Debatten über die digitale und analoge Zukunft der Museen
Früher galten Museen oft als schwerfällige, verstaubte Kulturtanker, die sich mehr auf die Bewahrung ihrer Sammlungen für die Ewigkeit als auf die Auseinandersetzung mit der Gegenwart konzentrierten. Das hat sich gründlich gewandelt. Doch nicht zuletzt der drastische Einbruch des globalen Kulturtourismus in der Pandemie und die digitale Transformation haben den Veränderungsdruck auf Museen verstärkt. Das zeigen auch ein heute zu Ende gehendes Symposium und ein aktuelles Buch.
"Das Kunstmuseum im digitalen Zeitalter - 2022" heißt die bereits vierte Veranstaltung des Belvedere Research Centers zur digitalen Transformation der Kunstmuseen, die seit Montag zum zweiten Mal komplett als Online-Konferenz abgehalten wird und fast 1.200 Anmeldungen aus 43 Ländern und 5 Kontinenten verzeichnete. Zu den teilnehmenden Institutionen zählen die National Gallery of Art in Washington, das Nelson Atkins Museum of Art in Kansas City, die Hamburger Kunsthalle, das Mauritshuis in Den Haag, die Polnische Akademie der Wissenschaften oder das Cyprus Institute in Nikosia.
Museen digital einer breiteren Öffentlichkeit zukommen lassen
Als Keynote-Speaker des ersten Tages hielt Max Hollein, der österreichische Chef des New Yorker Metropolitan Museum of Art, einen flammenden Appell, sich von den erschwerten Rahmenbedingungen wie finanziellen Kürzungen (in den USA), Schließungen und Zugangsbeschränkungen in Corona-Zeiten nicht ins Bockshorn jagen zu lassen. 450 Menschen weltweit verfolgten seinen Aufruf, offensiv die digitalen Möglichkeiten zu nutzen, um den Aufgaben der Museumsarbeit für eine noch breitere Öffentlichkeit nachzukommen und so Wissenszugänge zu erleichtern und zu demokratisieren. Unter den von Hollein gegebenen zahlreichen Beispielen war etwa ein Video der Restaurierung von Michelangelo-Zeichnungen, das geradezu viral gegangen sei.
Dass man jedoch die digitalen Wege nicht unbedacht beschreiten solle, das gaben u.a. zwei Vortragende am Donnerstag zu bedenken: Lukas Fuchsgruber von der Technischen Universität Berlin warnte eindringlich vor einer unreflektierten Auslieferung an die Internet-Giganten wie Google und Facebook. Bei ihren Auftritten in Sozialen Medien sollten Museen ihre ansonsten strengen ethischen Standards nicht einfach über Bord werfen. Als Alternative zu den großen kommerziellen Plattformen, bei denen mit der Preisgabe von Daten bezahlt werde, nannte er offene und kollaborative Formate, die es zu nutzen und weiterzuentwickeln gelte. Und Charlotte Reuß von der Universität für angewandte Kunst Wien beschäftigte sich mit dem derzeitigen Hype um immersive Ausstellungen, bei denen es nicht mehr um Kunst, sondern um die Schaffung von Instagram-tauglichen Events gehe, die gewohnte Formen von Kunstrezeption infrage stellten.
Am heutigen Freitag sprechen ab 17 Uhr Sandra Verdel aus Den Haag, Isabella Archer aus Paris und Georgios Artopoulos aus Nikosia u.a. über den Einsatz von Virtual Reality in Museen. Ab 19 Uhr ziehen Suse Anderson (Washington D.C.), Carolyn Royston (New York) und Jeffrey T. Schnapp (Cambridge) in einer abschließenden Podiumsdiskussion ein Resümee. Die meisten Vorträge sollen ab nächster Woche über die Belvedere-Website nachgesehen werden können.
Fortbildung zu digitalem Wandel
Der digitale Wandel in den Museen und die rasant sich ändernden Anforderungsprofile der Mitarbeiter sollen im kommenden Herbst auch Thema eines Fortbildungslehrgangs sein, den das Belvedere in Kooperation mit der Donau-Universität Krems organisiert. Für den Kurs "The Museum in a Digital World: Strategies - Methods - Tools", der abwechselnd eine Woche in Krems und eine Woche im Belvedere stattfinden soll, sei es gelungen, einen mit 99.000 Euro dotierten Grant der Getty Foundation einzuwerben, hieß es heute in einer Aussendung.
Wer lieber lesen als zuhören möchte: Über 450 Seiten umfasst der kürzlich erschienene Band "Museen der Zukunft", der sich mit "Trends und Herausforderungen eines innovationsorientierten Kulturmanagements" beschäftigt. Die im Rahmen verschiedener Innovationen im Deutschen Bergbau-Museum Bochum entstandene Idee dieses Sammelbands stamme aus der Zeit vor Corona, die Herausgabe habe sich durch die Pandemie jedoch verzögert, schreiben die Herausgeber Henning Mohr und Diana Modarressi-Tehrani. Obwohl ein Teil der Texte schon vor der Pandemie entstanden sei, hätten oft nur geringfügige Anpassungen vorgenommen werden müssen.
Die grundlegenden Zukunftsfragen wie Digitalisierung, Diversität und Nachhaltigkeit, mehr Flexibilität und Innovationsfähigkeit hätten sich nicht geändert, heißt es: "Im Museumsbereich existiert durchaus ein Bewusstsein für die Notwendigkeit für zukunftsweisende Veränderungen." Gefordert seien dabei Kulturpolitik und Kulturmanagement gleichermaßen. Denn so wichtig der digitale Wandel in Museen sei, im Zentrum der Museumsarbeit stehe der Mensch. "Museen der Zukunft" seien daher "reflexive Orte der gesellschaftlichen Selbstauseinandersetzung", die sich "stärker nach außen öffnen, das Publikum partizipativ in die Arbeit einbeziehen und die Bedarfe von Zielgruppen stärker reflektieren müssen", sind die Herausgeber überzeugt.
Service: Internationale Online-Konferenz des Belvedere Research Centers: "Das Kunstmuseum im digitalen Zeitalter - 2022", Letztes Panel heute ab 17 Uhr, Podiumsdiskussion um 19 Uhr, https://www.belvedere.at/digitalmuseum2022 ; Henning Mohr, Diana Modarressi-Tehrani (Hg.): "Museen der Zukunft. Trends und Herausforderungen eines innovationsorientierten Kulturmanagements", transcript verlag, 462 Seiten, 39 Euro, ISBN: 978-3-8376-4896-6