Forscher zeigen großflächige Pestizidverschmutzung im Vinschgau
Auf die Spuren des Verbleibs der im größten zusammenhängenden Apfelanbaugebiet Europas - dem Südtiroler Vinschgau - ausgebrachten Pestizide hat sich ein Forschungsteam aus Deutschland, Österreich und Italien gemacht. Im Fachmagazin "Nature Communications Earth & Environment" berichten sie nun über Funde an unerwarteten Orten, wie auf Berggipfeln auf 2.300 Meter Seehöhe. Das zeige, dass die Mittel auch fernab der Apfelgärten Niederschlag finden.
Im Vinschgau produzieren mehr als 7.000 Apfelbauern insgesamt zehn Prozent des Obstes in Europa, heißt es in einer Aussendung der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien. Im konventionelle Anbau werden in der Regel vielfältige synthetische Pestizide gegen Schädlinge wie den Apfelwickler oder Pilzkrankheiten eingesetzt. Diese werden oftmals mittels Gebläse in den Gärten verteilt. Um die 40 Anwendungen seien im Verlauf einer Saison durchaus üblich.
Lange Zeit ging man davon aus, dass die Spritzmittel eher im erweiterten Bereich ihres Ausbringens verbleiben. Dass dem aber nicht so sein muss, zeigten Wissenschafter um Carsten Brühl von der Rheinland-Pfälzischen Technische Universität in Landau (Deutschland) und Boku-Forscher Johann Zaller in den vergangenen Jahren in Untersuchungen. "Aus ökotoxikologischer Sicht ist das Vinschgauer Tal besonders interessant, da man im Tal hochintensiven Anbau mit vielen Pestiziden hat und auf den Bergen empfindliche alpine Ökosysteme, die teilweise auch streng geschützt sind", so Brühl.
Vom auf etwa 500 Meter Seehöhe liegenden Talboden bis über 2.000 Meter nahm das Team alle 300 Höhenmeter an insgesamt 53 Einzelstandorten Bodenproben. In mit zunehmender Höhe abnehmender Konzentration wurden die Forscher bis auf einen Ort überall fündig. "Wir fanden die Mittel in entlegenen Bergtälern, auf den Gipfeln und in Nationalparks. Dort haben sie nichts verloren", so Brühl. Aufgrund der Thermik und starker Winde breiten sich die Substanzen im Vinschgau auch zur Überraschung der Wissenschafter weiter aus als man aufgrund ihrer chemischen und physikalischen Eigenschaften annehmen würde, heißt es.
Pestizidausbringung im Apfelanbau ist stark verbesserungswürdig
Mit neuen Analysemethoden wurden 27 verschiedene Pestizide identifiziert, über deren gemeinsames Wirken in unterschiedlichen Konzentrationen noch wenig bekannt sei. Darunter war etwa das in Deutschland mittlerweile verbotene Insektizid Methoxyfenozid. "Die Konzentrationen, die wir fanden, waren zwar nicht hoch, aber es ist erwiesen, dass Pestizide das Bodenleben schon bei sehr geringen Konzentrationen beeinträchtigen", so Zaller: "Die Ergebnisse zeigen auch, dass die Technik der Pestizidausbringung im Apfelanbau stark verbesserungswürdig ist, sonst würden nicht so viele Pestizide abseits der Apfelanlagen gefunden werden."
Um den Spritzmitteleinsatz zu reduzieren, brauche es etwa naturbelassene und blütenreiche Grasländer, die natürlichen Gegenspielern von Apfelschädlingen als Refugium dienen. Die Wissenschafter fordern angesichts ihrer Messungen neben den Bauern auch die Politik und Lebensmittelketten dazu auf, rasch Maßnahmen zu setzen, um den Pestizideinsatz einzudämmen. Zudem brauche es ein systematisches Monitoring zur wissenschaftlichen Abschätzung der Konzentrationen über das gesamte Jahr hinweg. Brühl: "Wir brauchen Regionen, in denen Pflanzen und Tiere nicht mit diesen bioaktiven Substanzen kontaminiert sind. Eine Pestizidreduktion - auch mit großen Gebieten ohne den Einsatz von synthetischen Pestiziden - und gleichzeitige Ausweitung des biologischen Anbaus ist zur Reduktion der Landschaftsbelastung dringend notwendig."
Service: https://doi.org/10.1038/s43247-024-01220-1