Trockenheit-Starkregen-Kombi wird laut Experten häufiger
Die Unwetter der vergangenen Woche mit fünf Toten waren laut Einschätzung des Meteorologen Leopold Haimberger "sehr schwer vorherzusagen". Die aktuelle Wettersituation mit ihrer Kombination von Trockenheits- und Hitzephasen und anschließenden Starkregenereignissen passe aber sehr genau in "das Narrativ", das Experten immer wieder zur Klimaänderung zeichnen. Beim Blick in den Herbst berge das stark aufgeheizte Mittelmeer hohes Potenzial für extremes Wetter.
Die Ereignisse, die zu den verheerenden Unwettern führten, waren durchaus exotisch. Aus meteorologischer Sicht vergleichbar war die Situation am ehesten mit der Großwetterlage, die im August 2002 zu dem Hochwasser am Kamp in Niederösterreich geführt hat, erklärte Haimberger im Gespräch mit der APA. Auch damals hat sich über Italien ein Tiefdruckgebiet ausgebildet, das große Mengen an Feuchtigkeit nach Norden geschaufelt hat. Dazu kam damals viel Feuchtigkeit aus dem Bereich der Ostsee. Auf heftige Gewitter folgten dann Starkregenereignisse: "Solche Wetterlagen treten selten auf, sind aber früher auch schon vorgekommen."
Die Unwetter, die die fünf Todesfälle in Kärnten und Niederösterreich gefordert haben, "waren ein Ereignis, das wirklich sehr schwer vorhersagbar war", so der Wissenschafter vom Institut für Meteorologie und Geophysik der Universität Wien. Schon alleine, dass die Gewitterfront von Süden nach Norden gezogen ist, sei eher ungewöhnlich. Außerdem habe sie "die Alpenketten überwunden, als wären sie nicht vorhanden", so der Experte.
Die Grenzen der Vorhersagbarkeit
Klar abgezeichnet habe sich diese Entwicklung aber nicht unmittelbar. Man sehe relativ oft Gewitterzonen, die im Wetterradar auch noch deutlich stärkere Signale zeigen. Durch die vorhergehende Trockenheit sind viele Niederschläge aber in der darunterliegenden Luft schnell wieder verdunstet. Diese Luftmassen kühlen danach ab und fallen dann nach unten, erklärte der Experte. Treffen diese dann am Boden auf, entweichen sie seitlich. Daraus resultieren auf kurze Distanzen sehr große Unterschiede in den Windgeschwindigkeiten. Zu erkennen, ob es sich um ein "normales Gewitter" oder um einen sogenannten "Microburst" mit den sehr lokal auftretenden Windwürfen handelt, sei äußerst schwierig. "Man kommt da wirklich an die Grenzen der Vorhersagbarkeit."
Das unterstreicht auch Georg Pistotnik von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) gegenüber der APA. "Dass die Gewitter anschließend in der heißen, aber trockenen Luft über Österreich und Tschechien nicht regelrecht 'vertrocknen', sondern sich weiter fortpflanzen", und derart extreme Fallwinde erzeugen, sei ein Szenario, "dass man in solchen Situationen stets im Hinterkopf behalten muss". Allerdings hätte in diesem Fall nur eine kleine Minderheit der Vorhersagemodelle darauf hingewiesen.
Um in solchen Fällen künftig noch genauer Bescheid geben zu können, setzen die Experten Hoffnungen in technologische Weiterentwicklungen in der bodengestützten Fernerkundung, wie Radar oder Windprofiler, in bei der Satellitenbeobachtung sowie in noch leistungsstärkere Computer. Auch neue Ansätze des maschinellen Lernens sind zunehmend hilfreich, im Tandem mit erfahrenen Meteorologen die vielen Informationen in den vielfältigen Wetterkarten noch rascher einzuordnen. Zudem verbessere sich auch das Verständnis solcher kleinräumiger Prozesse stetig.
Kommunikation verbesserungswürdig
Was man aber durchaus bereits jetzt verbessern könne, sei die Kommunikation. So könnten regionale Warnungen per SMS breiter ausgerollt werden, in dem solche Angebote zukünftig möglicherweise gratis versendet würden, sagte Haimberger. Ist man aber wie die drei verunglückten Wanderinnen in Niederösterreich in einem Gebiet ohne Handyempfang unterwegs, greife auch diese Lösung natürlich nicht.
Der heurige Hitzesommer hat jedenfalls ein um drei bis vier Grad wärmeres Mittelmeer hinterlassen als das sonst um diese Jahreszeit der Fall ist. Dazu komme, dass das Meer üblicherweise erst im September seine Höchsttemperaturen erreicht. Das berge ein entsprechend großes Risiko, sagte Haimberger.
Je mehr Wärme dort vorherrscht, umso mehr Energie gibt es prinzipiell zur Bildung von Gewittern. Warme Sommer bringen eine gut dokumentierte höhere Wahrscheinlichkeit für Starkregenereignisse in den südlichen Alpen oder in der Toskana bis in den November hinein mit sich. Damit sich diese auch manifestieren, braucht es einerseits das heuer zuhauf vorhandene Potenzial und einen Auslöser. "Das ist durchaus vergleichbar bei der Situation mit den tropischen Wirbelstürmen in der Karibik."
System am Aufschaukeln
Als Auslöser fungiert kältere Luft in höheren Lagen der Atmosphäre, die im Spätsommer oder Herbst weit in den Süden vordringt. Über den Wind kommt es zu einer Koppelung zwischen dem warmen Wasser und der Luft darüber. Der Wind fördert die Verdunstung, was das Tiefdruckgebiet stärkt und die Winde weiter aufleben lässt. Das System schaukelt sich also auf, was in Europa die starken Tiefdruckgebiete und in der Karibik die Hurricanes erzeugt.
Dass solche Starkregenereignisse auch in unseren Breiten häufiger werden, weil sich die Meere erwärmen, die Luft mehr Feuchtigkeit aufnehmen kann, liege auf der Hand. Gleichzeitig kommt es vermehrt zu langen Trockenphasen, weil sich Wetterlagen weniger oft als früher abwechseln. Sehe man sich die Situation der vergangenen Tage und Wochen an, wo einander rekordverdächtig niedrige Fluss- und Seepegelstände und Rekordniederschläge quasi die Klinke in die Hand geben, "passt genau in das Narrativ, das wir Klimaforscher seit 15 Jahren bei jeder Gelegenheit wiederholen".
Haimberger plädiert daher dafür, "die Klimaänderung ernst zu nehmen", ortet aber auch, dass diesbezüglich nun ein Umdenken in der Bevölkerung stattfindet. Als problematisch seien in dem Kontext die nach wie vor starken Widerstände in einigen Interessensvertretungen anzusehen, die wichtige Vorhaben wie den Beschluss eines wirksamen Klimaschutzgesetzes bremsen.