Klima-Glossar: Die Pasterze
Sie wird gerne als Österreichs Paradegletscher und Gletscherikone bezeichnet. Eingebettet in eine Umgebung der Superlative, ist die Pasterze wahrlich eine Berühmtheit. So lässt sich ein Blick auf den größten heimischen Gletscher am Fuße des höchsten Berges des Landes mit einer der längsten Messgeschichten weltweit nach einer Fahrt über die höchstgelegene Passstraße Österreichs erhaschen. Das Verschwinden der Eiszunge am Großglockner ist jedoch nur mehr eine Frage der Zeit.
Wann ist ein Gletscher weg? Mit dieser Frage sieht sich Gerhard Lieb, Gletscherforscher am Institut für Geographie und Raumforschung der Universität Graz, des Öfteren konfrontiert. Der Titel "größter Gletscher Österreichs" könnte der Pasterze jedenfalls schon in naher Zukunft aberkannt werden. Laut Prognosen könnte sich die Gletscherzunge spätestens 2025 von ihrem Nährgebiet lösen. Dabei bricht die zusammenhängende Eismasse in zwei Teile, die ehemalige Zunge vegetiert dann als Toteisfläche dahin und könnte in zehn bis 20 Jahren komplett verschwinden und auch das Nährgebiet wird zusehends verfallen. "Die Frage, wann ein Gletscher verschwunden ist, lässt sich gar nicht so einfach beantworten", sagt Lieb. "Am Ende eines Gletscherlebens bedeckt Schutt zunehmend die Eisflächen, die dann nicht mehr mit freiem Auge sichtbar sind."
Eine weitere Folge des Gletscherschwundes sei neben der Abschmelzung der mechanische Zerfall des Eises. Schmelzwasser höhlt die Eismasse aus und die Oberfläche bricht ein. An der Pasterze ist dieses Phänomen deutlich an kreisförmigen Senken zu erkennen. Als Konsequenz bilden sich neue Seen im Schuttbett unter dem Gletscher. Der Magaritzensee ist schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden und wird seit den 50er-Jahren zur Energiegewinnung aufgestaut. In den 60er-Jahren hat sich weiter oben der Sandersee gebildet. Der Pasterzensee ist das jüngste Gewässer. Er ist etwa 2010 unmittelbar am Gletscherende entstanden. 2019 haben Forscher der Universität Graz eine Tiefe von 48 Metern gemessen. Die Zukunft dieser Seen scheint aber gewiss. "Sie werden durch Sedimentzufuhr durch den Gletscherbach verlanden und somit in einigen Jahrzehnten wieder verschwunden sein", ist sich Lieb sicher.
Felsstrukturen könnten instabil werden
Weitaus mehr Relevanz für uns Menschen haben aber geomorphologische Veränderungen. Hänge und Felsstrukturen können instabil werden, wenn diese vorher durch das Eis gestützt wurden. In den letzten 30 Jahren waren um die Pasterze immer wieder Felsstürze zu verzeichnen. Der markanteste ereignete sich zwischen Frühjahr und Frühsommer 2007 am Mittleren Burgstall, wo der gesamte sanft geformte Südgrat des sich im Oberlauf des Gletschers befindlichen Berges in sich zusammenstürzte und einen bizarren Zackengrat hinterließ. 428.000 Kubikmeter Gesteinsvolumen wurden bei diesem Ereignis bewegt. Der Felssturz am Mittleren Burgstall war insofern weniger dramatisch, da sich dort keine alpine Infrastruktur befindet. Sein Nachbar aber, der ähnlich aufgebaute Hohe Burgstall, beheimatet die Oberwalderhütte, die als Ausbildungsstützpunkt und Schutzhütte jährlich etwa 2.000 bis 3.000 Bergsteigerinnen und Bergsteiger beherbergt. Um die Sicherheit der Alpinisten auf dem Weg zur Hütte gewährleisten zu können, musste dieser in den letzten Jahren mehrmals erneuert und versichert werden.
Der Gletscherschwund verändert ohne Zweifel das Landschaftsbild und hat negative Auswirkungen auf die alpine Infrastruktur. Aus wissenschaftlicher Sicht sei die Entwicklung aber interessant, sagt Lieb, der gemeinsam mit Andreas Kellerer-Pirklbauer den Gletschermessdienst des Alpenvereines ehrenamtlich leitet. Messdaten von der Pasterze gibt es seit 1879/80, in diesem Winter hat der Klagenfurter Ferdinand Seeland erstmals Gletschermessmarken angelegt. Der letzte Gletscherbericht, der Anfang April veröffentlicht wurde, markierte mit dem größten Längenschwund seit Messbeginn einen traurigen Rekord am noch längsten Gletscher des Landes. Bessere Zeiten hatte die Pasterze in den Jahren 1850 bis 1855 erlebt, da haben die Alpengletscher ihren letzten Höchststand erreicht. Seitdem ziehen sie sich immer mehr zurück und in den letzten 30 Jahren verzeichnet der Messdienst zunehmend höher werdende Werte der jährlichen Abschmelzung.
Die zurückweichende Pasterze legt aber gerne einmal auch interessante Fundstücke frei. So apern immer wieder Reste von Pflanzen, Pollen und Samen aus, die belegen, dass das Hochgebirge nicht immer von Eis und Schnee überzogen gewesen ist. Anhand von Torfstücken lässt sich laut dem Nationalpark Hohe Tauern belegen, dass sich vor ca. 10.000 Jahren im Bereich der heutigen Gletscherzunge ein Wald befand. 2014 wurde im Gletschervorfeld sogar der etwa acht Meter lange Stamm einer rund 6.000 Jahre alten Zirbe freigelegt. Dass das Klima bis vor etwa 3.500 Jahren milder gewesen ist und die Baumgrenze höher oben lag, könne aber laut gängiger Wissenschaftsmeinung nicht als Gegenbeweis für die menschengemachte Klimaerwärmung angesehen werden. Der Name Pasterze leitet sich übrigens vom Slawischen Wort Pastir, Pastirizia ab, was so viel wie Hirte bedeutet und ein Hinweis auf eine frühere Weidenutzung der Fläche sein könnte.
In etwa vier Jahrzehnten könnte Österreich laut Prognosen des Gletschermessdienstes eisfrei sein. Das Verschwinden der Pasterze, der Österreichischen Gletscherikone, steht als Mahnmal für die Versäumnisse der Umweltpolitik an prominenter Stelle.