Warum auf einen Herzinfarkt oft bald ein zweiter folgt
Ein Herzinfarkt beschleunigt die Arterienverkalkung dramatisch und macht damit einen neuerlichen Infarkt wahrscheinlicher. Der Ursprung dieses Phänomens liegt im Verhalten des Immunsystems. Ein internationales Forschungsteam hat die zugrunde liegenden molekularbiologischen Vorgänge näher untersucht. Die Ergebnisse sollen den Grundstein für neue Therapieformen legen.
Nach dem Herzinfarkt ist vor dem Herzinfarkt: Für viele Patient:innen ist das eine traurige Wahrheit. Ein Infarkt wird meist durch Atherosklerose ausgelöst. Die „Verkalkung“ der Blutgefäße führt zu Verletzungen der Gefäßwand und lässt Gerinnsel entstehen, die die Blut- und Sauerstoffzufuhr zum Herzen abschneiden. Die schuldigen Plaques, also die Ablagerungen in den Blutgefäßen, bilden sich über Jahrzehnte hinweg – je ungesünder der Lebensstil, desto stärker. Ist der Herzinfarkt einmal passiert, dauert es jedoch oft nur wenige Monate oder Jahre bis zu einem zweiten. Das Risiko für ein Entstehen weiterer Gerinnsel erhöht sich drastisch.
Überschießende Immunreaktion
Die Gründe dafür liegen in einer Beschleunigung der Atherosklerose, die in diesem Fall nicht mehr überwiegend durch klassische Risikofaktoren verursacht ist. Mittlerweile ist klar, dass der Prozess mit einer vom Herzinfarkt ausgelösten Immunreaktion zusammenhängt, die zu einer raschen Zunahme der Entzündungsvorgänge in den Gefäßen führt. Dimitrios Tsiantoulas und sein Team von der Medizinischen Universität Wien arbeiten daran, die genauen Mechanismen hinter diesem Phänomen zu ergründen, um ein Fundament für künftige Therapien zu legen. In einem Projekt, das Tsiantoulas’ Forschungsgruppe gemeinsam mit den Teams von Amanda Foks von der Universität Leiden und Julia Polansky-Biskup von der Charité Universitätsmedizin Berlin umgesetzt hat, rückten die Wissenschaftler:innen die B-Zellen des Immunsystems in den Fokus ihres Interesses.
„Wir haben untersucht, in welcher Weise das Alter und ein bereits überstandener Herzinfarkt die Reaktion des Immunsystems beeinflussen. B-Zellen sind dafür besonders gute Kandidaten“, resümiert Tsiantoulas. „Sie sind Teil der adaptiven Immunantwort, die etwa durch den Kontakt mit Krankheitserregern oder Impfstoffen trainiert wird. Sie speichern diese Information für lange Zeit und warten, bis sie ein bekanntes Antigen wiederentdecken. Die Frage ist, ob – und wenn ja, warum – sie nach einem Herzinfarkt auch durch die Plaques verstärkt aktiviert werden.“ Eine Hypothese des Molekularbiologen ist, dass es zu einer Art Verwechslung kommt und B-Zellen, die eigentlich auf Substanzen abgestorbener Herzmuskelzellen reagieren sollten, irrtümlich die Entzündungen an den Plaques intensivieren.
Systematische Analyse der B-Zellen
Für die Wiener Forschenden galt es, in dem Projekt herauszufinden, welche B-Zellen überhaupt auf einen Herzinfarkt reagieren. Denn die Immunzellen mit dem guten Gedächtnis für Krankheitserreger sind alles andere als eine homogene Gruppe. „Der Begriff B-Zelle umfasst eine ganze Familie von Zelltypen. Wir haben deshalb in einem Mausmodell systematisch untersucht, wie sich alle diese Gruppen nach einem Herzinfarkt verhalten“, erklärt der Molekularbiologe.
Tsiantoulas’ Kolleg:innen rund um Amanda Foks in Leiden haben gleichzeitig eine ähnliche Untersuchung durchgeführt, die die Reaktion der verschiedenen B-Zellen auf altersbedingte Atherosklerose abtestete – also ohne das Auftreten eines Herzinfarkts. Hier wurden zusätzlich auch Zellen aus menschlichen Plaques, die bei Operationen standardmäßig entnommen werden, unter die Lupe genommen, um Querverbindungen zum Mausmodell ziehen zu können. In Berlin wurden schließlich die epigenetischen Untersuchungen durchgeführt. „Das Team von Julia Polansky-Biskup überprüfte, welche permanenten Veränderungen im Genom der Zellen nach einem Herzinfarkt oder nach Kontakt mit altersbedingter Atherosklerose entstanden“, schildert Tsiantoulas.
Die Ergebnisse des Projekts brachten die Forschenden dem Verständnis der immunologischen Vorgänge nach einem Herzinfarkt tatsächlich einen großen Schritt näher. Denn Tsiantoulas und Kolleg:innen konnten nicht nur nachweisen, dass die Zahl der B-Zellen in diesem Fall tatsächlich stark ansteigt. Sie bringen offenbar auch ganz bestimmte Eigenschaften mit. „Die B-Zellen entwickeln ein einzigartiges Profil der Genexpression – also in der Frage, welche genetische Information etwa zur Bildung von Proteinen herangezogen wird. Bei Tieren mit Atherosklerose, die keinen Herzinfarkt erlitten, konnte dieses Profil hingegen nie beobachtet werden“, schildert der Molekularbiologe.
Weitere Forschungsschritte
Diese Entdeckung soll nun in Folgeprojekten genauer untersucht werden. „Der nächste Schritt ist, herauszufinden, welche Folgen die Ausbildung dieses einzigartigen genetischen Profils hat. Welche Proteine werden produziert, welche Informationen dem Gedächtnis der B-Zellen eingeschrieben?“, fragen sich die Wissenschaftler:innen. Sind der Signalweg und der Zusammenhang mit der beschleunigten Atherosklerose schließlich enttarnt, können sich Forschende in der Therapieentwicklung Gedanken darüber machen, wie die Reaktion des Immunsystems moduliert werden kann.
„Ein hilfreicher Wirkstoff könnte ein Antikörper, ein sogenanntes Small Molecule, oder eine andere Verbindung sein. Er sollte in den Signalweg regulierend eingreifen, die überschießende Immunreaktion unterbinden und wieder ein Gleichgewicht herstellen“, beschreibt Tsiantoulas, der durchaus optimistisch ist, dass ein entsprechender Mechanismus gefunden werden kann. „B-Zellen sind ein gutes Ziel für Wirkstoffe und werden bereits in einer ganzen Reihe weiterer Therapien angesprochen.“
Vielleicht lässt sich also sogar ein bereits zugelassenes Medikament für diese neue Anwendung adaptieren. Oder man könnte die – seit den Covid-Impfungen nun auch in Anwendungen verfügbare – mRNA-Technologie nutzen, um eine Information in die B-Zellen einzuschleusen, die ihre schädliche Aktivierung rückgängig macht, zählt der Forscher mögliche Optionen auf. Auch wenn die erforderlichen klinischen Studien langwierig sind, stehen die Chancen gut, dass Herzinfarktpatient:innen irgendwann keine Angst mehr haben müssen, in kurzer Zeit erneut in Lebensgefahr zu schweben.
Zur Person
Dimitrios Tsiantoulas ist Assistenzprofessor für kardiovaskuläre Immunologie und Leiter einer Forschungsgruppe am Klinischen Institut für Labormedizin der Medizinischen Universität Wien. Sein Doktoratsstudium absolvierte er an der Medizinischen Universität Wien und am CeMM – Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), bevor er eine von der British Heart Foundation finanzierte Postdoc-Stelle an der Universität Cambridge antrat. Das von 2020 bis 2024 laufende Projekt „Die Rolle von B-Zellen in der beschleunigten Atherosklerose“ (B-eatATHERO) wurde vom Wissenschaftsfonds FWF mit 300.000 Euro unterstützt.
Publikationen
Smit V., de Mol J., Schaftenaar F.H., Depuydt M.A.C. et al.: Single-cell profiling reveals age-associated immunity in atherosclerosis, in: Cardiovascular Research 2023
Smeets D., Gisterå A., Malin S.G., Tsiantoulas D.: The Spectrum of B Cell Functions in Atherosclerotic Cardiovascular Disease, in: Frontiers in Cardiovascular Medicine 2022
Tsiantoulas D., Eslami M., Obermayer G. et al.: APRIL limits atherosclerosis by binding to heparan sulfate proteoglycans, in: Nature 2021