Digitalisierung in Medizin und Gesundheitswesen in voller Fahrt
Forderungen nach Digitalisierung des Gesundheitswesens könnten bald veraltet wirken. Die Entwicklung läuft nämlich bereits auf Hochtouren. Wahrscheinlich gibt es sogar die Pflicht dazu, weil der Gesetzgeber ja eine medizinische bzw. Gesundheitsversorgung nach dem Stand der Technik fordert, hieß es jetzt beim 5. Praevenire Digital Health Symposium.
Im Rahmen der Veranstaltung in Wien (20. bis 21. Mai) diskutieren mehr als hundert Teilnehmer breite Aspekte der Digitalisierung der medizinischen Versorgung und des Gesundheitswesens insgesamt: vom Chirurgie- oder Pflegeroboter bis zu Cyber Security und rechtlichen Aspekten. Organisator Reinhard Riedl, Dozent an der Berner Fachhochschule: "Es geht um medizinische Praxis, Technik und Recht." Bei der Digitalisierung handle es sich um eine Entwicklung, die Abläufe im Gesundheitswesen ganz breit und an den verschiedensten Stellen dieses komplexen Systems verändere.
Zum Nutzen von Gesundheits-Apps
Riedl: "Man muss die Vorteile für die Menschen bzw. Patienten und das Gesundheitspersonal aufzeigen. Tatsächlich ergänzen zum Beispiel Gesundheits-Apps auf Rezept die konventionelle Versorgung. Das führt zur 'Selbstermächtigung' der Patienten. Technisch am nächsten ist doch den meisten von uns das Handy." In Deutschland können Ärzte zertifizierte Gesundheits-Apps mit bewiesenem Nutzen (z.B. bei orthopädischen Problemen, bei psychiatrischen Erkrankungen etc.) bereits auf Kassenrezept verschreiben. In Österreich gibt es dafür noch kein System.
Auch für das Gesundheitspersonal sind unterstützende Systeme schnell als Positivum ersichtlich. Ob Roboter in einer Krankenhausapotheke die individuelle medikamentöse Therapie für Patienten fehlerlos zusammenstellen, abpacken und liefern oder unterstützend in der Pflege tätig werden, diese Technik hat sich teilweise bereits durchsetzt. Wenn, so Riedl, Vorteile von digitalisierten Technologien unmittelbar in der täglichen Arbeit ersichtlich werden, führt an ihnen kein Weg vorbei. "High-End-Roboter in der Chirurgie können als Handwerkszeug für eine wesentliche Verbesserung der Präzision der Eingriffe sorgen", sagte der Experte.
Experte sieht rechtliche Einwände überwindbar
Oft geäußerte rechtliche Einwände gegen Aspekte der Digitalisierung könnten - bei offensichtlichen Vorteilen der Technik gegenüber herkömmlichen Verfahren - schnell überwunden sein, so Riedl: "Man ist ja in der Medizin gesetzlich verpflichtet, in Diagnose und Therapie nach dem Stand der Technik zu handeln. Wo beispielsweise Künstliche Intelligenz für bessere Ergebnisse sorgt, wird sie einzusetzen sein."
Ein Beispiel: An Millionen Fallbeispielen trainierte Analysesysteme weisen Radiologen in der bildgebenden Diagnostik (Röntgen, Computertomografie, Magnetresonanztomografie etc.) im Zweifelsfall auf verdächtige Signale bzw. Strukturen hin und können so die Genauigkeit erhöhen. Oder umgekehrt: Die individuelle Therapieentscheidung trifft natürlich der Arzt, aber ein KI-Programm dahinter macht ihn auf mögliche Fehler aufmerksam.
Wichtig - so der Experte - wäre ein Bekenntnis der Politik, die Digitalisierung unter entsprechenden technischen und rechtlichen Vorkehrungen auch im Gesundheitswesen vorantreiben zu wollen. Dazu gehört auch die sichere anonymisierte Verarbeitung von Daten. "Das kann zum Beispiel dadurch geschehen, dass die anonymisierten Informationen in einem Datenraum für notwendige Auswertungen vorhanden sind und dann nach Verwendung wieder gelöscht werden", schilderte der Experte eines vieler möglicher Systeme.
Zur sicheren Verarbeitung von Gesundheitsdaten
"Je unmittelbarer der daraus resultierende Gewinn für den einzelnen Menschen ist, desto eher wird er zustimmen", sagte Riedl. Im Spitalskontext, wo Patienten direkt und unmittelbar aus der Digitalisierung Nutzen ziehen könnten, sei das wohl am einfachsten. Im Endeffekt müsste zumindest auch in der EU die sichere Verarbeitung von Gesundheitsdaten möglich werden. "Oder man kauft die Daten aus den USA zu. Dort sind aber die Lebensgewohnheiten anders, auch die genetische Zusammensetzung der Bevölkerung unterscheidet sich."
OP-Roboter - Systeme viel genauer als jeder Chirurg
Roboter setzen sich auch in Österreich zunehmend in der Chirurgie durch. Derzeit handelt es sich noch fast ausschließlich um von der Hand der Operateure gesteuerte minimal-invasive Systeme ohne Autonomie. Doch die Entwicklung in diese Richtung läuft bereits, hieß es ebenfalls beim Symposium in Wien.
Derzeit sind die Roboterchirurgie-Systeme im Grunde Unterstützungsgeräte, welche primär das Zittern der Hand des Chirurgen ausgleichen und über schonendere Zugänge zum Operationsgebiet ihren positiven Effekt entfalten. In Zukunft, so Gernot Kronreif vom Austrian Center für Medical Information and Technology in Wiener Neustadt, werden die Systeme aber immer mehr Autonomie gewinnen. Das könne schließlich von der Planung bis zur Ausführung von chirurgischen Eingriffen unter Aufsicht des Menschen gehen.