Bloß nicht stillstehen: Wie man teure Produktionsausfälle und Fehlfunktionen mit KI zu verhindern versucht
Mathias Brandstötter ist stellvertretender Institutsdirektor von ROBOTICS, dem Institut für Robotik und Mechatronik in Klagenfurt. Der Maschinenbauingenieur war bereits zu den Anfängen des Instituts dabei und hat dieses mitaufgebaut. Derzeit arbeitet er an einem Projekt namens SUSPICION. Dabei handelt es sich um ein gefördertes Forschungsprojekt im Rahmen des Programms Horizon-2020 der EU, das Teil des Forschungsprojekts ESMERA ist.
Woran forschen Sie im aktuellen Projekt?
Das Projekt heißt SUSPICION, englisch für Verdacht. Wir wollen zukünftig Störfälle bei Robotern in der Automobilproduktion vorhersagen können, welche sich aufgrund eines konkreten Verdachts aus den Daten ableiten lassen. Damit können Ausfälle, Fehlfunktionen und teure Stillstände in der hochoptimierten Fertigung verhindert werden. Vorausschicken möchte ich, dass ein Roboter eine sehr stabile und robuste Maschine ist. Zum Großteil hat nicht der Roboter ein Problem, sondern ein Peripheriegerät und deswegen kommt es zu einem Störfall. Beispiele für solche Geräte wären etwa ein Punktschweißgerät oder ein Fräser, etwas zum Kleben oder ein Greifer, also ein Gerät, das vorne am Roboter montiert ist.
Wer ist am Projekt beteiligt?
Challenge Provider ist Magna Steyr mit enormen Mengen an Maschinendaten. Geleitet wird das EU-geförderte Projekt von Titanilla Komenda von Fraunhofer Austria. Die Forschungsgruppe in Wien analysiert unter anderem die Prozessdaten hinsichtlich Auffälligkeiten. craftworks, ein Wiener KI-Unternehmen, stellt Datenanalysten und damit methodische Expertise bei. Wir betrachten verstärkt die Roboterseite und untersuchen deren Einfluss auf den Prozess. Dabei versuchen wir Korrelationen zwischen den roboterspezifischen Daten und Störfällen herzustellen, zeitgleiche Features zu finden und zu beschreiben, damit die KI die Daten später effizienter überprüfen kann. Natürlich arbeiten wir hierbei sehr viel im gesamten Projektteam und nutzen die vorhandenen Expertisen.
Wie ist es möglich Störfälle vorherzusagen?
Ein Roboter zeichnet mit Sensoren seine Bewegungen zehn Mal pro Sekunde auf. Magna Steyr nimmt seit einigen Jahren riesige Datenmengen auf. Es handelt sich um 80 Millionen Datenpunkte, die wir genau analysieren und synchronisieren können. Nach einer Datenaufbereitung kommt die Künstliche Intelligenz ins Spiel, die uns dabei unterstützt, aus den synchronisierten Gerätedaten Störfälle zu erkennen. Mit einem guten, künstlich gelernten Systemmodell können wir erkennen welche Daten gewisse Störungen anzeigen und damit zukünftige Störfälle vorhersagen.
Was ist die Aufgabe von ROBOTICS?
Unsere Aufgabe ist es unter anderem auch, einen Autoencoder zu designen. Der Autoencoder verjüngt die Daten im Datensatz, das heißt die Menge an Daten wird kleiner, aber die Informationen bleiben vorhanden. Man nennt diesen Raum "Latentspace", in dem annähernd die gleichen Informationen enthalten sind, obwohl er mit viel weniger Daten beschrieben wird. Im Prinzip geht nichts Wesentliches verloren und das künstliche Netz kann daher einfacher aufgebaut werden, wenn es mit weniger Daten operieren muss.
Wie geht es dann weiter mit der KI?
Das System lernt unter Einsatz von Algorithmen drohende Ausfälle und Fehler im Vorhinein zu prädizieren, denn in den Daten zeichnen sich oftmals gewisse Störfälle schon vorher ab. Die KI kann aus dem relativen Vergleich zu den anderen Tagen erfassen, dass etwas mit dem Roboter oder in seiner Umgebung nicht passt. Ein normaler Zyklus wird mit aktuellen Daten verglichen und in der Folge kann man erkennen, dass beispielsweise das Gelenk Nummer vier täglich eine Spur mehr Strom braucht. Aus diesem Feature kann man beispielsweise ableiten, dass das Gelenk zu verschleißen beginnt. Diese Information wird dann weitergegeben und könnte so lauten: In drei Wochen wird ein Verschleißfehler mit einer Wahrscheinlichkeit von 85 Prozent auftreten. In der zweiten Phase des Projekts, der "recommendation stage" werden wir gemeinsam mit Fraunhofer Austria und craftworks unsere Methoden verbessern. Ziel ist es auch, den Produktionsmitarbeiterinnen und Produktionsmitarbeitern Vorschläge zu unterbreiten, was sie gegen einen drohenden Störfall unternehmen können.
Gibt es ein Bild, mit dem man diese Prozesse leichter verständlich machen kann?
Angenommen eine Person geht jeden Tag über die 260 Stufen auf den Schlossberg in Graz. Irgendwann wird ihr bewusst, heute ist es anders als gestern und die Tage zuvor. Es gibt also Abschnitte am Weg hinauf, die belastender sind und beispielsweise im Knie Schmerzen hervorrufen. Dann sieht man im relativen Vergleich mit den anderen Tagen, dass etwas mit einem nicht stimmt. Bei SUSPICION sehen wir uns einen idealen Zyklus des Roboters an, einen unproblematischen Bewegungsablauf und vergleichen den mit aktuellen Daten. Wenn das Gelenk Nummer vier täglich eine Spur mehr Strom verbraucht, kann man aus dem Feature sehr wahrscheinlich ableiten, dass das Drehgelenk zu verschleißen beginnt.
Wie viele Roboter seht ihr euch an?
Die Fertigung im Karosseriebau ist in Linien organisiert und die Produktion basiert auf hunderten Robotersystemen. Die Linien werden wiederum in abgegrenzte Prozessbereiche aufgeteilt. Den Abschnitt, den wir analysieren, enthält acht Roboter und bei vier Robotern durchleuchten wir die Fertigungsprozesse im Detail. Wenn ein Roboter ausfällt, steht nach einiger Zeit die ganze Linie, außer die anderen Maschinen können etwas ausgleichen und dazwischen auf Puffer arbeiten. Daher ist es so wichtig, dass diese Stillstandszeiten möglichst kurz sind.
Wie oft treten Störfälle auf?
Anhand der Stördaten sieht man, dass es zu Ausfällen kommt. Bei derart vielen, miteinander vernetzten Robotersystemen, wie Magna Steyr sie im Einsatz hat, ist das auch nicht weiter verwunderlich. Die Technikerinnen und Techniker vor Ort reparieren alles, sobald ein Alarm ausgelöst wird. In dieser hochautomatisierten Fertigungshalle ist das eine wesentliche Aufgabe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Lässt sich das auch bei Peripheriegeräten messen?
Ja, theoretisch ist das möglich. Hier wäre es sehr interessant zu erkennen, wenn das Werkzeug eine drohende Fehlfunktion hat und es eine Rückkoppelung auf den Roboter gibt, die diese anzeigt. Mit einer Messung des benötigten Moments für die Bewegungsausführung und dem Vergleich des Stroms, könnte man so etwas feststellen. Hierfür möchten wir in der nächsten Projektphase Zyklusbereiche genauer analysieren, und Netze gezielt darauf trainieren. Mit den Methoden von craftworks und den Features, die das restliche Team ausarbeitet, scheint das realistisch. Aber wir befinden uns hier in einem Forschungsprojekt und damit gibt es noch einige Herausforderungen zu meistern.
Was ist eure Zukunftsvision für die Vorhersage von Störfällen?
Ein weiterer Schritt in der Zukunft könnte sein, anhand der Qualität des Endprodukts Rückschlüsse darauf ziehen zu können, welches Element in der Produktionskette für den Qualitätsverlust verantwortlich ist. Wenn wir es schaffen, die Störquellendiagnose online zur Verfügung stellen zu können und dafür Laufzeitdaten vom Roboter und den Peripheriegeräten als auch Qualitätsdaten des Produkts gleichzeitig sinnvoll zu nutzen, dann haben wir einen riesen Meilenstein erreicht.
Das Projekt SUSPICION wird durch ESMERA - European SMEs Robotic Applications - gefördert. Das Gesamtbudget für alle Projektpartner und zwei Projektphasen beträgt 200.000 Euro. ESMERA wurde im Jänner 2018 gestartet und wird vom Laboratory for Manufacturing Systems and Automation an der University of Patras koordiniert. Mehr zum Projekt: http://www.esmera-project.eu/suspicion/
Infobox:
Mathias Brandstötter: Der gebürtige Oberösterreicher hat Maschinenbau an der TU Graz studiert und sich auf Mechatronik, Regelungstechnik und Robotik spezialisiert. Seine Affinität zu Mathematik und Geometrie hat er bei seiner Promotion in Tirol mit Robotik verbunden. Seit sechs Jahren ist er bei der JOANNEUM RESEARCH in Klagenfurt am Wörthersee im Lakeside Science & Technology Park tätig und wohnt mit seiner Familie am Stadtrand von Klagenfurt.
Kontakt DI Dr. Mathias Brandstötter ROBOTICS - Institut für Robotik und Mechatronik Telefon: +43 664 602876-2005 E-Mail: mathias.brandstoetter@joanneum.at