DNA erzählt Geschichte der Völker aus der Wiege der Landwirtschaft
Ackerbau wurde laut dem Wiener Anthropologen Ron Pinhasi quer über den Fruchtbaren Halbmond vor 12.000 Jahren wohl mehrfach entwickelt. Die Bevölkerung war dort laut Analysen alter menschlicher DNA divers, mehrere Gruppen begannen vermutlich unabhängig Pflanzen anzubauen. Im Fachjournal "Science" zeigen die Forscher in drei Arbeiten zudem, dass das oströmische Reich der Kaiserzeit so kosmopolitisch wie Rom selbst war. Auch die Besiedlungsgeschichte Anatoliens wurde geklärt.
Ein 206 Forscher umfassendes Team um Ron Pinhasi vom Department für Evolutionäre Anthropologie der Universität Wien und David Reich von der Harvard University (USA) sequenzierte und verglich die alten Erbgut-Überreste von 727 Individuen, die im Zeitraum von den Anfängen der Landwirtschaft vor rund 12.000 Jahren bis etwa 1.700 nach unserer Zeitrechnung (n.u.Z.) in jener Region lebten, wo der Ackerbau entstand, und darüber hinaus: Die Anthropologen nennen diesen Teil der Welt "Südbogen" (Southern Arc), er spannt sich von Vorderasien über Anatolien bis nach Südosteuropa. Bisher kannte man von der Archäologie und Geschichtsforschung viel über die Kultur, aber wenig über die genetische Herkunft der dort lebenden Menschen.
"Wir wussten schon lange, dass der Ursprungsort der Landwirtschaft der Fruchtbare Halbmond ist (ein Winterregengebiet im Norden der arabischen Halbinsel, Anm.), aber wir vermissten bisher Daten über seine Kernregion, nämlich Mesopotamien, zur Zeit der Entstehung der Landwirtschaft", so Pinhasi. Mit Daten von einer Ausgrabungsstelle (Nemrik 9) im heutigen Irak konnten die Forscher diese Lücke schließen.
"Wir enthüllten eine große genetische Diversität unter den Individuen des Fruchtbaren Halbmonds", erklärte er. Es gäbe deutliche Unterschiede zwischen den eher an den Küsten lebenden Populationen der Levante und Anatoliens, und jenen im Inland, also etwa in Mesopotamien, dem heutigen Iran, und dem Kaukasus. "Das bestätigt aus meiner Sicht, dass quer durch die Region der Ackerbau unabhängig entstanden ist", meint der Forscher. Denn eine einmalige Entstehung und die Ausbreitung durch eine einzige Gruppe hätte wohl eine sehr homogene Landwirtschaft betreibende Bevölkerung bewirkt.
Gen-Austausch lässt auf überregionale Kontakte schließen
Dennoch gab es zumindest zweimal gut erkennbaren Gen-Austausch, was auf überregionale Kontakte schließen lässt. Die "neolithische Revolution", wie die Entstehung und Etablierung der Landwirtschaft bezeichnet wird, sei demnach ein komplexer Prozess gewesen, der nicht nur in einer Kernregion, sondern in ganz Anatolien und dem Nahen Osten stattgefunden hat, so Pinhasi in einer Aussendung der Uni Wien.
Erbgut-Daten von Menschen aus der römischen Kaiserzeit (27 vor bis 284 n.u.Z.) zeitigen wiederum, dass nicht nur Rom selbst als Metropole sehr kosmopolitisch war - was Pinhasi mit Kollegen schon 2020 offengelegt hat. Es gab auch eine große genetische Variabilität innerhalb der oströmischen-byzantinischen Bevölkerung in Anatolien (Kleinasien), was ebenfalls von Kosmopolitismus zeugt, so Pinhasi.
Schließlich konnten die Forscher um Pinhasi und Reich auch einiges über die Migrationsbewegungen und somit die Verbreitung der Sprachen im "Südbogen" herausfinden. Ihre Ergebnisse verraten etwa, dass die ersten Landwirte, die Zypern "mit ihrem jungsteinzeitlichen Rucksack" aber noch ohne Töpferei-Tradition erreichten, am ehesten von den Küsten Anatoliens und nicht der Levante oder anderen Regionen kamen, so der Wissenschafter. Außerdem stellte sich heraus, dass Anatolien im Gegensatz zum Balkan und dem Kaukasus später kaum von Wanderungsbewegungen von "Jamnaja"-Bauern aus der "pontischen Steppe" nördlich des Schwarzen und Kaspischen Meeres beeinflusst war.
(SERVICE - Internet: http://dx.doi.org/10.1126/science.abm4247; http://dx.doi.org/10.1126/science.abq0755; http://dx.doi.org/10.1126/science.abq0762)