"Keep Drilling": Wissenschafter wollen weiter "Unterwelt" erforschen
Seit genau 20 Jahren nimmt Österreich am "International Continental Scientific Drilling Program" (ICDP) teil, seit 2004 am "International Ocean Discovery Program" (IODP). Diese Tiefbohrprogramme sind für heimische Forscher die Eintrittskarte in die "Unterwelt", doch bevor man in die Erde bohrt, muss man hierzulande harte (Finanzierungs-)Bretter bohren. "Keep drilling" lautet daher das Motto eines Symposiums zur geowissenschaftlichen Großforschung in Wien.
Es sind spektakuläre Forschungsvorhaben, an denen österreichische Forscher in den vergangenen Jahren durch die Beteiligung an den beiden Programmen teilgenommen haben. So ist Michael Strasser vom Institut für Geologie der Universität Innsbruck einer der Leiter einer Tiefsee-Bohrung im "Pazifischen Feuerring", um die Geschichte der oft gigantischen Beben vor der Küste Japans zu rekonstruieren. Im Frühjahr ist der Expedition der Rekord gelungen, 8.023 Meter unter dem Meeresspiegel einen 38 Meter langen Bohrkern zu entnehmen.
Der Geochemiker Christian Köberl von der Universität Wien war in den vergangenen Jahren an zahlreichen Bohr-Projekten beteiligt. Eines der aufsehenerregendsten war wohl die Bohrung im sogenannten Chicxulub-Krater im Golf von Mexiko, wo vor 66 Millionen Jahren ein Meteorit eingeschlagen hat, der als Hauptursache für das Aussterben der Dinosaurier gilt.
Zugang zu Technik und Knowhow
Der wissenschaftliche Lohn dieser Beteiligungen an ICDP- und IODP-Projekten sind zahlreiche Publikationen, die in den vergangenen Jahren heimische Forscher veröffentlicht haben. "Österreich bekommt damit auch Zugang zu Geräten, Ideen und Gehirnschmalz und es zeigt sich, dass unsere Expertise international durchaus geschätzt wird und wir an führender Stelle mit dabei sein können", betonte Köberl im Gespräch mit der APA. Er ist Obmann der Kommission für Geowissenschaften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), die das Symposium "Keep Drilling: Die erdwissenschaftlichen Tiefbohrprogramme ICDP & IODP" online veranstaltet. Zudem bedeute die Beteiligung auch Attraktivität und Perspektive für junge Wissenschafter.
Und das für eher symbolische Mitgliedsbeiträge von 50.000 Dollar (44.000 Euro) beim ICDP bzw. 100.000 Dollar beim IODP - Beträge, die laut Köberl seit 2001 (ICDP) bzw. 2004 (IODP) gleich geblieben sind. Das Geld kommt vom Wissenschaftsministerium, abgewickelt wird die Beteiligung von der ÖAW über deren Leistungsvereinbarung. "Weil klar ist, dass mit dem gleichen Geld über die Jahre und Jahrzehnte immer weniger möglich ist, versuchen wir, das auf neue Beine zu stellen", betonte Köberl eine der Motivationen für die Veranstaltung. Ziel sei es, für die nächste Leistungsvereinbarungs-Periode ab 2024 eine Erhöhung der österreichischen Mitgliedsbeiträge zu erreichen.
Das eigentliche Problem sind allerdings nicht die Mitgliedsbeiträge, sondern speziell die Finanzierung von Bohrprojekten beim ICDP. Dort könne man aus einem Mitgliedsland kommend zwar Projekte beantragen, aber zu den Kosten etwa eines Bohrprojekts trage das Programm durchschnittlich nur 20 Prozent bei. Für das Gros müssten die beteiligten leitenden Wissenschafter über die jeweiligen nationalen Förderorganisationen aufkommen.
Mangel an Fördertöpfen in Österreich
Und nicht nur beim ICDP oder IODP, auch bei anderen Beteiligungen an internationalen Großforschungs-Einrichtungen bzw. -Projekten "hat es sich in Österreich immer schon gespießt, weil es keine Fördertöpfe dafür gibt", so Köberl. In Deutschland existiere es mit der sogenannten "Großforschung" ein eigener Fördertopf für solche Fälle, in Österreich fehle so etwas. Auch die auf Initiative des verstorbenen Physiker Helmut Rauch an der ÖAW eingerichtete Kommission für Großforschung sei "am Desinteresse gescheitert und wurde nicht verlängert", plädiert Köberl dafür, diese Idee weiter zu verfolgen.
Mehr als 100 österreichische Beteiligungen gab es in den vergangenen 20 Jahren an ICDP- und IODP-Projekten, von Bohrungen im Pazifik bis zu solchen in Alpentälern. Angesichts eines sich abzeichnenden Generationswechsels versuche man mit dem Symposium auch zu zeigen, dass weiterhin Interesse an den Tiefbohrprogrammen bestehe. Schließlich gehe es darum, "grundlegende und global bedeutsame Kenntnisse über die Struktur, Zusammensetzung und Prozesse der Erdkruste zu gewinnen".
In aktuell mehr als 50 Bohrprojekten versuche man Fragen etwa über die Evolution der Erde und die Entstehung des Lebens, über von geologischen Prozessen ausgehende Naturgefahren wie Vulkanausbrüche oder Erdbeben, über die Nutzung von Georessourcen wie Erdwärme oder über die Wechselbeziehungen zwischen Klima und geologischen Prozessen zu beantworten. "Wir bekommen durch die Bohrungen hochauflösende geologische Archive und können daraus Dinge lernen, zu denen man nur durch Beobachtungen auf der Oberfläche keinen Zugang hat", so Köberl.
Service: Symposium: "Keep Drilling: Die erdwissenschaftlichen Tiefbohrprogramme ICDP & IODP", 9.12., 13.30 - 18.00 Uhr, Online unter https://www.oeaw.ac.at/veranstaltungen/live frei zugänglich