"Bio-Diversi-Was?": Regenwurm und Schneerose im Interview
Nein, er hege keine Rachegefühle gegen Maulwürfe, die seinen Artgenossen ein Stück abbeißen und den erstarrten Rest als Vorrat lagern, sagt der Regenwurm. "Solche Gedanken habe ich nicht. Ich bin zu beschäftigt mit meinem Alltag: Graben, Fressen, Wachsen, Vorsichtigsein." Mit Interviews wie diesem wartet Andrea Grill in ihrem Kinder-Sachbuch "Bio-Diversi-Was?" auf. Die Autorin ist studierte Biologin und hat eine "Reise in die fantastische Welt der Artenvielfalt" vorgelegt.
Zwei Dinge machen den bei Leykam in Kooperation mit dem WWF erschienenen Band zu einem lehrreichen Lese- und Schauvergnügen. Zum einen sind es die Illustrationen von Sandra Neuditschko, die sich zwar bei der Abbildung der Tiere und Pflanzen stark an der Natur orientiert, für jede der behandelten Zonen jedoch ein eigenes Farbkonzept entwickelt hat. Denn die Reise startet in der Tiefsee und geht über Erde, Wiesen, Wälder und Flüsse bis hinauf ins Gebirge. Jeder dieser Lebensräume erhält zunächst eine allgemeine Einführung, ehe es ins Detail geht. Das hat es in sich. Denn Andrea Grill stellt nicht nur jeweils einige Vertreter der jeweiligen Fauna und Flora vor - sondern interviewt diese auch noch!
Interviews mit einem Regenwurm oder einer Herzmuschel, mit Knöllchenbakterien und Murmeltieren, mit einer Bergkiefer oder einer Schneerose - diesen Traum würden sich Wissenschafter wie Journalisten wohl gleichermaßen gerne erfüllen. Freilich ist Andrea Grill nicht Doktor Dolittle, sondern hat sich einen speziellen Übersetzungs-Roboter ausgedacht. Robi versteht die Stimmen aller Pflanzen und Tiere. "Auch Gerüche kann er nachahmen und Stoffe, mit denen manche Lebewesen miteinander kommunizieren, die wir aber gar nicht wahrnehmen können, chemische Stoffe, Schallwellen, die normalerweise unhörbar wären, kann Robi für uns in etwas für uns Hörbares verwandeln", wendet sich Grill erklärend an ihre jungen Leserinnen und Leser. "Und ich, die Autorin, habe das für euch in etwas Lesbares verwandelt."
Diese Interviews sind freilich viel mehr als lesbar. Sie sind originell, witzig und überaus lehrreich, wenn es darum geht, die fast unvorstellbare Vielfalt des Lebens einigermaßen darzustellen. Wichtigste Erkenntnis dabei: Die biologischen Grundlagen des Menschen sind keineswegs das wichtigste oder verbreitetste Konzept der Natur, sondern nur eine von ganz vielen Möglichkeiten. Deswegen geht es in "Bio-Diversi-Was?" auch sehr viel um Gefühle und um Fortpflanzung. Da fragt etwa das Wimperntierchen: "Kinder? Was soll das sein?", denn seine Vermehrung funktioniere ganz einfach: "Ich teile mich. Aus eins macht zwei." Und das bis zu sieben Mal am Tag. Der Alpenglanzfalter hingegen kann mit Begriffen wie traurig oder Freundschaft nichts anfangen und gesteht, dass er ein einziges Mal unbedingt einem anderen Falter begegnen wollte, nämlich "als in meinem Bauch die reifen Eier drückten. Da suchte ich ein Männchen. Wir flogen eine Stunde lang aneinanderklebend durch die Luft. Heißt das 'Freundsein'?"
Zu jedem Kapitel gibt es einen "Mach mit!"-Teil und am Ende einen "Artenrap" zum Mitsingen: "kenn jetzt viele feine Tiere / kaum wer geht auf allen Vieren ..." Es ist ein feines Buch geworden. Dass aber viele Lebensräume dieser feinen Tiere durch die unfeine Lebensweise der Menschen bedroht sind, sollten die Eltern ihren Kindern unbedingt dazusagen. Vor einem angeblich 40 bis 100 Kilo schweren Murmeltier braucht man dagegen keine Angst haben. Diese Gewichtsangabe ist ein Druckfehler, versichert die Autorin.
Service: Andrea Grill, Sandra Neuditschko: "Bio-Diversi-Was? Reise in die fantastische Welt der Artenvielfalt", Leykam, 216 Seiten, 28,50 Euro