"Die ewige Schlacht" im Film: Melodram und Propaganda um Stalingrad
Die Schlacht von Stalingrad ist 80 Jahre her. Im nationalen Bewusstsein von Deutschland und Österreich war sie eine Tragödie und der Anfang vom Ende. "Militärhistorisch ist das mittlerweile relativiert, aber zu diesem Zeitpunkt hatte die Deutsche Besetzung Russlands ihre größte Ausdehnung", sagt der Historiker Werner Telesko. Gemeinsam mit seinem Kollegen Stefan Schmidl hat er in einem FWF-geförderten Forschungsprojekt die Weiterwirkung dieser Schlacht im Film untersucht.
1942 gelangten die deutschen Truppen bis nach Stalingrad an der Wolga. Die Stadt wurde fast vollständig zerstört, ihre vollständige Einnahme gelang nie. Am 19. November 1942 begann der Gegenangriff der Roten Armee, am 2. Februar 1943 gingen die letzten Reste der deutschen 6. Armee in Kriegsgefangenschaft. "Die ewige Schlacht" nennen die beiden an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) tätigen Historiker ihre in diesen Tagen in der edition text + kritik erscheinende Publikation, die sich mit der "Stalingrad-Rezeption als Überwältigung und Melodram" beschäftigt.
Heute wird wieder im europäischen Osten gekämpft, die Bilder zerstörter Städte und frierender Menschen in Ruinenlandschaften sind in die Gegenwart zurückgekehrt. Wie wird wohl der Ukraine-Krieg einmal filmisch erzählt werden? "Da werden vermutlich dieselben Techniken verwendet, die wir bei unseren Analysen gefunden haben: Vor allem das Melodramatische und die Sentimentalisierung sind Leitkriterien", glauben die beiden Forscher, die zahllose zwischen 1943 und 2013 entstandene Stalingrad-Filme sowjetischer, US-amerikanischer, west- und ostdeutscher und schließlich russischer Provenienz analysiert haben. "Es gibt eine unglaubliche Kontinuität an Stalingrad-Filmen - in praktisch jedem Jahrzehnt wurde einer gedreht."
Die politische Absicht hinter dem Film
Eine weitere Kontinuität sei augenfällig, sagen die beiden im Gespräch mit der APA: Noch jeder Stalingrad-Film habe mehr oder weniger deutlich politische Absichten verfolgt. Während das sowjetische Narrativ des heldenhaften Zurückschlagens des Faschismus auf der Hand liegt, hätten deutsche Produktionen bereits sehr früh nach Ende des Zweiten Weltkriegs am positiven Bild des einfachen Landsers gearbeitet, der von einem verbrecherischen Regime in den Krieg geschickt wurde, sich aber persönlich nichts zuschulden kommen ließ. "Die Art, in der dabei der russische Feind als gesichtslose, unzivilisierte Masse gezeigt wird, schreibt die NS-Ideologie fort." Der Feind sei weiterhin im Osten zu suchen, lautete die Devise, die Westdeutschland fest in die NATO integrieren sollte.
Die jeweils aktuelle Geschichtsdoktrin lässt sich auch an den Produktionen der Stalin- und Breschnew-Ära ablesen. Brisant wird es mit der bisher letzten russischen Produktion von 2013. Fjodor Bondartschuks "Stalingrad" wurde bereits unter Putin beauftragt. "Ideologisch ist das bereits ganz der Putin'schen Weltsicht verpflichtet, die man fast als Neo-Stalinismus bezeichnen kann, technisch werden aber die filmischen Mittel Hollywoods eingesetzt: Putins Welt, im IMAX-Paradigma erzählt", sagt Telesko.
Ein wiederkehrender Topos, den der Musikhistoriker Stefan Schmidl herausgearbeitet hat, ist die Anrufung der letzten Fragmente der bürgerlichen Kultur inmitten der Zerstörung. In vielen Filmen wird eine Szene eingearbeitet, die auf eine Anthologie von Stalingrad-Briefen zurückgeht: Inmitten winterlicher Ruinen spielt ein Soldat Beethovens Appassionnata.
Nach allen ihren Analysen: Gibt es für die beiden Historiker abseits der Stalingrad-Filme einen Kriegsfilm, der sich nicht vor einen politischen Karren spannt, sondern die Schrecken des Krieges zu einem pazifistischen "Niemals wieder!" verdichtet? Zwischen Mikro- und Makroebene gebe es fast immer einen "letztlich unlösbaren Konflikt", meint Telesko. Selbst die Grausamkeit des Krieges realistisch schildernde Produktionen wie "Saving Private Ryan" stellten letztlich die Politik, hier den amerikanischen Sieg und die Befreiung Europas, in den Mittelpunkt. "Die politische Kontextualisierung wird man nicht los."
Service: Stefan Schmidl / Werner Telesko: "Die ewige Schlacht. Stalingrad-Rezeption als Überwältigung und Melodram", edition text + kritik, 154 Seiten, 19 Euro, ISBN 978-3-96707-781-0