Neue CCCA-Spitze will Klimaschutz in der Verfassung sehen
Das Climate Change Center Austria CCCA wird künftig von einem neuen Führungsduo geleitet. Harald Rieder von der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien und Gerhard Wotawa von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) sind am Donnerstag bei der Vollversammlung an die Spitze des österreichischen Klimaforschungsnetzwerks gewählt worden. Die Wissenschafter folgen damit auf die bekannte Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb, die nicht mehr für die Position kandidierte.
Im APA-Interview sprachen der 39-jährige gebürtige Niederösterreicher Rieder und der 54-jährige Wiener Wotawa über ihre Pläne für das CCCA und blicken auf die Anfänge ihrer wissenschaftlichen Laufbahnen zurück.
APA: Wir sind auch nach zwei Jahren stark mit der Corona-Pandemie beschäftigt, zusätzlich ist ein Krieg in der Ukraine ausgebrochen. Wie schwierig ist es, die Warnungen zur Klimakrise in der Öffentlichkeit anzubringen?
Gerhard Wotawa: Es spielt eines zum anderen. Die Ukraine-Krise führt zu Verwerfungen am Energiepreismarkt. Wir müssen unser Energiesystem in den nächsten acht bis zehn Jahren grundlegend ändern, damit die Temperaturerwärmung auf 1,5 bis zwei Grad begrenzt werden kann. Zunächst überschatten die hohen Benzinpreise natürlich einmal die ganze Diskussion, aber unabhängig vom Klimaschutz wird man darüber nachdenken müssen, ob wir uns in diese geopolitische Abhängigkeit von den Öl- und Gas-Förderstaaten begeben wollen. Die Energien, die wir anstreben sollten, sind vielmehr regionale, wie Biomasse, Solar- und Windenergien. Wir benötigen dezentrale Energiesysteme.
Harald Rieder: Es ist auch eine Chance für nachhaltige Veränderung, weil Dinge jetzt relativ rasch gehen müssen. Es ist wichtig, dass die politischen Entscheidungen richtig getroffen werden. Man kann zum Beispiel die Bevölkerung jetzt auf zwei Arten entlasten: Entweder Subventionen, die den Spritpreis nach unten bringen oder die gleichen Subventionen auf nachhaltigem Wege ausschütten. Wir sind für die zweite Lösung.
APA: Österreich hat bis heute kein eigenes Klimaschutzgesetz. Mit welchem Appell würden Sie sich gerne an die Regierung wenden?
Rieder: Ich glaube, die Ambition ist eigentlich hoch. Im Regierungsprogramm ist die Klimaneutralität bis 2040 festgelegt. Dieses Ziel wirklich mit Maßnahmen und Gesetzen zu unterlegen, das wäre ganz dringend erforderlich. Wir sind jetzt in der Dekade, in der sich die Taten mit den Ankündigungen treffen müssen. Dafür ist es wichtig, messbare Ziele in einem Gesetz zu verankern.
Wotawa: Mein Appell wäre es, zu versuchen, das Klimathema aus dem politischen Hickhack herauszubekommen und in ein politisches Konsensthema zu verwandeln. Das Denken in Legislaturperioden ist, was besonders die teils turbulente jüngere Vergangenheit gezeigt hat, zu kurz gegriffen. Eine Möglichkeit wäre es, die Klimaziele in der Verfassung zu verankern. Wenn etwa eine neue Bundesregierung die CO2-Bepreisung wieder aufhebt, ist eigentlich nichts gewonnen. Es geht um nachhaltiges und unumkehrbares Handeln.
APA: Ein Problem der Wissenschaft ist es trotz Bemühungen immer noch, dass die Sprache für Menschen außerhalb der Forschung nur schwer verständlich ist. Planen Sie diesbezüglich etwas?
Rieder: Die wissenschaftlichen Berichte an sich sollen natürlich so bleiben, wie sie sind. Aber wir müssen natürlich lernen, noch verständlicher zu extrahieren und zu kommunizieren. Im Bereich von Social Media mit kurzen Statements und Antworten haben wir durchaus, auch durch jüngere Kollegen bei uns, gelernt. Wir müssen die Dinge noch mehr auf den Punkt bringen. Was wir ganz klar und kurz kommunizieren müssen, ist, dass die Veränderung keine 20 Jahre mehr Zeit hat. Dabei dürfen wir aber keine Ohnmacht erzeugen, dass alles schon verloren ist. Die Message muss sein, es geht sich noch aus, aber nur, wenn wir unsere Anstrengungen zumindest verdreifachen. Die Zeit zum Handeln ist jetzt.
APA: Welche Schwerpunkte wollen Sie im CCCA in den kommenden Jahren setzen?
Rieder: Die Klimakrise ist nicht zu Halt gekommen in den letzten zwei Jahren, sondern durch viele Themen überlagert worden. Aber die Erderwärmung wie der Emissionsanstieg sind weiter gegangen und wir nähern uns langsam aber sicher jenem Emissionslimit, in dem die 1,5-Grad-Grenze überschritten wird. Wir wollen uns darauf konzentrieren, was das Netzwerk seit vielen Jahren tut, nämlich die Ergebnisse der Klimaforschung und die Handlungsnotwendigkeiten zu kommunizieren. Entsprechend dazu wollen wir auch wissenschaftliche Begleitung zu politischen Prozessen anbieten. Das Zusammentragen des Wissensstandes zum Klimawandel und seinen Auswirkungen in Österreich ist für das CCCA ganz wichtig. Genauso wie die Kommunikation, was jetzt dagegen getan werden muss. Und diese Transformation soll positiv kommuniziert werden, es ist kein Zurück in eine vergangene Dekade, sondern ein vorwärts in eine andere und durchaus bessere Zukunft.
Wotawa: In Österreich herrscht ein sehr kooperativer Gedanke und das CCCA bildet die Klimaforschungsszene relativ breit ab. Eigentlich stehen die Mitglieder der Organisation grundsätzlich in Konkurrenz zueinander, was Forschungsgelder oder Medienaufmerksamkeit angeht. Aber durch die Gründung des CCCA haben wir es geschafft, in wesentlichen Fragen gemeinsam zu kommunizieren und zu agieren. Wir haben uns ein gemeinsames Wissen erarbeitet und können das der Öffentlichkeit auch konsistent und kohärent kommunizieren. Wir als die österreichische Klimaforschungs-Community sagen gemeinsam, dass die Klimakrise nicht nur eine Katastrophe ist, sondern dass wir sie auch als eine Chance begreifen müssen.
APA: Ein kurzer Themenwechsel: Die bisherige CCCA-Obfrau Helga Kromp-Kolb ist Anfang des Jahres aufgefallen, weil sie sich gegen eine Corona-Impfpflicht ausgesprochen hat. Bei der Initiative wurde unter anderem ein "differenziertes Wissenschaftsverständnis" eingefordert. Teilen Sie diese Position?
Rieder: Prinzipiell beschäftigt sich das CCCA mit dem Klima-Thema und nicht mit medizinischen Themen. Ich habe vollstes Vertrauen in die medizinische Community. Was mir viel mehr Sorgen bereitet, ist, dass sich in der Corona-Zeit eine Wissenschaftsskepsis gebildet bzw. verstärkt hat, die sich auch im Klima-Bereich niederschlägt. Die Frage, die sich stellt ist, wie wir diese Skepsis überwinden und die Bevölkerung ins Boot holen, so dass der Rückhalt für die wesentlichen Veränderungen gegeben ist.
Wotawa: Das ist ihre Privatmeinung, aber nicht die Meinung des CCCA und des restlichen Vorstandes. Wir haben als Community keine Skepsis gegenüber der Medizin oder der Pharmaforschung. Wir sind intern aber natürlich immer an offenen Diskussionen und an einem ehrlichen Meinungsaustausch interessiert, auch weil man aus allen Krisen etwas mitnehmen und lernen kann.
APA: Zum Abschluss etwas persönlicher: Wann haben Sie selbst das Interesse an der Forschung für sich entdeckt?
Wotawa: Das Interesse wurde schon in der Schule geweckt und bereits als Kind habe ich täglich auf der Terrasse meiner Eltern im 17. Wiener Gemeindebezirk Wetteraufzeichnungen geführt. Als das Thema Umwelt zu Zeiten der Besetzung der Hainburger Au zum ersten Mal groß wurde, war ich dann auch selbst auf meiner ersten Demo.
Rieder: Es war bei mir natürlich auch eine Summe von vielen Schritte, aber die Begeisterung für naturwissenschaftliche Fächer war in der Schule schon stark ausgeprägt. Außerdem hatte ich an den Unis immer gute und fördernde Mentoren.
APA: Viele sagen, wer gegen die Klimakrise ankämpft, muss selbst auf vieles verzichten. Essen Sie also noch Fleisch und fahren mit dem Auto?
Wotawa: In der Fastenzeit esse ich kein Fleisch, aber ansonsten schon, wenn auch wenig. Und eines meiner Hobbys ist es, Skitouren zu gehen, da kommt man ohne Auto nicht gut herum. Aber es geht darum, ein anderes Narrativ zu entwickeln: Man muss viele Hebel der Verhaltensänderung gleichzeitig drücken. Die Bekämpfung der Klimakrise soll keine Bürde für die Menschen sein, sondern als eine gesellschaftliche Chance gesehen werden.
Rieder: Auch ich esse Fleisch und fahre immer mal wieder mit dem Auto, auch wenn ich jeden Tag mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in die Arbeit pendle. Es geht aber nicht nur um die individuellen Entscheidungen, obwohl diese natürlich wichtig sind, sondern auch um die politischen Rahmenbedingungen für Verhaltensänderungen, also zum Beispiel auch auf das Auto verzichten zu können. Zum Beispiel ist eine zentrale Frage, wie wir im ländlichen Raum für die "letzte Meile" den Umstieg auf klimaneutrale Mobilität schaffen.
APA: Viele Prognosen sind sehr düster, was das Fortschreiten der Klimakrise und die Auswirkungen auf die Welt angeht. Bleiben Sie trotz alledem optimistisch?
Rieder: Wir müssen optimistisch sein. Wenn ich meinen Optimismus verloren hätte, könnte ich meinen Job nicht machen. Wir vermitteln in der Lehre ja nicht nur die Problematik der Klimakrise, sondern auch Lösungsansätze. Das 1,5-Grad-Ziel ist noch schaffbar, aber es wird schon sehr knapp. Ich glaube, die Menschheit wird die Klimakrise in den Griff bekommen. Die Frage wird sein, mit welcher Abruptheit systemische Veränderungen eintreten. Je rascher wir handeln, desto sanfter wird der Umstieg sein.
Wotawa: Man muss realistisch sein. Die nächsten Jahrzehnte werden generell, auch wegen multipler politischer Krisen, ganz schwierig werden. Zu großer Optimismus wäre fatal. Wir können als Österreich das Steuer nicht alleine herumreißen. Aber wir können uns an die Entwicklungen lokal anpassen und unsere eigenen Aktivitäten setzen. Längerfristig besteht die Möglichkeit, dass das größere Klima-Engagement in der EU, dazu führt, dass sich andere Länder und Kontinente ein Beispiel nehmen und diesen Weg gemeinsam mit uns gehen. Ich glaube aber nicht an rasche und einfache Lösungen für komplexe und ineinander verwobene Problemstellungen.
(Das Gespräch führte Sandra Walder/APA)