Archäologen entlarven mit modernen Techniken "Mini-Suez-Kanal"-Mythos
In dem kroatischen Osor auf der Insel Cres leben heute nur rund 30 Personen - aber seit der Eisenzeit und im Römischen Reich war es eine blühende Handelsstadt. Ein internationales Team unter österreichischer Leitung forscht dort u. a. mit Fernerkundungstechniken und konnte so schon Mythen aus der 150-jährigen Erforschung der Stadt widerlegen und größere historische Zusammenhänge infrage stellen, sagte die Archäologin Nives Doneus zur APA.
Weil die Archäologie als Disziplin ursprünglich aus der Kunstgeschichte kommt, sei man lange davon ausgegangen, dass Orte wie Osor oder auch ganze Regionen, an denen keine Vielzahl von Kunstwerken gefunden worden ist, wenig zu erzählen haben. "Das stimmt aber nicht! Bis vor zehn Jahren war es methodisch einfach nicht möglich, solche Orte großflächig zu untersuchen", so Doneus. Jetzt, wo man das könne, eröffne sich für die Forschenden "eine völlig neue Welt".
Neue technologische Möglichkeiten
Küstenstädte seien generell vom stetigen Anstieg des Meeresspiegels betroffen. Zudem sind viele Landstriche mittlerweile von dichter Vegetation überwuchert. "Da braucht es Methodologie, mit der man durch den Meeresspiegel und stark überwachsene Landstriche hindurchsehen kann", sagte Doneus. Herzstück der Forschung im Rahmen des vom Wissenschaftsfonds FWF und der slowenischen Forschungsagentur ARIS geförderten Projekts sind deswegen Daten, die mit einem sogenannten flugzeuggetragenem Laserscanner gewonnen wurden. Dieser Scanner erzeugt Millionen von Messpunkten, durch welche nach komplexen Berechnungen ein dreidimensionales Bodenrelief erstellt werden kann.
Kombiniert wird diese Kartierung mit marinen geophysikalischen Messungen und der Analyse von entnommenen Bohrkernen. Dies erlaubt Rückschlüsse auf den Wandel der Landschaft und der Unterwasserareale durch natürliche Prozesse wie Sedimentation und Erosion sowie durch die Landnutzung im Umkreis der Stadt. "Bis vor zehn Jahren gab es verschiedene Spezialisten, die diese Themen getrennt angegangen sind", so Doneus. Symbolisch stehe Osor deshalb auch für eine neue Art, solche Fundorte großflächig und mit vielen Methoden gleichzeitig zu untersuchen.
Forschung zwischen Mythologie und Geschichtsmythen
Einen mythologischen Bezug auf die Argonauten hat das Städtchen auch aufzuweisen. Dessen früherer Name soll Apsoros, der Name der Insel Apsyrtides gewesen sein - nach dem von Iason laut der Sage dort ermordeten Halbbruder von Medea. "Das ist natürlich eine Sache, die wir anhand der Scans und der Sedimentsanalyse nicht untersuchen können", betonte Doneus.
Aber mit solchen Mythen, die im Rahmen der rund 150-jährigen Erforschung der Stadt aus einer Perspektive der materiellen Kultur entstanden sind, könne man anhand der auf Landnutzung und Kartierungen fokussierten Methoden aufräumen. "Nach zwei Jahren Forschung weiß ich, dass das Meiste, was über Osor geschrieben wurde, schlicht und einfach nicht stimmt", so Doneus.
Erkenntnisse zum "Mini-Suez-Kanal" und eine Überraschung
Dabei gehe es nicht nur um kleinräumige Mythen, sondern um das Verständnis der zentralen römischen Handelsrouten im Mittelmeerraum. Durch die Stadt fließt nämlich ein zehn Meter breiter, einst schiffbarer Kanal, der bis heute die Inseln Cres und Lošinj trennt und in früherer Forschung als "Mini-Suez-Kanal" bezeichnet wurde. Einerseits wurde angenommen, dass der Kanal menschgemacht sei und andererseits, dass die Stadt wegen ihm einen der wichtigsten Häfen überhaupt im heutigen Kroatien beherbergte. Denn er hätte den Seeweg erheblich verkürzt und wäre der erste Schutz vor rauem Seegang auf dem Weg von Italien nach Griechenland gewesen.
Erste Ergebnisse deuten nun daraufhin, dass beide Annahmen falsch gewesen sind. Der Kanal scheint in der Eisenzeit auf natürliche Weise durch steigendes Seewasser entstanden zu sein und die Blüte der Stadt mit ersten Befestigungen eingeläutet zu haben. Zwar sei der Hafen für die Insel sicherlich von großer Bedeutung gewesen, den Mythos von einem zentralen Handelsknotenpunkt stellt die Archäologin aber ebenso infrage: "Denn wir wissen mittlerweile, dass es nur einen relativen kleinen Hafen gab und überprüfen aktuell, ob der Kanal für große römische Frachtschiffe überhaupt schiffbar war", sagte Doneus.
Neben der Widerlegung alter Erzählungen wurden auch überraschende Erkenntnisse gemacht, "die es gar nicht geben dürfte", sagte Doneus weiter. So haben die Forschenden auf der Insel anhand von Überresten von Trockensteinmauern römische Katastervermessung belegt und mithilfe optischer Lumineszenz auf ungefähr 200 nach Christus datiert. Das widerspreche dem historischen Wissen über den ganzen kroatischen Raum - bisher dachte man nämlich, dass Orte wie Osor viel zu unbedeutend für diese aufwändige Vermessung gewesen seien. Damit würde ein komplexes System einhergehen, das politische, steuerliche und juristische Aspekte beinhaltet.
Service - Projektwebsite: https://osorbeyondthemyth.com