegensatz zu früheren Studien, die sich in erster Linie auf einfache Lebensmittel konzentrierten, befasst sich „MICROPLEXFOOD“ erstmals umfassend mit der großen Herausforderung von Lebensmitteln mit hohem Protein-, Fett- und Partikelgehalt. Der innovative Ansatz kombiniert hochentwickelte enzymatische und chemische Reinigungsprotokolle mit multimodalen Analysetechniken und bietet eine zuverlässige und reproduzierbare Methode für den Mikroplastik-Nachweis in verschiedenen Lebensmittelkategorien. Durch die Kombination von Spitzentechnologien mit interdisziplinärem Fachwissen setzt das Projekt neue Standards und ebnet den Weg für eine nachhaltige, sichere und transparente Lebensmittelproduktion.
Ansprechpersonen:
Michael Washüttl (michael.washuettl@ofi.at) und Barbara Zottl (barbara.zottl@ofi.at) vom OFI – Österreichisches Forschungsinstitut für Chemie und Technik, Mitglied im ACR-Forschungsnetzwerk
Schadet Mikroplastik der Gesundheit?
Was die kleinen Partikel in unserem Organismus und speziell in unserem Darm auslösen oder anrichten, wird im Rahmen des Projekt „microOne“ am Grazer CBmed mit 20 nationalen und internationalen Partnern unter die Lupe genommen. Wie reichert sich Mikro- und Nanoplastik im menschlichen Körper an? Trägt das zur Krebsentstehung oder auch zur Metastasierung im menschlichen Körper bei?
Lukas Kenner, MedUni Wien, und Angela Horvath, CBmed Graz, erläutern das Projekt:
Woran forschen Sie bzw. Ihr Team im Hinblick auf Mikroplastik?
Das Projekt microONE beschäftigt sich mit der Frage, wie Mikro- und Nanoplastikpartikel (MNPs) im menschlichen Körper wirken – insbesondere im Zusammenhang mit Krebs. Ziel ist es, neue Methoden zum Nachweis von Kunststoffpartikeln in Blut, Gewebe, Stuhl und Urin zu entwickeln und die Auswirkungen auf das Zellverhalten, die Immunantwort und die Tumorentwicklung besser zu verstehen. Unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Lukas Kenner und Dr. Angela Horvath untersucht das interdisziplinäre Team insbesondere, wie MNPs in Zellen eindringen, dort verbleiben und möglicherweise pathologische Prozesse beeinflussen.
Wie läuft das Projekt ab?
Das Projekt verläuft in mehreren Abschnitten. Zunächst werden realitätsnahe Referenzpartikel in verschiedenen Größen, Materialien und mit Markierung hergestellt. Anschließend werden standardisierte Nachweisverfahren für biologische Proben entwickelt. Diese Partikel werden dann in Zellkulturen, Organmodellen und Tiermodellen getestet. Dabei erforschen wir, ob und wie MNPs beispielsweise die Darmbarriere überwinden, sich im Körper ausbreiten oder die Blut-Hirn-Schranke passieren können. Darüber hinaus arbeiten im Rahmen des COMET-Moduls mehr als 20 Partnerinstitutionen aus Wissenschaft und Industrie zusammen, um ein umfassendes Bild der Gesundheitsrelevanz von Mikroplastik zu zeichnen. Das Projekt hat eine Laufzeit bis Ende 2025.
Welche Erkenntnisse gibt es (bisher)?
Erste Ergebnisse zeigen, dass Nanoplastikpartikel (<1 µm) von menschlichen Dickdarmkrebszellen aufgenommen werden, sich in deren Lysosomen anreichern und bei der Zellteilung weitergegeben werden. In Dickdarmkrebs-Modellen wurde festgestellt, dass diese Partikel die Zellwanderung fördern können – ein zentraler Mechanismus der Metastasierung. Darüber hinaus haben In-vitro-Modelle gezeigt, dass Nanokunststoffpartikel die Blut-Hirn-Schranke innerhalb von Stunden überwinden können, wobei die Zusammensetzung der sogenannten „biomolekularen Korona“ eine entscheidende Rolle spielt. Diese Erkenntnisse legen nahe, dass MNPs nicht nur lokal, sondern auch systemisch wirken können.
Was bedeutet das für die Zukunft?
Für die Zukunft bedeutet dies, dass die Forschung nicht nur Werkzeuge für den Nachweis von Mikroplastik im klinischen Bereich liefert, sondern auch Erkenntnisse über potenziell schwerwiegende gesundheitliche Folgen. Damit schafft microONE die Grundlage für neue Diagnosemethoden, Vorsorgestrategien und mögliche politische Regelungen im Umgang mit Kunststoffprodukten. Die Ergebnisse unterstreichen die Dringlichkeit, die Umweltbelastung durch Mikroplastik zu reduzieren – im Interesse der öffentlichen Gesundheit und der Medizin.
Ansprechpersonen:
Univ.-Prof. Dr. Lukas Kenner (lukas.kenner@meduniwien.ac.at), MedUni Wien, und Dr. Angela Horvath (angela.horvath@cbmed.at), CBmed Graz