Global etabliertes Forschungs-Fördersystem "zu teuer und unpräzise"
Der zeit- und ressourcenintensive Prozess rund um das Einwerben von Geldern für Forschungsvorhaben - bei oft niedriger Bewilligungsquote und damit dünnen Erfolgsaussichten - ist ein weithin häufig beklagter Umstand. Ein Team um den für seine Meta-Studien bekannten Stanford-Statistiker John Ioannidis sowie Gerald Schweiger von der TU Wien zeigt nun in einem Artikel im Journal "PNAS" auf, wie es um das globale Forschungs-Fördersystem steht - mit schlechtem Zeugnis.
Die heutigen Finanzierungssysteme seien "oft teuer, zeitaufwendig und unpräzise", lautet ihr Fazit - und dies spricht wohl nicht wenigen Wissenschafterinnen und Wissenschaftern aus der Seele. Es ist bekannt, dass besonders jene in leitenden Positionen oft mehr mit dem Einwerben und Verwalten von Mitteln als mit der Forschungsarbeit selbst beschäftigt sind. Laut einer US-Studie verwenden sie durchschnittlich etwa 45 Prozent ihrer Zeit mit entsprechenden administrativen Tätigkeiten. Aber es gehe nicht nur um den Arbeitseinsatz der Forschenden selbst, sondern auch den aufwendigen, oft intransparenten sowie von vielen Faktoren - bis hin zu Voreingenommenheit - geprägten Auswahlprozess, der ebenfalls horrende Kosten verursache, sagte Erstautor Schweiger zur APA.
Mittelverteilung über Wettbewerb
Heute wird ein großer Teil aller Fördermittel weltweit im Wettbewerb verteilt. Forscherinnen und Forscher bewerben sich um Fördermittel, andere Forschende beurteilen ihre Anträge - das beschreibt den weit etablierten "Peer-Review"-Prozess. Die Studienautoren unter anderem aus den Bereichen der Statistik, Philosophie, Metaforschung und Sozialinformatik rückten nun an, um die (In-)Effizienz des Systems aufzuzeigen.
Studien in verschiedenen Forschungsdisziplinen hätten gezeigt, dass die Ausarbeitung eines einzigen neuen Antrags auf Forschungsförderung etwa 25 bis 50 Arbeitstage in Anspruch nimmt. Aufgrund niedriger Bewilligungsraten (oft nur 10 bis 25 Prozent) müssen in der Regel mehrere Anträge geschrieben werden. So könnten bisweilen bis zu 50 Prozent der Fördermittel nur für das Erstellen von Anträgen aufgewendet werden, wie eine Evaluierung von europäischen "Horizon 2020"-Programmen ergab. "Wenn man den Peer-Review-Prozess, die Verwaltungskosten für die Förderorganisationen und das Projektmanagement während der geförderten Projekte mit einbezieht, wird diese Zahl sogar noch höher", so Schweiger zur APA.
"Gibt kaum mehr schlechte Anträge"
Ein Umstand, der doch absurd erscheine, gehe der Steuerzahler oder die Steuerzahlerin selbstverständlich davon aus, dass das Geld direkt der Forschung zugute kommt, meinte Schweiger, Bauingenieur und Universitätsprofessor an der Technischen Universität (TU) Wien, der im Bereich intelligenter Systeme forscht und auch eine sozialwissenschaftlich-philosophische Ausbildung absolviert hat. Das und seine eigenen Erfahrungen hätten ihn motiviert, die Studie gemeinsam mit international renommierten Kollegen aus verschiedenen Disziplinen umzusetzen.
Zeit- und ressourcenintensiv sei nicht nur die Projektbeantragung, sondern auch die Begutachtung der Projekte und die administrative Begleitung durch Förderorganisationen. Zudem sei das Ergebnis der Auswahl von bewilligten Projekten nicht sehr zuverlässig, erklärte Schweiger. Wenn verschiedene Expertengremien mit demselben Antrag konfrontiert würden ("Schattenstudien"), kämen sie meist zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen. Studien zeigten zudem eine geringe oder gar keine Korrelation zwischen den Peer-Review-Rankings und dem späteren wissenschaftlichen Erfolg, gemessen anhand bibliometrischer Indikatoren wie etwa wissenschaftlicher Zitationen.
Peer-Review könne helfen, hervorragende Projekte zu identifizieren, meinte Schweiger. Aber heute - mit einer Szene, die gelernt habe, Anträge zu schreiben, sowie in Zeiten von Künstlicher Intelligenz (ChatGPT) - "gibt es eigentlich kaum mehr schlechte Anträge". Die große Mehrheit lasse sich also mit dieser Methode nur schwer bewerten, so Schweiger.
Verhindert risikoreichere Forschung
Wissenschaftlich belegt sei auch: Risikoreiche Forschung sowie Innovationsbereitschaft hätten es schwerer. Die Forscher warnen davor, dass über bestehende Systeme eher vorhersehbare Projekte eingereicht würden.
Es sollten jedenfalls alternative Methoden gezielt ausprobiert und wissenschaftlich evaluiert werden, raten sie. Ein - auch in Österreich bisweilen schon praktizierter - Ansatz ist etwa, Ausschreibungen so zu gestalten, dass zunächst nur ein Kurzantrag eingereicht werden muss - und der Langantrag erst bei positiver Bewertung. Ein anderer viel diskutierter Weg ist die Mittelvergabe via Lotterie und damit auch "die Vergabe mittels Zufallsgenerator": "Deutsche Kollegen schlagen etwa eine 'Lottery First' vor: Eine Lotterie entscheidet, wer einen Antrag stellen darf, der dann normal begutachtet wird", so Schweiger. Damit würden die Kosten deutlich reduziert, erläuterte der Forscher. Man könnte aber natürlich auch einfach das Globalbudget erhöhen: Forschungsgruppen an Universitäten könnten so ein höheres festes Budget erhalten und der Druck auf die Einwerbung der sogenannten Drittmittel reduziert werden.
Gibt viele gute Ideen
Das optimale System zu skizzieren, sei aber kaum möglich, schon alleine aufgrund der Komplexität und Vielschichtigkeit der Wissenschaft. Es gebe aber viele Ideen, die es wert sind, untersucht zu werden. Die Autoren fordern jedenfalls "mehr evidenzbasierte Qualitätskontrolle" und mehr Forschung zur Prozessverbesserung. Verschiedene Fördermodelle sollten über Jahre hinweg auf ihre Wirksamkeit hin analysiert werden.
Letztlich gehe es doch darum, dass die Mittel in erster Linie der Forschung zugute kommen, so Schweiger: "Ich will, dass die Top-Forscherin oder der Top-Forscher an Krebs forscht und nicht in einem Hamsterrad an Anträgen schreibt", so der TU-Forscher.
FWF-"1000-Ideen-Programm" als Positivbeispiel in Österreich
Als ein österreichisches Beispiel für ein neuartiges Bewertungsverfahren nannte der Wissenschaftsfonds (FWF) etwa sein heuer zum fünften Mal durchgeführtes "1000-Ideen-Programm". Die eingereichten Projektanträge werden dabei nach Einholung internationaler Gutachten in einem "Doppelblind-Verfahren" zufällig und anonymisiert von einer internationalen Jury bewertet. Auf Basis ihrer Empfehlungen entscheide dann das FWF-Kuratorium über die Förderungen. Im Zuge der Entscheidung komme "in einem speziellen Segment auch ein Losverfahren zum Einsatz", so der FWF gegenüber der APA: "Von den förderwürdigen Anträgen werden im ersten Schritt die am besten begutachteten Anträge bewilligt, in einem nächsten Schritt werden unter den weiteren förderwürdigen Anträgen (die sich alle auf einem vergleichbaren Niveau befinden) weitere Projekte per Losverfahren ausgewählt", so der FWF, der gleichzeitig auf seine Qualitätsstandards und Evaluierungen bei den Vergabepraktiken verwies.
Service - https://doi.org/10.1073/pnas.2407644121