Forscher: Regierung verprellt zunehmend auch Corona-Regeltreue
Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie spalten seit Monaten die Bevölkerung. Immer mehr Menschen sind sie zu streng oder aber zu lasch, zeigen Daten des "Austrian Corona Panel Project" der Uni Wien. "Das Hauptproblem ist, dass die Regierung trotzdem weiter versucht, es allen recht zu machen", sagt Studienmitarbeiter Jakob-Moritz Eberl. Ergebnis sei ein Schlingerkurs, mit dem zunehmend auch Menschen, die die Coronaregeln grundsätzlich befürworten, verprellt werden.
Statt im Sinne einer konsequenten Politik über manche Meinungen hinwegzugehen - immerhin jeder sechste Österreicher hält laut der regelmäßig durchgeführten Panelstudie das Coronavirus auch nach einem Jahr für nur etwa so gefährlich wie die Grippe -, ändere die Regierung ständig ihre Erzählung und auch die Spielregeln, erklärte Kommunikationswissenschafter Eberl im Gespräch mit der APA.
Über Wochen hinweg habe die Regierung über Öffnungsschritte gesprochen und ein Hoffnungsszenario rund um Ostern aufgebaut, obwohl Experten schon die längste Zeit aufgeschrien hätten, dass neuerliche Einschränkungen unausweichlich sein werden. "Was wir erleben ist ein Prozess des 'Over-Promise and Under-Deliver', und das schon seit Beginn der Pandemie", verweist er etwa auf Kanzler Sebastian Kurz' (ÖVP) Sager vom "Licht am Ende des Tunnels" bereits im vergangenen Sommer.
Hoffnung gemacht und wieder zerstört
Nun werde dieser Sommer als neues Hoffnungsszenario aufgebaut - erneut mit der Gefahr, dass auch dieses nicht halten wird. "Hoffnungen machen und aufbauen, nur um sie dann später zerstören zu müssen, kann meiner Meinung nach keine langfristige Strategie sein", meint Eberl und plädiert stattdessen für kleinere, aber tatsächlich einhaltbare Ziele.
Auch bei der Frage, ab welcher Inzidenz härtere Maßnahmen ergriffen werden müssen, gebe es in Österreich keine konsequente Linie: Einmal habe hier die Zahl 50 gegolten, einmal 100, nun seien es 400, wobei zuletzt erklärt wurde, dass künftig außerdem die Zahl der belegten Intensivbetten stärker gewichtet werden soll. "Es ist nicht nachvollziehbar, wann und wie diese Sprünge erfolgen", kritisiert Eberl. Die Bevölkerung bekomme dadurch den Eindruck, dass es bei der Krisenbekämpfung ohnehin kein objektives Maß mehr gebe.
Bei Kommunikation wiederholt gepatzt
Der Inhalt der Politik sei zwar bedeutend wichtiger als die Art, wie diese kommuniziert wird, betont der Kommunikationswissenschafter. Aber auch auf Ebene der Kommunikation hat die Bundesregierung aus Eberls Sicht wiederholt gepatzt: Wenn bei Pressekonferenzen lediglich angekündigt werde, dass neue Maßnahmen kommen, aber nicht welche, sorge das für massive Verunsicherung. Hier werde "ein Klima geschaffen, das es den Bürgerinnen und Bürgern erschwert, an die Verlässlichkeit der Informationen und Entscheidungen der Regierung zu glauben". Das bedeute auch, dass viele jetzt schon nur mehr darauf warten und spekulieren, wann die nächste Verschärfungen kommen.
Schon im Dezember hat sich bei der Panelbefragung ein starkes Gefühl in der Gesellschaft gezeigt, dass die Regierung zu sehr auf Inszenierung setzt und zu wenig offen für Kritik. Schon damals hat nur gut die Hälfte der Befragten die Entscheidungen der Regierung für nachvollziehbar gehalten. Das Problem dabei: Jene, die die Regierungskommunikation als zu kompliziert, schlecht verständlich oder nicht nachvollziehbar empfinden, sind auch weniger gewillt, ihre Lebensweise zu ändern, um die Coronapandemie einzudämmen.
Schockmoment der ersten Welle vergangen
Die abnehmende Bereitschaft in der Bevölkerung, die Maßnahmen mitzutragen und einzuhalten, würde Eberl dennoch nicht vor allem auf die erratische Kommunikation der Regierung zurückführen. Hier müsse man u.a. auch die zunehmende Pandemiemüdigkeit bedenken und dass der Schockmoment der ersten Welle vergangen sei. Obwohl bei der zweiten Welle Infektions- und Sterbezahlen viel höher waren, habe die Bevölkerung die Gefahr nicht als größer wahrgenommen. Ob die Zahlen derzeit steigen, weil die Bevölkerung sich nicht an die Maßnahmen hält oder weil die falschen Maßnahmen (zu frühe und viele Lockerungen) gesetzt wurden, ist allerdings aus Eberls Sicht nicht so klar.
Die nächste große Herausforderung wird jedenfalls das Impfen: Eine Bereitschaft von 47 Prozent sei bei weitem nicht genug und gerade der für die österreichische Impfkampagne besonders wichtige Impfstoff von AstraZeneca habe zuletzt Vertrauen in der Bevölkerung verloren. AstraZeneca wird aktuell von 57 Prozent abgelehnt, damit impfen lassen würden sich sogar nur 23 Prozent - das sind weniger als mit Sputnik V, der noch nicht einmal zugelassen ist. Eberl plädiert für eine Informationskampagne zum Thema Impfen und Sicherheit von Impfstoffen, denn: "Ohne hohe Impfbereitschaft bringen uns auch die Maßnahmen auf lange Sicht wenig."
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