Internationaler Finno-Ugristenkongress im Schatten des Ukraine-Kriegs
Der von 21. bis 27. August in Wien stattfindende, 13. Finno-Ugristen-Kongress steht heuer im Schatten des Ukraine-Krieges. Die meisten der verschiedenen Völker der Sprachenfamilie leben heute auf dem Gebiet der Russischen Föderation. "Jetzt mit dem Krieg sind wir natürlich mit einem Riesenproblem konfrontiert", so Organisatorin Johanna Laakso von der Universität Wien im Gespräch mit der APA.
Die Kommunikation und die Zusammenarbeit mit den Kollegen und Kolleginnen in Russland sei durch die aktuelle Lage wieder problematisch geworden, schildert die aus Finnland stammende Universitätsprofessorin. "Die politische Situation ist für unsere Kolleginnen und Kollegen extrem schwierig. Schon am Anfang des Krieges hat es Proteste gegeben, und Petitionen gegen den Krieg, die auch von mehreren von unseren Kollegen und Kolleginnen, namhafte Wissenschafter, unterschrieben wurden."
"Andererseits haben die meisten Universitäten und Forschungsinstitutionen offizielle Unterstützungserklärungen für den Krieg abgegeben, beziehungsweise abgeben müssen." Das mache es für die Organisatoren entsprechend schwierig. Deshalb haben die Verantwortlichen des 13. Finno-Ugristenkongresses auch eine Solidaritätserklärung für die Ukraine auf ihrer Homepage veröffentlicht, in der klar gestellt wird, dass man "keine institutionellen Kooperationen mit Russland" unterhalte.
Teilnehmer aus Russland unter Druck
"Das hat zur Folge, dass die Kolleginnen aus Russland als Privatpersonen teilnehmen, das heißt ihre institutionelle Zugehörigkeit wird nicht gezeigt." Das wiederum habe dazu geführt, dass rund 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Russland abgesagt hätten. "Weil sie natürlich in ihrer Heimat Russland unter Druck gesetzt werden." Somit werden an dem Kongress kommende Woche, statt wie ursprünglich vorgesehen 500, nur rund 300 Finno-Ugristen aus verschiedenen Ländern vor Ort oder online teilnehmen. Von diesen haben nach Angaben der Professorin lediglich 29 eine Wohnadresse in Russland angegeben.
Die Kongresse der Finno-Ugristik finden seit 1960 alle fünf Jahre statt; der Termin von 2020 wurde wegen der Corona-Pandemie auf 2022 verschoben. Die Veranstaltung findet heuer erstmals in Wien und damit außerhalb Russlands oder eines Landes mit finnisch-ugrischer Nationalsprache statt.
Die Kongresse sind ein internationales Gremium mit kooptierten Mitgliedern, erklärte Laakso. Es habe ursprünglich schon in der Zwischenkriegszeit Kooperationen der Finno-Ugristen gegeben, die zu Zeiten des Kalten Krieges aber extrem problematisch geworden seien. "Vor dem Zerfall der Sowjetunion war das eine Art und Weise, die Kommunikation durch den Eisernen Vorhang zu sichern. Die wissenschaftliche Kooperation war ja einigermaßen toleriert und gefördert auch in der Sowjetunion. Dementsprechend hat es dadurch Möglichkeiten gegeben, die anders einfach nicht denkbar waren."
Nach dem Zerfall der Sowjetunion habe es dann aber viele Möglichkeiten des Kulturaustausches und der Kooperation gegeben, so Laakso über die Jahrzehnte nach 1991. In den letzten Jahren hätten die Entwicklungen in Russland, die zunehmend autoritär werdende Gesellschaft aber die Situation wieder verkompliziert, so Laakso.
Die finnisch-ugrischen Sprachen bilden gemeinsam mit den samojedischen Sprachen die uralische Sprachfamilie. Der bei weitem größte Vertreter der finnisch-ugrischen Sprachen ist mit rund 13 Mio. Muttersprachlern das Ungarische, gefolgt vom Finnischen (5 Mio.) und dem Estnischen (1 Mio.). Alle anderen finnisch-ugrischen Völker verfügen über keinen eigenen Nationalstaat, sondern sind auf dem Gebiet Russlands beheimatet. Als Begründer der finnisch-ugrischen Sprachwissenschaft gilt der ungarische Jesuit und Wissenschafter János Sajnovics, der 1770 ein Werk über die Verwandtschaft des Ungarischen mit den samischen (lappischen) Sprachen Skandinaviens vorlegte.
(Das Gespräche führte Andreas Stangl/APA. )