Grazer Forscher erzielen Durchbruch bei der gemeinsamen Vermessung von Satelliten und Weltraumschrott
Forscher des Instituts für Weltraumforschung (IWF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) präsentieren in "Nature Communications" erfolgreiche Entfernungsmessungen zu Satelliten und Weltraumschrott unter Verwendung eines Megahertz-Lasers. Neben einer erhöhten Genauigkeit ermöglicht das neue System einen schnellen Wechsel zwischen hochgenauen Satelliten- und Weltraumschrottmessungen ohne den Messaufbau adaptieren zu müssen.
Weltraumschrott gefährdet zunehmend aktive Satelliten
Im vergangenen Jahrzehnt ist die Anzahl an aktiven Satelliten kontinuierlich gestiegen. Aktuell umkreisen ca. 10.000 funktionstüchtige Satelliten unseren Planeten. Demgegenüber stehen ca. 40.000 Weltraumschrottobjekte größer als 10 cm und mehr als 1 Million Teile größer als 1 cm, die eine Gefahr für aktive Satelliten darstellen. Um hochpräzise Entfernungsmessungen zu Satelliten und Weltraumschrott durchführen zu können, verwendeten die Forscher am Observatorium Lustbühel, einer Außenstelle des Instituts für Weltraumforschung der ÖAW, bislang zwei ähnliche Messaufbauten, die aber unterschiedliche Laser benötigen.
Entfernungsmessungen zu Satelliten vs. Weltraumschrott
Für Messungen zu Satelliten, deren Retroreflektoren Laserlicht zielgerichtet zur Station zurücksenden, wird aktuell ein Laser mit einer Pulsdauer von 10 Pikosekunden (10-12 s) bei 0,8 Watt verwendet, der eine Einzelschuss-Messgenauigkeit von ca. 3 mm bei maximal 2000 Einzelmessungen in der Sekunde ermöglicht. Durch die relativ geringe Leistung des Lasers sind Messungen zu Weltraumschrott nicht möglich.
Bei Entfernungsmessungen zu Weltraumschrott, der naturgemäß keine Retroreflektoren besitzt, wird aktuell ein Laser mit einer höheren Leistung von 16 Watt verwendet, um auch diffuse Lichtreflexionen des Objekts detektieren zu können. Die längere Pulsdauer von 3 Nanosekunden (10-9 s) mit bis zu 200 Einzelmessungen pro Sekunde bedingt eine Messgenauigkeit von knapp unter einem Meter. Diese Genauigkeit ist als Basis für die Berechnung der Umlaufbahn von Weltraumschrott sehr präzise, verhindert aber die Identifizierung von Substrukturen des Objektes. Aufgrund der geringeren Genauigkeit des Messaufbaus sind keine millimetergenauen Messungen zu Satelliten möglich.
Megahertz-Laser-Messaufbau als Bindeglied zur Vermessung von Satelliten und Weltraumschrott
Die nun im Fachjournal Nature Communications publizierte Methode vereint die Stärken beider Messmethoden bei gleichzeitig erhöhter Genauigkeit. Dazu wurde ein Laser verwendet, der mit Wiederholraten von maximal 1 Megahertz (bis zu 1.000.000 Einzelmessungen pro Sekunde) arbeitet. Die hohe Leistung dieses Lasers erlaubt die Vermessung von Weltraumschrott. Durch die niedrige Pulsdauer von 10 Pikosekunden ist es mit demselben System auch möglich, hochpräzise Messungen zu Satelliten zu machen.
"Eines unserer Ziele am IWF ist es Lösungen zu finden, um die Vermessung von Weltraumschrott für andere Stationen zugänglicher zu machen", erklärt IWF-Gruppenleiter Michael Steindorfer. Aktuell existieren ca. 40 Laser-Ranging-Stationen, von denen aber nur einige wenige Weltraumschrott vermessen können. "Durch eine Aufrüstung auf ein MHz-fähiges System könnten diese Stationen im regulären Beobachtungsbetrieb Weltraumschrott vermessen, ohne laufend Adaptierungen am System machen zu müssen", setzt der Erstautor der Studie fort. "Dadurch könnten die Stationen gemeinsam z.B. punktuell die Orbitgenauigkeit von Hochrisiko-Objekten verbessern, ohne dabei die regulären Beobachtungen von Forschungssatelliten zu reduzieren."
Bistatische Messungen als Lösung
Die hohe Wiederholrate des Lasers erfordert einige Adaptierungen am Messaufbau sowie der Hard- und Software. Atmosphärische Rückstreuungen des Laserlichts würden den Detektor sättigen und damit gültige Messungen unmöglich machen. Als Gegenmaßnahme wird der Laser in Intervallen gesendet, abgewartet bis störende atmosphärische Reflexionen vorbei sind und anschließend vom Objekt reflektiertes Licht detektiert. Diese Unterteilung in eine Mess- und Sendephase hat allerdings eine Reduktion der Laserleistung auf ca. die Hälfte zur Folge.
Eine ebenfalls in der Studie präsentierte Alternative sind sogenannte bistatische Messungen. Dabei sendet die Laserstation Laserlicht aus und ein zweites räumlich getrenntes Teleskop empfängt das vom Weltraumschrott reflektierte Laserlicht. Der große Vorteil dieser Methode ist, dass die atmosphärischen Rückstreuungen des Laserlichts ab einem gewissen Abstand beider Stationen nicht in das Empfangsteleskop gelangen können. "Mit Hilfe eines zweiten Teleskops am Dach des Observatoriums Lustbühel konnten wir nachweisen, dass bereits ein Abstand von ca. 10 Metern zwischen Sender und Empfänger zur Vermeidung von atmosphärischen Streuungen ausreicht. Dadurch konnten wir die volle Laserleistung nutzen und erstmalig Satelliten und Weltraumschrott bei einer Wiederholrate von 1 MHz vermessen", erläutert Steindorfer. Dieses Messprinzip ermöglicht eine Nutzung von existierenden astronomischen Teleskopen in Europa zur Entfernungsmessung zu Weltraumschrott, selbst ohne einen Laser zu besitzen.
Millionen von Datenpunkten, erhöhte Genauigkeiten
Zusätzlich zur Möglichkeit Weltraumschrott zu vermessen, steigert die Verwendung eines MHz-Lasers auch die Genauigkeit der Messungen zu Satelliten. Durch die hohe Wiederholrate des Lasers konnten die Forscher bis zu 2.000.000 erfolgreiche Entfernungsmessungen in einem Zeitintervall von 15 Sekunden zu dem mit Retroreflektoren bestückten ehemaligen Forschungssatelliten Jason-2 erzielen. Die hohe Einzelschussgenauigkeit, kombiniert mit der großen Anzahl an Datenpunkten bewirkt eine deutliche Reduktion der Normal-Point-Genauigkeit. "Mit unserem System ist es gelungen, diese Normal-Point-Genauigkeit auf wenige Mikrometer zu reduzieren", so Steindorfer. Die erhöhte Genauigkeit bringt auch bislang versteckte Details in den Messungen zu Weltraumschrott zu Tage. In den Messdaten kann nun zwischen weiter entfernten und näheren Komponenten eines Objektes unterschieden werden. Zusätzlich kann man über die zeitliche Änderung der Entfernung auf das Rotationsverhalten von Weltraumschrott rückschließen. Eine genaue Kenntnis der Rotation von Objekten ist unter anderem wichtig, um zukünftige Missionen zur Entsorgung von Weltraumschrott zu unterstützen.
Why space research matters - Weltraumschrott
Aufgrund der hohen Anzahl an kommerziellen Firmen, die Satelliten in den Erdorbit transportieren, hat sich die Anzahl an aktiven Satelliten im letzten Jahrzehnt auf ca. 10.000 verdreifacht. Entfernungsmessungen zu Satelliten mit Retroreflektoren liefern dabei einen fundamentalen Beitrag zur Definition des globalen terrestrischen Referenz-Koordinatensystems, des Erdschwerefelds, des Massenzentrums der Erde sowie zu den Erdorientierungsparametern.
Weltraumschrott besitzt naturgemäß keine Retroreflektoren - die Entfernung kann aber unter Verwendung eines leistungsfähigeren Lasers trotzdem vermessen werden. Die SLR-Station des IWF Graz hat eine internationale Führungsposition bei der Erforschung von Weltraumschrott eingenommen und kann die Entfernung von Objekten bis zu einer Größe von 1 m hochgenau bestimmen. Zusätzlich wird das reflektierte Sonnenlicht (Lichtkurven) von Objekten bis zum geostationären Orbit in einer Entfernung von 36.000 km vermessen.
Eine genaue Bestimmung der Umlaufbahn ist fundamental für die Risikoabschätzung bei der Annäherung von aktiven Satelliten und Weltraumschrott. Die Genauigkeit der Orbitvorhersage entscheidet dabei über die Notwendigkeit eines Ausweichmanövers. Aus Veränderungen der Helligkeit von Objekten können Rückschlüsse auf die Rotationsachse und -periode gezogen werden. Aus der zeitlichen Veränderung dieser Größen kann man Wechselwirkungen von Weltraumschrott mit der Erdatmosphäre, dem Erdmagnetfeld oder dem Lichtdruck unserer Sonne untersuchen. Hochgenaue Entfernungsmessungen, Lichtkurvenmessungen und die Zugänglichkeit dieser Technologien sind dabei ein wichtiger Beitrag, um Weltraummissionen nachhaltig und sicher zu gestalten.
Publikation
M. A. Steindorfer, P. Wang, F. Koidl, G. Kirchner: Space debris and satellite laser ranging combined using a megahertz system, Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-024-55777-8, 2025.
Kontakt
Michael Steindorfer
T +43 316 873-4652
michael.steindorfer@oeaw.ac.at