Bund und Länder einig über "Kindergartenmilliarde"
Bund und Länder haben sich auf eine neue 15a-Vereinbarung zur Kinderbetreuung geeinigt. Die neun Landeshauptleute unterzeichneten am Freitagvormittag bei der Landeshauptleute-Konferenz in Bregenz ein neues Papier, das bis Donnerstag verhandelt worden war. In den nächsten fünf Jahren werden jährlich 200 Mio. Euro in die Elementarpädagogik fließen. Familienministerin Susanne Raab (ÖVP) sprach von einem Meilenstein in der Frauen- und Familienpolitik.
Diese Meldung wurde aktualisiert: Neu: Kritik aus Ländern, IV, Wirtschaftskammer
Grundzüge der Einigung waren bereits am Vorabend der Konferenz bekannt geworden. Eine Einigung war deshalb "dringend", weil die aktuelle Regelung Ende August ausläuft. Zuletzt hatten die Länder noch 125 Mio. (2018/19) bzw. 142,5 Mio. (2019/20 bzw. 2021/22) vom Bund erhalten. Die Mittel, die bis 2027 an die Länder gehen, sind für Kindergarten-Pflichtjahr, Ausbau des Angebots und Sprachförderung vorgesehen. Zudem können die Länder diese Gelder flexibler als bisher einsetzen. 80 Mio. Euro jährlich sind für das Pflichtjahr reserviert (bisher 70 Mio. Euro jährlich), bei den übrigen 120 Mio. Euro ist weiter eine Kofinanzierung von Bund und Ländern vorgesehen. Etwa die Hälfte davon wird in den Ausbau des Angebots gehen, vor allem für die Unter-Dreijährigen, sowie etwa ein Fünftel für die sprachliche Frühförderung. 30 Prozent davon soll in den beiden Bereichen flexibel einsetzbar sein, bisher waren das zehn Prozent.
Förderung hängt an Öffnungszeiten
"Es war klar und wichtig, dass wir eine Folgevereinbarung brauchen", stellte Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) als aktueller Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz fest. Die getroffene Lösung werde sich insbesondere auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auswirken. Das wurde von Familienministerin Raab unterstrichen."Wir müssen in die Fläche und in die Wahlfreiheit kommen", betonte sie. Die Förderung der Institutionen hänge etwa an der Flexibilität der Öffnungszeiten (45 oder mehr Stunden pro Woche; mindestens 47 Wochen pro Jahr). Bei den Unter-Dreijährigen liege die Betreuungsquote bei 29,9 Prozent, diesen Wert wolle man verbessern. Die sprachliche Frühförderung sei auch angesichts von 70.000 Flüchtlingen aus der Ukraine wichtig, sagte Raab.
Nicht mehr enthalten ist in der 15a-Vereinbarung die Länderverpflichtung zu einem Kopftuchverbot in Kindergärten. Raab bedauerte ein entsprechendes Urteil des Verfassungsgerichtshofs, hielt aber fest: Ein Kopftuchverbot im Elementarbereich wäre rechtswidrig. "Ich halte es für grundsätzlich falsch, wenn Vier- und Fünfjährige ein Kopftuch tragen. Aber wir leben in einem Rechtsstaat", so Raab. Dass von der ursprünglich geforderten "Kindermilliarde" pro Jahr "nur" 200 Mio. Euro übrig geblieben sind, wollte sich die Ministerin nicht schlecht reden lassen. Es werde so viel Geld "wie noch nie" in die Elementarpädagogik investiert.
Wesentlicher Hebel für mehr Qualität
Grünen-Bildungssprecherin Sibylle Hamman hob gegenüber der APA die Anschubfinanzierung zur Verbesserung des Personalschlüssels als wesentlichen Hebel für mehr Qualität hervor. Diese Möglichkeit habe es zwar schon bisher gegeben, sie sei aber viel zu wenig bekannt gewesen. Die ursprünglich geplanten bundesweit einheitlichen Standards etwa bei Gruppengröße oder Personalschlüssel seien zwar am Widerstand der Länder gescheitert, im Rahmen der derzeitigen Kompetenzverteilung habe man aber das Beste rausgeholt.
Immerhin hätten die Länder sich zumindest dazu verpflichtet, sich um gemeinsame Standards zu bemühen. "Nun wird es darauf ankommen, dass die Länder auch das einlösen, wozu sie sich verpflichtet haben." Hier werde der Bund künftig genauer nachschauen, was mit dem Geld tatsächlich passiert. Dazu soll es auch einen jährlichen Bericht des Familienministeriums geben. "Wir müssen hier Druck erzeugen, dann ändert sich auch etwas für die Pädagoginnen in den Gruppen."
Oppositionskritik an neuer Vereinbarung
Die neue 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern sorgt für Kritik der Opposition. SPÖ und NEOS forderten einen Rechtsanspruch auf ganztägige Kinderbetreuung, die FPÖ kritisiert nach wie vor die Aufhebung des Kopftuchverbots. Arbeiterkammer (AK) und ÖGB stoßen sich vor allem am "Rechentrick", die jährlichen 200 Mio. Euro als "Kindergartenmilliarde" zu verkaufen. Auch aus Wien und Kärnten kam Kritik.
SPÖ-Bildungssprecherin Petra Vorderwinkler sprach in einer Aussendung von einer "Mogelpackung". "Besonders zynisch" sei der Versuch, die "kosmetische Budgeterhöhung als 'Kindergartenmilliarde'" darzustellen. "Statt einer echten Bildungsmilliarde zusätzlich pro Jahr gibt es einen Tropfen auf dem heißen Stein." Auch in fünf Jahren werde es keinen flächendeckenden Rechtsanspruch auf einen ganztägigen Platz im Kindergarten geben.
Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) gehe selbst davon aus, dass die Betreuungsquote der Unter-3-Jährigen nur um drei Prozentpunkte steigen werde - "eigentlich ein Witz", meinte Vorderwinker. Auch in eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen bzw. der Entlohnung des Kindergartenpädagoginnen und -pädagogen werde nicht investiert.
Rechtsanspruch wird eingefordert
Für die NEOS ist die neue Vereinbarung ein "Angriff auf alle Jungfamilien, die ihr Leben frei gestalten wollen". Stattdessen brauche es einen Stufenplan zur Realisierung eines Rechtsanspruchs auf einen qualitätsvollen Kindergartenplatz, so Familiensprecher Michael Bernhard bei einer Pressekonferenz.
Die geplanten 200 Mio. Euro pro Jahr würden de facto nur ein Plus von 60 Mio. Euro gegenüber der derzeit geltenden Regelung darstellen, meinte NEOS-Bildungssprecherin Martina Künsberg Sarre. "Das ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Die Frage ist aber, ob es ausreichend ist - aus unserer Sicht ist es das nicht. Eine Mrd. Euro pro Jahr wäre eine Ansage gewesen."
FPÖ-Obmann Herbert Kickl wiederum sieht den Wegfall des Kopftuchverbots als "ÖVP-Kniefall vor den Grünen". Damit würden "Kinderrechte mit Füßen getreten". Die Begründung für die Aufhebung mit der vermutlichen Verfassungswidrigkeit der Regelung sieht Kickl als "hanebüchen" an: "Was ist denn das für eine Angsthasen-Politik? Wird in Zukunft dann jedes Vorhaben verworfen, weil irgendjemand der Meinung ist, dass der VfGH wahrscheinlich dagegen sein wird?"
Entsprechend den Parteilinien kam auch Kritik aus einzelnen Ländern - trotz der Zustimmung zur Vereinbarung. "200 Millionen sind besser als 150 Millionen - das steht außer Zweifel", meinte etwa der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) in einer Aussendung. Gebraucht hätte es aber eine Milliarde pro Jahr. Der Wiener Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (NEOS) vermisste etwa einen "langfristig abgesicherten Qualitätsausbau". Die zusätzlichen Mittel begrüßte er zwar - sie würden aber für Wien keine deutliche Verbesserung bringen. "Beim insbesondere für Wien entscheidenden Faktor - der Verbesserung der Qualität durch mehr Personal und kleinere Gruppen - bietet die neue 15a-Vereinbarung leider keine Neuerungen und somit auch nicht die Grundlage, für ein nachhaltiges Anheben der Qualität."
Keine bundesweiten Mindeststandards
AK und ÖGB halten wie SPÖ und NEOS statt der jährlichen 200 Mio. Euro eine Mrd. Euro für nötig. Außerdem seien erneut ungenügende Qualitätsstandards enthalten, hieß es in einer Aussendung. Man habe auch die Verhandlungen nicht dazu genutzt, um ein einheitliches Bundesrahmengesetz auf den Weg zu bringen, das bundesweite Mindeststandards enthält. Auch die Arbeitnehmervertretungen wollen einen Rechtsanspruch auf einen Platz ab dem ersten Geburtstag des Kindes.
Ebenfalls mehr gewünscht hätte sich die Junge Industrie: Natürlich unterstütze man die Budgeterhöhung. "Aber die Chancen für einen großen Schritt, für eine substanzielle Veränderungen des Systems, wurden leider verpasst", so Bundesvorstandssitzender Matthias Unger in einer Aussendung. Ähnlich auch die Industriellenvereinigung (IV): Die neue Vereinbarung enthalte erste Weichenstellungen - dennoch gebe es weiteren Handlungsbedarf: "Notwendig wäre es gewesen, wenn die Vereinbarung auch die Qualitätsstandards in der Kinderbildung und -betreuung vereinheitlicht hätte", so Generalsekretär Christoph Neumayer.
Von einem "ersten guten Schritt in die richtige Richtung" sprach Wirtschaftskammer-Vizepräsidentin Martha Schultz in einer Aussendung. Allerdings müsse man jetzt dranbleiben: "Jedes Kind, das einen Platz in einer elementaren Bildungseinrichtung braucht, soll auch einen bekommen."
Zufrieden zeigte sich dagegen der Gemeindebund: "Eine wesentliche Forderung der Gemeinden war mehr Geld für den Ausbau der Kinderbetreuung", so Präsident Alfred Riedl in einer Aussendung. Die nun fixierten 200 Millionen Euro seien ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung. "Gut" findet er auch, dass kein Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz eingeführt wird - einen solchen habe man zuletzt immer wieder abgelehnt.