Alternative Fleischprodukte - Grazer Wissenschaftlerinnen erforschen neue Wege zur Reduktion von Massentierhaltung
Aktuelle Krisen und eine wachsende Bevölkerung lassen weltweit die Nachfrage nach Fleisch stark ansteigen. Die traditionelle Fleischproduktion, insbesondere die Massentierhaltung, verbraucht zu viele der immer weniger verfügbaren Ressourcen, benötigt zu viel Fläche und verursacht dieselbe Menge an Treibhausgasen wie der gesamte Verkehrssektor.
Grazer Forscherinnen des Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib) und des Institutes für Molekulare Biotechnologie an der Technischen Universität Graz (TU Graz) forschen an einer neuen, umweltfreundlicheren Fleisch-Alternative. Mit biotechnologischen Methoden hergestellt, könnte diese schon in den nächsten Jahren ins Supermarktregal kommen. Bei 95% weniger Platzbedarf, einer zehnfachen CO2-Einsparung und der Vermeidung von Tierleid besitzt diese neue, Alternative Fleischart im Vergleich zur klassischen Tierhaltung vor allem klimarelevante und ethische Vorteile - und nicht zuletzt milliardenschweres Marktpotenzial: Umfragen zufolge sollen in 15 Jahren schon 20 Prozent des weltweit verzehrten Fleisches aus umweltfreundlichen alternativen Produktionsprozessen kommen. Um diesen Anteil zu erreichen, bedürfe es jedoch einer höheren Akzeptanz alternativer Fleischprodukte in der Bevölkerung.
Knapp neun Milliarden Menschen werden im Jahr 2050 laut UN-Bevölkerungsprojektion auf der Erde leben. Die wachsende Weltbevölkerung lässt auch die Nachfrage nach Fleisch massiv steigen. Die traditionelle Fleischproduktion, allen voran die Massentierhaltung, ist jedoch alles andere als ökologisch und stößt zunehmend an ihre Grenzen; gerade die aktuellen Krisen zeigen das besonders deutlich: Im Jahr 2019 wurden 4,8 Milliarden Hektar an Land, was mehr als einem Drittel der gesamten verfügbaren Landmasse der Erde entspricht, für landwirtschaftliche Zwecke genutzt. Allein zwei Drittel davon wurden für die Viehwirtschaft verwendet. Dem nicht genug verursacht die Fleischproduktion in etwa dieselbe Menge an Treibhausgasen wie der gesamte Verkehrssektor weltweit.
Die Alternative - Fleischgewinnung mit neuen biologischen Prozessen
Seit rund zehn Jahren ist von einer neuen, umwelt- und tierfreundlicheren Fleisch-Alternative die Rede: Mit modernen Bioverfahren hergestelltes Fleisch. Grazer Forscherinnen des Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib) und des Institutes für Molekulare Biotechnologie an der TU Graz arbeiten daran, in den nächsten Jahren diese Alternative auf unsere Teller zu bringen. "Die Technologie, tierisches Gewebe im Labor herzustellen, wurde ursprünglich von der angewandten Medizinforschung entwickelt und hat bereits in der Nahrungsmittelherstellung Einzug gehalten. Wir konzentrieren uns derzeit auf zwei Anwendungen: Einerseits auf die Herstellung alternativer Fleischprodukte und andererseits auf die Produktion tierischer Proteine wie die wichtigen Eisenträger Myoglobin und Hämoglobin, welche ebenso für alternative Fleischprodukte benötigt werden", verrät Viktorija Vidimce-Risteski, acib-Mitarbeiterin und Forscherin am Institut für Molekulare Biotechnologie an der TU Graz.
Das Verfahren setzt auf die Produktion von "echtem" Fleisch aus winzigen, schonend gewonnenen, Fleischproben. Das natürliche Gewebe wird in einem biologischen Verfahren vermehrt, ohne dass Tiere dafür leiden müssen. "Aus einer wenige Millimeter großen Probe können optimalerweise so bis zu 2 Tonnen Fleisch gewonnen werden" berichtet die acib-Forscherin und Wissenschaftlerin am Institut für Molekulare Biotechnologie an der Technischen Universität Graz, Aleksandra Fuchs. "Mit dem biologischen Verfahren wird das natürliche Wachstum von Fett- und Muskelzellen nachgebildet. Die Zellen wachsen dann zu Muskelfasern zusammen. Fuchs: "Um jedoch größere Mengen an Fleisch herstellen zu können, benötigen die Muskelfasern besondere natürliche Faktoren, um das richtige Wachstum anzuregen."
Muskelkater für die Fleischproduktion
Hier haben sich die Forscherinnen erneut Anleihen in der Natur - vor allem bei Sportlern - genommen. Der berühmte Muskelkater nach zu viel sportlichem Stimulus hat den Effekt, dass durch die Zunahme des Muskelfaservolumens die Muskeln wachsen. Da Fleisch größtenteils aus Muskelfasern besteht, die sich aus einzelnen Muskelzellen zusammensetzen, ist dieser Vorgang auch für die biotechnische Fleischproduktion interessant: "Muskelzellen im Labor in möglichst hoher Dichte wachsen zu lassen, ist äußerst komplex. Im Muskel teilen sich die Zellen nur schwer, wenn sie zu wenig Platz haben", erklärt Fuchs. Der Grund für diese Limitierung ist der sogenannte Hippo-Pathway, der Zellteilungsprozesse reguliert und dafür verantwortlich ist, dass z.B. Muskeln nicht zu schnell zu groß werden. Bei der Fleischproduktion ist das Gegenteil erforderlich - ein nachhaltiges Wachstum. Deshalb passen die Forscherinnen den Signalweg an und ermöglichen so einen effizienten Aufbau von Fleischfasern. "Bei erhöhter Muskelbelastung schüttet der Körper zudem vermehrt bestimmte Myokine aus. Diese Botenstoffe regen die Zellteilung an", sagt Fuchs. Für die neue Produktionsform wird daher eine Kombination aus Hippo-Pathway-Inhibitoren und Myokinen verwendet. Die Signalmoleküle imitieren sportliches Training und regen die Fleischproduktion auf natürliche Weise an.
Effizientere und kostengünstigere Prozessbedingungen
"Die bisher größte Herausforderung beim Herstellungsprozess von natürlichen Fleischalternativen ist das Medium, in dem die Fasern gezüchtet werden. Im Bioprozess übernimmt dieses quasi die Funktion des Blutes: Es versorgt alle Zellen mit den lebenswichtigen Molekülen, darunter Aminosäuren, Mineralien, und andere Nährstoffe - und ermöglicht somit ihr Wachstum", erklärt Vidimce-Risteski. Auch hierbei arbeitet man an biologischen und ethischen Optimierungen: "Mittlerweile ist es gelungen, bei der alternativen Produktion auf - bislang nötiges und aus Kälbern gewonnenes - Rinderserum nun gänzlich zu verzichten - ein Meilenstein in Richtung nachhaltige, ethische Fleischproduktion", so die Forscherin. Das neue, schonende Verfahren ist aber nicht nur in ethischer, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht deutlich überlegen: Die Kosten für Rinderserum zeichnen für bis zu 95% des Preises verantwortlich. Durch den Verzicht von Rinderserum - und damit gleichzeitig auf Tierleid - werden die Fleischalternativen billiger und damit konkurrenzfähiger.
Die Grazer Forscherinnen setzen für die Medienoptimierung auf jahrtausendelang bewährte Bio-Produzenten wie die Hefe, die man auch vom Brotbacken oder Bierbrauen kennt. "Indem wir diese Hefestämme so "erziehen", dass sie verschiedene Komponenten für unser Wachstumsmedium herstellen, senken wir die Produktionskosten erheblich", erklärt Fuchs. So kostete im August 2013 der erste Cultivated Meat Burger des niederländischen Forschers Mark Post noch ca. 325.000 Dollar pro Kilo. "Vor zwei Jahren war der Kilopreis bei ca. 5.000 Dollar, und das große Ziel ist, den Preis auf ca. 5 Dollar pro Kilo zu senken", rechnet Fuchs vor.
Hämoproteine sorgen für Geruch und Geschmack
Vermeidung von Tierleid und kostengünstige Herstellung sind aber nur eine Seite der Medaille, wie Vidimce-Risteski erläutert: "Ohne den richtigen Geschmack, die richtige Farbe, und dem natürlichen Geruch ist die Akzeptanz solcher Produkte gering. Diese Eigenschaften stehen in direktem Zusammenhang mit der Konzentration zweier Proteine, die im Fleisch natürlich vorkommen, nämlich dem Myoglobin in den Muskelgeweben und dem Hämoglobin im Blut. Beide stellen als Eisenquellen auch wichtige Nährstoffe für Menschen dar und machen Fleisch zum wertvollen Nahrungsmittel", so Vidimce-Risteski. Bisher konnten diese Substanzen nur aus Tieren gewonnen werden. Als eines der ersten Forschungsteams weltweit konnten die Grazer Forscherinnen tierische Myoglobine und Hämoglobine nun ebenfalls schonend in Hefe herstellen, "mit dem Ziel, zukünftig große Mengen davon zu produzieren", so Vidimce-Risteski.
Breitere Akzeptanz für alternatives Fleisch in der Bevölkerung
Damit Fleischprodukte aus alternativer Produktion aber schon bald auf unserem Teller landen, müssen diese von der Bevölkerung als Nahrungsmitteln angenommen - und gegessen - werden. Einer Umfrage der BOKU Wien zufolge würden 67 % der Fleischesser "in vitro"- Fleisch probieren, jedoch nur 19 % der Vegetarierinnen. "Es braucht einen differenzierteren Blick auf diese Lebensmittel", sagt Vidimce-Risteski: "Ein gesundes Misstrauen gegenüber Neuem ist verständlich. Neues erweckt aber auch Neugier und hat wie in diesem Fall viele Vorteile", so die Forscherin. Weder Aufzucht noch Mast werden benötigt und es kommt zu keiner Schlachtung von Tieren, weshalb die Technologie auch für Vegetarier eine weitere Option darstellen könnte, sich ethisch bewusst zu ernähren. Auch in puncto Gesundheit haben die neuen Produkte eine Reihe an Vorteilen. Bedenkt man, dass über 70 % aller hergestellten Antibiotika in der Tierzucht verwendet werden, kommt die Produktion von alternativem Fleisch nahezu zur Gänze ohne Antibiotikum aus und erfolgt unter kontrollierten, biologischen Bedingungen. Nicht zuletzt braucht die Produktion bis zu 95 % weniger Platz und hilft, potenziell das Zehnfache an CO2 zu sparen. Vidimce-Risteski: "Als Wissenschaftlerinnen wollen wir hier Aufklärungsarbeit leisten und die Menschen über dieses Thema informieren und so Berührungsängste abbauen."
Einen wesentlichen Aspekt für den Siegeszug von alternativen Produktionsmethoden wird deren Zulassung als Novel Food von der EU-Behörde sein: "Damit sind umfassende Studien verbunden, die sicherstellen, dass der Verzehr dieser Produkte keine Nebenwirkungen hat. Und dieser Zulassungsprozess schafft wiederum stärkeres Vertrauen", ist Fuchs überzeugt.
Wandel hin zur neuen Fleischproduktion unausweichlich
Die Forscherinnen geben zu verstehen, dass die Technologie - langfristig gesehen und einmal am Markt etabliert - eine umweltfreundliche Alternative etwa zur Massentierhaltung bieten soll. Im Labormaßstab konnten bereits erfolgreich kleine Mengen hergestellt werden. Bis KonsumentInnen ein schonend produziertes Steak im Supermarkt kaufen können, ist jedoch noch ein längerer Weg zurückzulegen. Das Good Food Institute, eine internationale Non-Profit Organisation und acib-Partner im Projekt, die sich mit neuen Wegen in der Fleischproduktion befasst, spricht den neuen Methoden jedoch großes Marktpotenzial zu: In gut fünfzehn Jahren sollen schon 20 % des weltweit angebotenen Fleisches aus alternativen Produktionsmethoden kommen. Hinsichtlich der Umwelt- und Ressourcenprobleme des weltweit steigenden Fleischkonsums ist ein Wandel jedenfalls unausweichlich.
Rückfragehinweise Dr.rer.nat. MBiol. Aleksandra Fuchs acib-Forscherin, Wissenschaftlerin am Institut für Molekulare Biotechnologie der TU Graz E-Mail: aleksandrafuchs@acib.at DI Viktorija Vidimce-Risteski acib-Mitarbeiterin, Wissenschaftlerin am Institut für Molekulare Biotechnologie der TU Graz E-Mail: viktorija.vidimce@acib.at Pressekontakt Martin Walpot, MA Head of Public Relations and Marketing acib GmbH Phone: +43 316 873 9312 E-Mail: martin.walpot@acib.at