Betreute Kinder- und Jugend-WGs: Ländersache mit Bildungslücken
Die Volksanwaltschaft hat im Rahmen ihrer Tätigkeit 131 sozialpädagogische Wohngemeinschaften in ganz Österreich besucht. Volksanwalt Bernhard Achitz (SPÖ) ortete dabei "Alarmsignale", denn in 41 Prozent der Einrichtungen kam es im Zeitraum von sechs Monaten zu Polizeieinsätzen, in 42 Prozent wurden jungen Bewohner in die Psychiatrie eingewiesen. Beim Personal gab es nur bei 50 Prozent eine sozialpädagogische Ausbildung - eine Anhebung der Standards wäre ratsam.
Insgesamt gibt es in ganz Österreich rund 8.000 derart betreute Minderjährige - wer diese dann betreut, das regeln die Bundesländer - und so könnte etwa in Tirol auch ein Lebensberater oder eine Lebensberaterin diese Aufgabe übernehmen. "Oftmals gibt es Bewerber ohne ein Praktikum, oder gar solche, die vielleicht noch nie ein Kind aus der Nähe gesehen haben", brachte Bettina Terp, Präsidentin der FICE Austria, die Misere aufgrund fehlender Ausbildungsstandards in dieser Berufsgruppe auf den Punkt.
Curriculum gegen Ausbildungsmängel
FICE steht für "International Federation Of Educative Communities" und Ziel des 1968 gegründeten nationalen Vereins ist es, "die Qualität der Arbeit im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe" weiterzuentwickeln - zum Wohle aller Beteiligten. Um den Ausbildungsmängeln beim WG-Personal zu begegnen, entwickelte FICE in den Jahren 2021 bis 2022 ein Curriculum, das die "duale praxisorientierte Weiterbildung von Fachkräften in der stationären Kinder- und Jugendhilfe" zum Zweck hat und von der Volksanwaltschaft empfohlen wird.
Christian Posch, klinischer und Gesundheits-Psychologe sowie Präsident der FICE Austria, beschrieb die Weiterbildung unter anderem als eine "spezielle Reflexion der Praxis, einer Reflexion der Persönlichkeit und deren Entwicklung", denn die Arbeit in betreuten WGs könne sehr wohl "sinngebend und befriedigend", sein. Die Kultur- und Sozialanthropologin und FICE-Vorstandsmitglied Monika Lengauer sieht jedoch einen Mangel in der öffentlichen Debatte "über das breite Handlungsfeld" dieser Tätigkeit - und gerade sozial benachteiligte Jugendliche kämen in dieser wenig vor, obwohl der gesellschaftliche Wert bedeutend sei: den Mehrkosten für eine qualitative Verbesserung ihrer Lage stünde ein sozialer "Return on Investment gegenüber, der etwa durch verhinderte Arbeitslosigkeit oder Gefängniskosten gegeben sei.
Personalmangel ist ein großes Problem
Jedoch ist die Ausbildung nicht das einzige Problem, auf das die Volksanwaltschaft aufmerksam machen will, denn der Personalmangel setzt selbst der theoretisch besten Schulung Grenzen. "Oft ist ein Weiterbildungsangebot theoretisch zwar vorhanden, in der Praxis aber nicht nutzbar", erläuterte Achitz - oftmals wurde der Kontrollkommission hier die Erklärung dafür mit der Corona-Pandemie gegeben, jedoch sei das Personal zeitlich durch "ständige außerordentliche Dienste" auch ohne dieses Hindernis nicht in der Lage, diese zu nutzen.
Personalmangel bedeutet im Fall einer sozialpädagogischen WG, dass die Betreuenden einer permanenten Überforderungssituation ausgesetzt seien, frühe Kündigungen sind die Folge, oder eben die häufigen Einsätze. Denn "zu wenig Personal und zu wenig qualifiziertes Personal führt dann in der Praxis dazu, dass acht Kinder von einem Mitarbeiter oder vielleicht von zwei betreut werden", erläuterte Herbert Siegrist, Geschäftsführer des gemeinnützigen Verein Arbeitskreis Noah. Bevor man sich schuldig mache, würde dann lieber der Amtsarzt gerufen. Zudem hätten viele der Kinder und Jugendlichen Psychopharmaka verschrieben bekommen, ein hoher Prozentsatz sei dies, und das Absetzen der Medikamente hätte dann entsprechende Folgen.
Insgesamt wurde die Problematik in der Kinder- und Jugendhilfe jedenfalls nicht kleiner, 2021 lag die Zahl betreuter Minderjähriger bei 41.726, ein Anstieg von 8,4 Prozent gegenüber 2020, bei 12.871 war Vollbetreuung notwendig, rund 5.000 davon wurden bei Pflegefamilien untergebracht, alle anderen in den WGs.