Emerging Fields - Erstmalig 31 Mio. Euro für "risikoreiche Forschung"
Zum ersten Mal fließen im Rahmen des Forschungsprogramms "Emerging Fields" hohe Summen in "hochinnovative und etwas riskante Ideen", so Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) und der Präsident des Wissenschaftsfonds FWF, Christof Gattringer. Die fünf Vorhaben werden mit Summen zwischen 4,4 und 7,1 Mio. über fünf Jahre bedacht: Globale Versorgungssicherheit, Tumortherapien, Evolutions- und Hirnforschung sowie neue Zugänge zur Relativitätstheorie sind im Fokus.
Bemühen sich Wissenschafterinnen und Wissenschafter um nennenswerte Fördersummen, gebe es eine gewisse Tendenz, "bei Gutachtern nicht anzuecken", erklärte Gattringer bei der Präsentation in Wien. Im Rahmen der neuen Förderschiene wollte man genau dies vermeiden: Die insgesamt 45 ursprünglichen Einreicher sollten im ersten Schritt lediglich in einer Kurzbeschreibung ihres Vorhabens darlegen, warum das Projekt besonders innovativ ist - je weiter abseits des Forschungs-Mainstreams, desto besser quasi. Die mit insgesamt 31 Millionen Euro bedachten fünf Konsortien hätten nun das Potenzial, Forschungsfelder "richtig zu revolutionieren", zeigte sich Polaschek überzeugt.
Projekte von europäischer Bedeutung
Man habe es hier mit "Projekten von europäischer Bedeutung" zu tun, die auch Lösungen für gesellschaftliche Herausforderung versprechen. Die langfristige Unterstützung für Forschende von insgesamt 14 nationalen Einrichtungen garantiere eine breite Palette an wissenschaftlichen Zugängen und eine neuartige "Struktur für kreative Zusammenarbeit", so der Minister. "Knapp nicht durchgesetzt" in der ersten Ausschreibungsrunde eines der höchstdotieren Wissenschaftsprogramme Österreichs - die Schiene ist Teil der mehrteiligen Exzellenzinitiative "excellent=austria" - hat sich ein geistes- oder sozialwissenschaftlicher Zusammenschluss, räumte Gattringer ein. Das könne sich in der zweiten Runde, die Anfang 2025 ausgelobt wird, noch ändern.
Gleiches gelte dafür, dass sich in dem erfolgreichen Quintett nun kein von einer Wissenschafterin geleiteter Verbund findet. Man habe jedoch darauf geachtet, dass der Anteil an weiblichen Teammitgliedern dem entspricht, wie hoch der Frauenanteil in den jeweiligen Forschungsdisziplinen ist, so Gattringer.
Pionierarbeit in der Grundlagenforschung
"Emerging Fields" stehen laut FWF für Projekte, die "Pionierarbeit in der Grundlagenforschung leisten und bereit sind, etablierte Denkansätze zu durchbrechen". Gefordert war, dass sich die Verbünde aus drei bis sieben "international herausragenden" Forschenden an einer oder mehreren österreichischen Forschungseinrichtungen zusammensetzen. Die Teams vereinen nun bis zu 30 Wissenschafterinnen und Wissenschafter.
Den "gesellschaftlichen Stoffwechsel" und die "Resilienz der Ressourcennutzung" nimmt eine Gruppe um den Ökologen Helmut Haberl von der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien in den Blick: Unter Beteiligung der Wirtschaftsuni Wien, dem Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse in Laxenburg (NÖ), der Central European University (CEU), der Uni Wien sowie dem Complexity Science Hub (CSH) in Wien will man mit neuen Ansätzen Ressourcenflüsse, Materialbestände, etwa von Gebäuden und Infrastrukturen, sowie "ihre Leistungen für die Gesellschaft" untersuchen. Es soll u.a. um die Frage gehen, wie sich - angesichts des Risikos unterbrochener globaler Lieferketten, ausgelöst durch aktuelle Krisen oder Klimawandel - die Ressourcennutzung bei Ernährung, Wohnen und Mobilität nachhaltiger gestalten lässt. Gefördert wird das "Emerging Field" vom FWF mit 7,1 Mio. Euro.
So will man etwa eine "weltweit einzigartige, hochauflösende Datenbank zu Ressourcennutzung" aufbauen, sagte Haberl, um mögliche Kipppunkte in den komplexen Systemen herauszuarbeiten. Die neue Förderschiene biete die Möglichkeit, komplett neue methodische Ansätze zusammenzubringen. Das könne man zum Beispiel mit den hochdotierten Förderungen des Europäischen Forschungsrates (ERC) in dieser Form nicht machen. Der Rahmen eines der vor genau einem Jahr vom FWF und dem Bildungsministerium vergebenen "Clusters of Excellence" - die erste Säule der Exzellenzinitiative - wäre laut dem Boku-Forscher wiederum "zu groß gewesen".
Den natürlichen Mechanismen der Resilienz des Gehirns widmet sich das "Emerging Fields"-Konsortium um den Entwicklungsbiologen Igor Adameyko von der Medizinischen Universität Wien. Dem Zusammenschluss gehören auch Experten von der Universität Wien vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) und dem Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA), beide der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) zugehörig, sowie dem Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in Klosterneuburg (NÖ) an. Ziel des mit 6,8 Mio. Euro geförderten Vorhabens ist es, molekulare Prozesse zu entschlüsseln und die Mechanismen für die Widerstandsfähigkeit des Gehirn zu analysieren, um letztlich Wege zu finden, eine genetische Veranlagung für neurologische Entwicklungsstörungen aufheben und eine gesunde Hirnentwicklung ermöglichen zu können.
Den evolutionären "Aufstieg der Genom-Architektur" und damit den Ursprung des komplexen Lebens zu untersuchen, ist Ziel des "Emerging Fields" mit einem FWF-Fördervolumen von 4,4 Mio. Euro um den Biologen Frédéric Berger vom Gregor-Mendel-Institut für Molekulare Pflanzenbiologie (GMI) der ÖAW und unter Beteiligung der Uni Wien und des ISTA. Zentral ist dabei die Rolle des Chromatins, welches als Zusammenschluss von Proteinen und DNA die Chromosomen in den Zellen aufbaut. Chromatin steuere "die Genexpression, um die vielen Zelltypen komplexer Lebensformen zu differenzieren", hieß es. Gemeinsam will man herausfinden, wann und wie sich das Chromatin entwickelt hat, um komplexe Lebensformen hervorzubringen.
Hohes Stirnrunzel-Potenzial
Der Verbund, der bei fachfremden Personen vielleicht am meisten Stirnrunzel-Potenzial birgt, steht unter dem Motto "Raum und Zeit neu vermessen" - eine tatsächlich "riskante Idee", wie auch Gattringer betonte: Gravitation ist laut Einsteins Relativitätstheorie die Krümmung der Raumzeit. Die Entwicklung eines "völlig neuen" Zugangs zur Raumzeit-Krümmung, mit Anwendungspotenzial in Relativitätstheorie und Quantengravitation, ist Ziel des "Emerging Fields" unter wissenschaftlicher Leitung von Roland Steinbauer von der Universität Wien. Mit Kolleginnen und Kollegen seiner Uni möchte der Mathematiker auf bisherige mathematische Entwicklungen aufbauen und offene Probleme der Physik, nämlich "Singularitäten in der Relativitätstheorie und eine vereinheitlichende Sprache für bestimmte Zugänge zur Quantengravitation", angehen. Das Fördervolumen beträgt 7 Mio. Euro.
Das fünfte Vorhaben, dem 5,7 Mio. Euro zur Verfügung stehen, dreht sich um maßgeschneiderte Immunzellen zur Krebstherapie. Es steht unter der Leitung des Krebsforschers Johannes Zuber vom Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien und involviert darüber hinaus die Medunis in Wien und Innsbruck, die St. Anna Kinderkrebsforschung in Wien sowie die Boku. Beim sogenannten Osteosarkom, einem aggressivem Knochenkrebs, der in der EU laut Aussendung jährlich über 1.000 Kinder heimsucht, gebe es "seit 40 Jahren keinerlei Fortschritt" in der klinischen Therapie, sagte Zuber. Das liege an sehr komplexen genetischen Mutationen, die aber auch Proteinveränderungen anstoßen, die von Immunzellen erkannt werden können. Im Rahmen des "Emerging Fields"-Projekts will man auf jeden Patienten individuell zugeschnittene Immunzellen (TCR-T-Zellen) entwickeln, die Krebszellen erkennen und gezielt töten können. "Wir wollen der Welt zeigen, dass das möglich ist", betonte Zuber.
Service: Informationen zu den "Emerging Fields"-Projekten: https://go.apa.at/jlYu4A9D; Online-Karte zu Vorhaben: https://excellentaustria.fwf.ac.at/