Neue Erkenntnisse zur Bruchmechanik: wichtige Annahmen erstmals experimentell validiert
Die Widerstandsfähigkeit eines Materials gegen das Fortschreiten eines Risses spielt eine zentrale Rolle im Ingenieurwesen - sei es beim Bau von Flugzeugen, Gebäuden oder in der Mikroelektronik. Eine entscheidende Kenngröße zur Messung und Bewertung dieses Widerstandes ist das sogenannte J-Integral. Forscher der Montanuniversität Leoben haben nun experimentell bewiesen, dass dieses Konzept nicht universell gültig ist.
Großer Einfluss auf moderne Materialsysteme
Einem Forschungsteam unter der Leitung von Markus Alfreider und Michael Meindlhumer vom Department Werkstoffwissenschaft der Montanuniversität Leoben ist es erstmals gelungen, die Grenzen des J-Integrals experimentell zu untersuchen. Um die komplexen Materialreaktionen von Werkstoffen auf das Risswachstum besser zu verstehen, führte das Team zwei hoch spezialisierte in situ Verformungsexperimente durch: eines im Rasterelektronenmikroskop und eines mittels Röntgenbeugung an der ID13 Nanofocus Beamline des European Synchrotron (ESRF). Durch diese präzisen Messmethoden konnten die Spannungen und Verformungen des Materials auf Nanoebene sichtbar gemacht werden.
Die Ergebnisse der Forschung zeigen, dass das J-Integral nicht in allen Fällen eine allgemeingültige Kenngröße zur Beschreibung der Bruchzähigkeit ist. Besonders in höchstfesten nanokristallinen Multikomponentenlegierungen mit sogenanntem "true strain-softening", also einem ungewöhnlichen Verformungsverhalten, verliert das J-Integral in der Nähe eines Risses seine Gültigkeit. Damit steht fest: In modernen Materialsystemen kann das J-Integral nicht ohne detaillierte Analyse als Bruchzähigkeitsparameter herangezogen werden.
Bedeutung für technologische Anwendungen
"Wir haben festgestellt, dass es Werkstoffarten gibt, bei denen diese Theorie nicht mehr funktioniert - insbesondere bei mikroelektronischen Komponenten, wie sie etwa in Smartphones vorkommen", erklärt Prof. Daniel Kiener vom Lehrstuhl für Materialphysik der Montanuniversität Leoben.
Diese grundlegende Erkenntnis wird großen Einfluss auf das Design technologisch relevanter Bauteile haben. Besonders betroffen sind miniaturisierte Heterostrukturbauteile, etwa in der Mikroelektronik, da hier von etablierten Theorien abweichende Materialverhalten auftreten können.
Vollständigen Arbeit: Meindlhumer, M., Alfreider, M., Sheshi, N. et al. Resolving the fundamentals of the J-integral concept by multi-method in situ nanoscale stress-strain mapping. Commun Mater 6, 35 (2025). https://doi.org/10.1038/s43246-025-00752-z
Dr. Daniel Kiener Department Werkstoffwissenschaft Lehrstuhl für Materialphysik E-Mail: daniel.kiener@unileoben.ac.at Dr. Markus Alfreider Department Werkstoffwissenschaft Lehrstuhl für Materialphysik E-Mail: markus.alfreider@unileoben.ac.at Dr. Michael Meindlhumer Department Werkstoffwissenschaft Lehrstuhl für Materialphysik E-Mail: michael.meindlhumer@unileoben.ac.at