Forscher stressen Pflanzen in neuen "Klimakammern" in Tulln
Ob Trockenheit, Hitze oder auch zu viel Wasser - in den vier Hightech-Containern am "Center for Health & Bioresources" des Austrian Institute of Technology (AIT) in Tulln (NÖ) können Forscherinnen und Forscher Pflanzen aller Art ganz gezielt allerlei Unbill im Dienste der Wissenschaft aussetzen. Die dortigen "Klimakammern" wurden im April eröffnet und sind bereits gut gebucht. Eine vergleichbare Infrastruktur gibt es hierzulande höchst selten, so Forscher gegenüber der APA.
Der Weizen, der in einer der neuen Kammern wächst, ist bereits vorsortiert, wie die AIT-Wissenschafter Annabella Wohletz, Dominik Grosskinsky und Günter Brader erklärten. Von ursprünglich 20 genetisch unterschiedlichen Sorten sind im zweiten Teil des landwirtschaftlichen Versuchs unter Laborbedingungen nur noch sechs übrig. Bereits in den Wochen davor hatte man das Getreide extremen Bedingungen in einem hypothetischen, von der Temperaturerwärmung geprägten "Frühjahr mit wenig Regen" ausgesetzt. Manche Sorten konnten unter diesen harschen Bedingungen mit wiederkehrenden Trockenstressperioden gar keine Ähren bilden, so Wohletz. Weitergearbeitet wird nun mit jenen Sorten, die in einem solchen Umfeld am besten zurechtkamen.
Kammern für verschiedene Klimaszenarien geeignet
Dieses "Umfeld" ist durchaus beengt: Nur jeweils 7,6 Quadratmeter sind die vier voneinander unabhängigen, mit Mitteln des Landes Niederösterreich und der EU angeschafften Klimakammern groß. Gut abgeschirmt gegen Einflüsse von außen können die Experten darin minutiös diverse Szenarien durchspielen, um herauszufinden, wie Feldfrüchte aller Art darauf reagieren. Dabei werden die Pflanzen mit modernsten wissenschaftlichen Gerätschaften unter die Lupe genommen, so AIT-Senior Scientist Günter Brader.
Eine Stoßrichtung in der neuen Einrichtung ist das beschriebene Testen von Varianten von Kulturpflanzen auf deren Eignung unter extremeren Umweltbedingungen und ihrer Resistenz gegenüber Trocken- oder Kältestress. Auf verschiedene Variationen in der Umgebung reagieren sie u.a. mit subtilen Veränderungen der Grünfärbung. Das kann in den "Growth Capsules" in Tulln mit exakten Messungen und Analysen der Farbgebung im Zeitverlauf genau untersucht werden. Mit der "Hyperspektralkamera" geht das etwa auch im Bereich des nicht sichtbaren Lichts. Daraus lässt sich wiederum darauf schließen, welche Stoffwechselvorgänge dort gerade vor sich gehen, erklärte Brader. "Je nach Zusammensetzung oder Komposition des Gewebes wird der Zustand widergespiegelt", sagte Grosskinsky.
Kameras überwachen Wachstumsstadien
Zudem werden anhand mehrerer Kameras die Entwicklung der Beschaffenheit und die verschiedenen Wachstumsstadien der Pflanzen genau beobachten. "Wir können jeden Tag rund um die Uhr das Pflanzenwachstum genau dokumentieren", so Brader. Ebenso exakt kann getestet werden, was etwa die Gabe verschiedener Dünger oder Pflanzenschutzmittel zu welchen Zeitpunkten bewirkt. Ein Schwerpunkt ist die Mikrobiomforschung - also wie sich die Zusammensetzung der Kleinstlebewesen, die mit einer Pflanze interagieren, unter bestimmten Bedingungen verändert und wie die Pflanzen darauf reagieren.
Einerseits betreibe man mit der neuen Infrastruktur Grundlagenforschung, darüber hinaus ist man in zahlreichen EU-geförderten Projekten engagiert, in denen europaweit interessante Fragestellungen rund um Landwirtschaft und Ernährungssicherheit bearbeitet werden. Eine weitere Schiene bilden Auftragsprojekte, wenn zum Beispiel eine Düngemittelfirma durch die Zugabe von Mikroorganismen, die eine Veränderung in der Verfügbarkeit von Phosphaten oder Stickstoff bewirken sollen, eines seiner Produkte verbessern möchte. Ebenso im Fokus stehen Pestizid-Tests oder Untersuchungen zu Schädlingen oder Krankheitserregern und deren Gefährlichkeit bei durchschnittlich gestiegenen Temperaturen oder veränderten Niederschlagsmustern.
Vom tropischen bis zum skandinavischen Klima
In ihren Kammern sehr genau variieren können die Forscher die Luftfeuchtigkeit, die Temperatur, die Beleuchtung über den Tagesverlauf - vom tropischen bis zum skandinavischen Tag - hinweg und den Kohlendioxid-Gehalt in der Luft. "Wir können zwar nicht die Situation von 1852 (also jene vor dem massiven CO2-Anstieg durch menschliche Aktivitäten, Anm.) simulieren, aber bis 1.500 Parts per Million oder 'ppm' hinaufgehen", sagte Brader. Zum Vergleich: Aktuell liegt der CO2-Gehalt in der Atmosphäre bei rund 420 ppm.
Bei den technischen Systemen, die sich flexibel oberhalb der Pflanzen bewegen, handelt es sich um vier unterschiedliche Kamerasysteme. Neben der Hyperspektralkamera und Sensoren, die den sichtbaren Licht-Bereich abdecken, gibt es noch ein System, mit dem die 3D-Struktur aufgelöst werden kann, und ein Verfahren, mit dem der Chlorophyll-Gehalt der Gewächse vermessen wird. Vor allem bei der Hyperspektralkamera wisse man vielfach noch gar nicht, was mit verschiedenen Wellenlängen-Kombinationen eigentlich noch alles aus den Daten herausgelesen werden könnte, betonte Grosskinsky.
Trotz all der technischen Möglichkeiten, eine mehr oder weniger umfassende Antwort darauf zu finden, was ein Landwirt in unseren Breiten in Zukunft angesichts des Klimawandels beim Anbau von Feldfrüchten alles besser machen kann, sei nicht in Sicht. Die Anzahl an Faktoren, die hier zusammenspielen, ist nämlich ungeheuer groß, betonte Grosskinsky: So sei etwa nicht wirklich klar, ob es einer Pflanze in einer komplexen Umwelt unter Trockenstress "mit mehr CO2 in der Luft vielleicht ein Stück weit besser geht. Diese Wechselwirkungen abzuschätzen, ist extrem schwierig."
Ein Thema, das hierzulande zusätzlich zum Problem wird, ist der sich verstärkende Wechsel zwischen Trockenphasen und Starkregen. Was das für Flora und Landwirtschaft mittel- und längerfristig bedeutet, müsse noch hinreichend erforscht werden. Die Klimakammern können jedenfalls vieles davon schon jetzt simulieren und etwa Bedingungen herstellen, die aktuelle Klimamodelle für das Marchfeld oder Mumbai im Jahr 2050 prognostizieren, erklärten die Wissenschafter.
Service: https://www.ait.ac.at/themen/bioresources