Grippeviren laufen Immunsystem davon
Influenza-Viren müssen sich ständig verändern, um nicht vom menschlichen Immunsystem eliminiert zu werden. Bei diesem Wettlauf schlagen verschiedene Viren-Linien scheinbar ähnliche Richtungen ein, auch wenn sie nicht direkt miteinander in Verbindung stehen. Über diesen Befund berichtet der aus Österreich stammende Evolutionsbiologe Andreas Wagner im Fachblatt "Proceedings of the Royal Society B".
Influenza- oder Grippe-Viren stehen ständig unter großem Druck, sich zu verändern - in der Evolution spricht man von hohem Selektionsdruck. Die Wandelbarkeit des Virus ist auch dafür verantwortlich, dass Ärzte empfehlen, sich alljährlich gegen Influenza impfen zu lassen. Veränderungen in diesen Organismen hat sich Wagner mit einer in der Evolutionsbiologie bisher selten angewandten Analysemethode angesehen und ist dabei auf überraschende Erkenntnisse gestoßen.
Netzwerkanalyse immer populärer
Die Methode der Netzwerkanalyse sei in vielen Forschungsbereichen um das Jahr 2000 "nicht nur sehr populär, sondern auch einflussreich geworden", erklärte der an der Universität Zürich beschäftigte Forscher der APA. Das liege daran, dass technologische Entwicklungen dazu führten, dass heute in vielen Gebieten enorme Datenmengen anfallen, in denen es nach Mustern zu suchen gilt. Für dieses Phänomen hat sich die Bezeichnung "Big Data" etabliert. "Netzwerke sind einfach eine ideale Art und Weise, Big Data zu analysieren", so Wagner.
Technologien, die die gleichzeitige genetische Analyse vieler Organismen erlauben, versorgen die Forscher nun auch mit großen Mengen an DNA-Sequenzdaten. Wagner: "Ich bin der Meinung, dass in der Evolutionsbiologie und Genetik innerhalb der nächsten Jahre ein Sprung passieren wird. Nämlich eine Hinwendung zu Big Data und Netzwerkanalysen." In seiner aktuellen Studie geht es dem Forscher darum, zu zeigen, wie die Entwicklung eines bestimmten Organismus durch diese Art der Analyse verstanden werden kann.
Starker Selektionsdruck
"Die interessanteste Beobachtung aus diesen Daten ist, dass im Influenza-Virus etwas passiert, was man als konvergente Evolution bezeichnet", erklärte Wagner. Diese Form der Evolution liegt vor, wenn sich Organismen unabhängig voneinander in eine ähnliche Richtung entwickeln. Auf die Evolutionsbiologie umgelegt bedeutet das, dass DNA-Sequenzen von sich nebeneinander entwickelnden Linien einer Art einander für einige Zeit tendenziell ähnlicher werden. Dieses Phänomen wurde im Bereich der DNA-Sequenzdaten für relativ selten gehalten, so Wagner. Denn aufgrund zufälliger Mutationen sollten solche Bereiche der Erbsubstanz unterschiedlicher werden.
"Die Wahrscheinlichkeit, dass sie durch Zufall ähnlicher werden, ist sehr gering. Wenn wir also konvergente Evolution beobachten, deutet das darauf hin, dass ein sehr starker Selektionsdruck herrscht", so Wagner. Unter dieser Bedingung hängt das Überleben einer Spezies sehr stark von Veränderungen in kleinen, sehr wichtigen Teilen der DNA ab. Hinweise auf konvergente Evolution hat der Forscher auch just in DNA-Abschnitten gefunden, die die Bauanleitung für Proteine enthalten, die auf der Außenhülle des Virus liegen und eine Schlüsselfunktion bei der Interaktion mit menschlichen Zellen und beim Auslösen der Immunantwort haben. Auch der Influenza-Impfstoff setzt an diesem Protein an.
Hinweise auf konvergente Evolution bei Viren wurden zwar schon beobachtet, "aber noch nicht in dem extremen Ausmaß, wie ich das mit den Netzwerkanalysen feststellen konnte", so Wagner. Der Forscher zeigte sich überzeugt, dass dieser Ansatz in Zukunft zu neuen Einsichten in der Evolutionsbiologie führen kann, da beispielsweise dieses Phänomen mit herkömmlichen Methoden nur sehr schwer zu fassen sei.
Service: http://dx.doi.org/10.1098/rspb.2013.2763