Sehen mit verschränkten Quantenpaaren
Heranzoomen bis an die "Pixel der Realität": Elektronenmikroskope machen's möglich. Für besonders empfindliche Proben sind sie jedoch ungeeignet. Mit einem quantenoptischen Trick will eine Wiener Forschungsgruppe dieses Problem umgehen und neue Standards in der hochauflösenden Mikroskopie setzen.
Vor etwa 100 Jahren lernte die Menschheit, mit Elektronen zu sehen. 1924 postulierte Louis de Broglie, dass Elektronen ‒ so wie auch Lichtteilchen ‒ Welleneigenschaften haben. Die US-Physiker Davisson und Germer lieferten 1927 den experimentellen Nachweis. Wenige Jahre später bauten die Ingenieure Ernst Ruska und Max Knoll das erste Elektronenmikroskop, das leistungsfähiger war als jedes Lichtmikroskop: Da Elektronenwellen von viel kleineren Objekten gebeugt werden als Photonen, war das optische Auflösungslimit von Licht überwunden ‒ eine neue Ära der Mikroskopie brach an.
Kombination zweier Welten: Die Quantenelektronenmikroskopie
„Elektronenmikroskopie ist eine verrückte, coole Technik“, schwärmt Philipp Haslinger von der Technischen Universität Wien. „Im Prinzip könnten wir uns damit die Spike-Proteine eines Virus anschauen oder seine DNA – auf Ebene der Atome, der Pixel der Wirklichkeit.“ Der Quantenoptiker nutzt bewusst den Konjunktiv, denn die Sache hat einen Haken: Die Elektronen sind typischerweise so hochenergetisch, dass sie empfindliche Proben zerstören. Das „lebensechte“ Beobachten biologischer Prozesse ist daher mit Elektronenmikroskopen unmöglich.
Eine denkbare Lösung: „Mehr Informationen aus weniger Elektronen gewinnen“, sagt Haslinger. Dafür macht sich sein elfköpfiges Team die Quantenelektronenmikroskopie zunutze, die die klassische Elektronenmikroskopie mit der neueren Welt der Photonen-basierten Quantenoptik kombiniert.
Spukhafte Bildgebung
Eine der möglichen Ideen beruht auf einem Verfahren mit dem klingenden Namen „Quantum Ghost Imaging“ oder Zou-Wang-Mandel. Ein verschränktes Elektron-Photon-Paar erzeugt dabei das Bild des Objekts. Das läuft so ab: Zunächst rast ein Elektron durch ein lichtdurchlässiges Medium und „überholt“ dort das Licht, „ein bisschen wie ein Flugzeug mit Überschall“, erklärt Haslinger, wodurch ein Photon entsteht. Dieses Photon sollte mit dem Elektron verschränkt sein. Während das Elektron Richtung Probe reist, gelangt das Lichtteilchen in einen Kameradetektor. Da die beiden verschränkt sind, kann man am Photon messen, ob das Elektron auf die Probe getroffen ist. Gelingt es, die detektierten Photonen räumlich aufzulösen, lässt sich so das Bild des Objektes konstruieren.
So weit die Theorie. „Weltweit arbeiten einige Forschungsgruppen an dem ersten Nachweis dieser Verschränkung – und wir sind vorne mit dabei“, erzählt Haslinger. In der Praxis stehen den innovativen Ideen technische Herausforderungen im Weg: So musste das Team das vorhandene Mikroskop erst einmal umrüsten. „Normalerweise sind Elektronenmikroskope völlig lichtdicht gebaut – wir hingegen bohren Löcher hinein, damit Photonen für die Messungen hinausgelangen“, schmunzelt der Physiker.
Versprechen für Biologie und Materialwissenschaft
Was es nun braucht, ist der Proof of Principle, dass die Methode Elektron-Photon-Paare erzeugen kann. „Tatsächlich könnte es jeden Tag so weit sein“, sagt Haslinger hoffnungsvoll. „Wir haben bereits ein Ghost Image aufgenommen. Wir konnten also mit Elektronen sehen, was das Photon ‚gesehen‘ hat. Jetzt suchen wir nach Hinweisen auf Interferenzphänomene zwischen den beiden Teilchen. Finden wir diese, wäre das die eindeutige ‚Smoking Gun‘, dass sie verschränkt sind.“
Eine etablierte Variante des Ghost Imaging funktioniert mit verschränkten Photon-Photon-Paaren und hat sich für besonders lichtempfindliche Objekte bewährt. Geht Haslingers Plan auf, ließe sich diese probenschonende Eigenschaft erstmals mit der hohen optischen Auflösung von Elektronen kombinieren. Diese Entwicklung würde vielversprechende Anwendungen eröffnen, etwa für die Batterieforschung: So ließen sich die molekularen und atomaren Veränderungen an den Materialoberflächen beim Laden und Entladen besser beobachten, um optimierte Materialien zu identifizieren. Auch in der Biologie wären spektakuläre Einblicke möglich: Etwa Proteine beim Falten beobachten, ohne dass sie beim Bestrahlen kaputtgehen. „Dem Leben beim Leben zusehen, das wäre ein Traum“, lächelt Haslinger. Vor gut zwanzig Jahren lauschte er als junger Physikstudent noch Anton Zeilinger, der ihn für die Quantenoptik begeisterte. Nun könnten er und seine Kolleg:innen frischen Wind in die Elektronenmikroskopie bringen, deren Geschichte vor einem Jahrhundert begann.
Zur Person
Philipp Haslinger ist Associate Professor für Atominterferometrie an der Technischen Universität Wien. Seine Forschungsgruppe konzentriert sich auf die Entwicklung neuartiger Quantenwerkzeuge für die Materiewellenoptik mit Atomen und Elektronen und forscht an verschiedenen Dunkle-Energie-Modellen. Nach seiner Promotion an der Universität Wien ging er mit einem Schrödinger-Stipendium des Wissenschaftsfonds FWF an die UC Berkeley, bevor er nach Wien zurückkehrte, um seine Forschungsarbeiten am Atominstitut der TU Wien fortzusetzen. Das Projekt „Quantenoptik mit Elektron-Photon-Paaren“ wird vom FWF mit 400.000 Euro gefördert. 2018 wurde Haslinger mit dem FWF-START-Preis ausgezeichnet. Er engagiert sich zudem in Outreach-Projekten an der Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft.
Publikation
Philipp Haslinger et al.: Spin resonance spectroscopy with an electron microscope, in Quantum Science and Technology 2024
Österreichischer Wissenschaftsfonds FWF Ingrid Ladner, Redaktion scilog Telefon: +43 676 83487 8117 E-Mail: ingrid.ladner@fwf.ac.at Website: https://scilog.fwf.ac.at