apa.at
Mehr zum Thema / Clemens Zimmermann / Mittwoch 30.04.25

Wie (noch) mehr Menschen zum Zug kommen

Mehr öffentlicher Verkehr und damit Fahrgäste in der Bahn: Dieser Trend ist auch in Österreich festzustellen. Im Hinblick auf Preise und Infrastruktur müsse man sich dabei im internationalen Vergleich nicht verstecken – gerade das Klimaticket und das große Nachtzug-Angebot der ÖBB sind Vorzeigeprojekte. Was Menschen zum Umstieg auf die Bahn bewegt und wie höhere Auslastungen bewältigt werden können, erklären Fachleute im Gespräch mit APA-Science.
Credit: APA (Steinmaurer) Bestehende Kapazitäten müssen künftig besser genutzt werden

„Bahnfahren ist grundsätzlich eine sehr ideologiefreie Mobilität“, sagt Christian Gratzer, Sprecher des Verkehrsclub Österreich (VCÖ). Einzelpersonen fahren mit dem Zug, wenn er mit dem Auto zeitlich gut mithalten kann oder angenehmer ist. Die nutzbare Reisezeit – etwa zum Arbeiten oder Lesen – sei dabei ein weiteres zentrales Argument fürs Bahnfahren.

„Eine österreichische Besonderheit ist das Klimaticket – das hat zu viel mehr Fahrgästen in den Zügen geführt“, so Frank Michelberger, Leiter des Departments Bahntechnologie und Mobilität der FH St. Pölten. Für viele habe sich der Preis drastisch verringert, während sie mehr Verkehrsmittel nutzen können. So stehe oft der ökonomische Anreiz im Vordergrund, etwa im Vergleich zum Auto, nicht unbedingt der Klimaschutz.

Frank Michelberger; Credit: Fotostudio WILKE
Kapazitätsverbesserungen durch KI und Digitalisierung

Der Bedarf steige also – auch aufgrund des Wunsches der Politik, mehr Menschen zum Bahnfahren zu bewegen. „Jetzt überall neue Strecken zu bauen, wird es aber wahrscheinlich nicht spielen. Deswegen muss an allen Ecken und Enden geschaut werden, wie man bestehende Kapazitäten besser nutzen kann“, sagt Michelberger. Da kommen Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI) ins Spiel.

 

Großes Potenzial bietet KI im Bereich des Verkehrsmanagements: Die Fahrzeiten sind schon jetzt sehr dicht getaktet. Dies funktioniere auch gut, wenn alles nach Plan läuft. „Im Abweichungsfall muss ein Mensch sehr kurzfristige Entscheidungen treffen – mit weitreichenden, unübersichtlichen Konsequenzen und Kettenreaktionen“, erklärt Michelberger. In diesem komplexen Handlungsfeld gibt es schon jetzt Unterstützungstools, in Zukunft will man noch leistungsfähigere Rechenprozesse bewältigen. „Sehr vielfältige Informationen zusammenzuführen ist das, was gerade passiert und wo KI-Unterstützung sehr vielversprechend ist“, so Michelberger weiter.

Die Modernisierung betrifft auch Zugsicherheitssysteme: Das Schienennetz ist in Korridore eingeteilt, erst wenn ein Zug einen solchen Korridor verlassen hat, darf der nächste einfahren. Moderne Systeme ermöglichen es, diese Abstände zu verkürzen und gewährleisten trotzdem hohe Sicherheit. Damit könnten auf der gleichen Strecke mehr Züge fahren. „Die laufende Implementierung solcher Systeme ist eine aufwendige Geschichte, die sicher noch viele Jahre dauern wird“, erläutert Gratzer.

Reisezeit, Pünktlichkeit und Erreichbarkeit sind Fahrgästen wichtig

Die Coronapandemie hatte extreme Auswirkungen auf den Bahnverkehr, aber auch seitdem gibt es Verlagerungen: „Wenn früher der Freitag meist die Rückreisezeit von Wien in die Bundesländer war, ist es jetzt eher schon der Donnerstag, da viele Homeoffice machen. Ähnliches gilt umgekehrt für Sonntag und Montag“, sagt Michelberger. Diese gesteigerte Flexibilität im Arbeitsalltag ist für die Auslastungen der Bahn somit ein positiver Faktor.

Was sich Fahrgäste generell wünschen und wie zufrieden sie sind, wurde zuletzt 2024 mit dem „VCÖ-Bahntest“ erhoben, einer Fahrgastbefragung mit über 10.000 Teilnehmenden. Ganz wesentlich sei die Gesamtreisezeit – von der Haustür bis zum Ziel. Zudem müssen Fahrpläne und Anschlussverbindungen optimal abgestimmt sein und kommunizieren können. „Falls mein Zug Verspätung hat, darf mir mein Regionalbus nicht vor der Nase wegfahren“, so Gratzer. Viel mehr Menschen würden zudem mittlerweile in Teilzeit arbeiten, während sich der Fahrplan oft noch an „klassischen“ Pendelzeiten orientiert.

„Wenn man ein Auto braucht, um überhaupt zum Bahnhof zu kommen, kann ich gut verstehen, wenn man gleich weiterfährt.“ Frank Michelberger, Leiter des Departments Bahntechnologie und Mobilität der FH St. Pölten

Zwar sei die Bahn hierzulande im Großen und Ganzen verlässlich und pünktlich, aber moderne Garnituren mit Steckdosen, WLAN und Co. sind für Pendlerinnen und Pendler wichtig. Dabei gibt es laut Michelberger auf gewissen Strecken noch Raum für Verbesserungen. Die Verbindungen zu den Bahnhöfen sind in ländlichen Regionen außerdem stark ausbaufähig: „Wenn man ein Auto braucht, um überhaupt zum Bahnhof zu kommen, kann ich gut verstehen, wenn man gleich weiterfährt“, so Michelberger. Gerade in diesem Bereich würden automatisierte Zubringer zum Bahnhof in Zukunft großes Potenzial bieten, ergänzte Gratzer.

Fernreisen mit dem Zug im Vergleich zum Flieger selten

Im Vergleich zur Luftfahrt sei die Zahl von Fernreisenden in den Zügen noch sehr gering. Die Nachtzüge der ÖBB sind zwar eine „österreichische Spezialität“ und befeuert durch die Klimabewegungen hat ein Boom dieses Verkehrsmittels eingesetzt. „Aber es wird wahrscheinlich trotzdem ein Nischenprodukt bleiben“, prognostiziert Michelberger. Denn die Preise seien mit der Nachfrage gestiegen. Auch bei Komfort, Reisezeit und Pünktlichkeit sieht er stellenweise noch Aufholbedarf.

 

Die Nachfrage nach Zug-Fernreisen sei trotzdem größer als das Angebot. „Innerhalb Europas könnten viele Flüge ersetzt werden, wenn es ein gutes, schnelles Bahnnetz gäbe. Das haben die EU und ihre Mitgliedsstaaten in den vergangenen zehn Jahren leider sträflich vernachlässigt“, sagt Gratzer.

Christian Gratzer; Credit: VCÖ/Rita Newman

Ein weiterer Nachteil der Bahn in diesem Bereich ist, dass internationale Buchungen nicht einheitlich gestaltet sind. „Ich muss in jedes Land und zu jedem Betreiber gehen, jeder hat andere Tarife, Tools und Websites“, so Michelberger: „Im Vergleich zum One-Stop-Shop der Luftfahrt ist das einfach nicht konkurrenzfähig.“ Das wurde 2022 an der FH St. Pölten auch im Rahmen eines Forschungsprojektes untersucht: 76 Probandinnen und Probanden haben für 46 europäische Reiserouten Tickets für sowohl Bahn als auch Flugzeug gebucht. Das Ergebnis: Die Misserfolgsquote war bei der Bahn zehnmal höher als beim Flugzeug und die Buchungen dauerten deutlich länger.

 

Service:

VCÖ-Bahntest
Ticketing-Studie
Greenpeace: “Zug vs. Flug”

Stichwörter