Praevenire Gesundheitstage - Österreich wird älter, nicht gesünder
Österreichs Gesundheitswesen hat hohen Reformbedarf. Bei steigender Lebenserwartung werden die Menschen nicht gesünder. Es fehlt an Präventionsmaßnahmen, an der Vernetzung der ambulanten und stationären Versorgung sowie an der Nutzung digitaler Techniken. Das kritisierten am Mittwoch Experten zum Auftakt der Praevenire Gesundheitstage (9. bis 11. Oktober) in Eisenstadt.
"Wir sind weiterhin Ankündigungsriesen und Umsetzungszwerge. Die Herausforderungen im Gesundheitsbereich sind seit Jahren und Jahrzehnten hinlänglich bekannt", erklärte der Präsident der Praevenire Gesundheitsinitiative, Hans Jörg Schelling, bei der Eröffnung der dreitägigen Veranstaltung.
Prävention, Vernetzung und Digitalisierung
In den Regierungsprogrammen werde in Österreich regelmäßig der Reformbedarf definiert, bei der Umsetzung fehlte aber entsprechende Aktivität. Wenn man das österreichische Gesundheitswesen nicht "an die Wand fahren lassen wolle", müsse man endlich die notwendigen Reformen angehen. Schelling nannte die großen Themen: "Prävention, Vernetzung der Versorgung zwischen niedergelassenem Bereich und schließlich die Digitalisierung.
Bei steigenden Gesundheitsausgaben erhöhen sich auch die Belastungen der Menschen. Andreas Huss, Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK): "In Österreich bezahlen die Menschen bereits 23 Prozent der Gesundheitsausgaben aus der eigenen Tasche. Das sind pro Person und Jahr rund 1.000 Euro. Das hat mit einer solidarischen Gesundheitsversorgung nichts mehr zu tun. Das macht die Menschen wütend und unzufrieden."
53 Milliarden Euro an Gesundheitsausgaben
"Österreich wird zwar älter, aber nicht gesünder", so fasste Theresia Meier, Obmann-Stellvertreterin der Sozialversicherung der Selbstständigen (SVS) die Situation zusammen. Bei insgesamt fast 53 Milliarden Euro an Gesundheitsausgaben, "fast elf Prozent des Bruttosozialprodukts mit steigender Tendenz", sei das Gesundheitssystem relativ teuer, die Spitalskosten hoch, die Zahl der gesunden Lebensjahre in Relation zur gesamten Lebenserwartung im europäischen und OECD-Vergleich relativ gering.
Bei den Ausgaben wäre im österreichischen Gesundheitswesen in Sachen Prävention noch sprichwörtlich viel Luft nach oben: 40 Prozent des Geldes fließen in die Krankenhäuser (stationärer Bereich), 28,1 Prozent werden für die medizinische Versorgung im niedergelassenen Bereich aufgewendet. Für die Prävention liegt der Anteil nur bei 2,1 Prozent, wie Anne Busch von der FH Wiener Neustadt darstellte.
Im Durchschnitt 64 Lebensjahre in Gesundheit
"Wir haben in Österreich im Durchschnitt nur 64 Lebensjahre in Gesundheit. Das sind 16 bis 17 Jahre Differenz zur Lebenserwartung. Österreich ist in Europa im Mittelfeld. Das ist nicht gut. Wir sollten uns eher mit Schweden als mit Bulgarien vergleichen", stellte dazu Karin Hofer, zuständig für Prävention in der ÖGK, fest. Man müsse entscheidend mehr in die Prävention gehen. Hier geht es zuvorderst um Lebensstil und soziale Rahmenbedingungen. Karin Hofer: "Gesundheit entsteht nicht im Gesundheitssystem." Genetische, also nicht veränderbare Bedingungen (Geschlecht etc.), sozialer Status, Bildung, Arbeitswelt, generelle gesellschaftliche Bedingungen und viele andere Faktoren spielten hier zusammen.
Ein klassisches Beispiel ist hier die Adipositas, welche die Expertin als "die" neue globale Seuche bezeichnete. Nur ein Faktum aus Österreich, so die Expertin: "Zehn Prozent der stellungspflichtigen Männer sind adipös. Dieser Anteil hat sich binnen 15 Jahren verdreifacht."
Gesundheit ist auch ein Gender-Thema
Gesundheit ist aber auch ein Gender-Thema. Juliane Bogner-Strauss, Bundesleiterin der ÖVP-Frauen: "Frauen tragen 80 Prozent der Haushaltsleistungen. Frauen schauen oft nicht so sehr auf sich. Sie schauen mehr auf ihren Partner." Es sollte noch viel mehr Forschung in Sachen Diagnostik und Frauen-spezifischer Medikation geben.
Schließlich sollte, so der Präsident der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG), Peter Fasching, auch viel mehr für die Betreuung chronisch Kranker geschehen. Das gelte besonders für Diabetiker. "Wir haben in Österreich rund 50.000 Typ-1-Diabetiker und rund 700.000 Typ-2-Diabetiker. Wir sind bei den Spitalsaufnahmen der Diabetiker im internationalen Vergleich im oberen Drittel. Wir brauchen eine Entlastung der Spitalsspezialambulanzen."
Eine regelmäßige, fachspezifisch diabetologische Betreuung abseits der Spitäler sollte in ganz Österreich etabliert werden. Im städtischen Bereich könne das über spezielle Zentren erfolgen, doch man müsse auch an den ländlichen Bereich denken. Hier komme es auch auf die Finanzierung von Kassenleistungen in der Diabetologie an. "Für die Betreuung chronisch Kranker braucht man einfach Zeit", sagte Fasching. Mit der Finanzierung von Diabetes-Medikamenten und Medizintechnik (z.B. Blutzucker-Monitoring und Insulinpumpen) sei es allein nicht getan.