NHM-Sonderschau zur "dünnen Haut der Erde"
In Österreich werden 42 Quadratkilometer pro Jahr etwa durch Bautätigkeit in Anspruch genommen, 18 Quadratkilometer davon versiegelt. Das ist für den Bodenforscher Martin Gerzabek "nachhaltig nicht zu verantworten", verschwindet damit doch eine unverzichtbare Lebensressource. Das Naturhistorische Museum Wien widmet sich mit der Schau "Die dünne Haut der Erde - Unsere Böden" diesem Ökosystem und lässt Besucher aus Perspektive einer Landassel diesen Lebensraum erkunden.
Auf einem Hektar finden sich in den obersten 30 Zentimetern Boden rund 25 Tonnen Lebewesen, erklärte Martin Gerzabek von der Universität für Bodenkultur (Boku) am Dienstag bei der Presseführung zur neuen Sonderschau des Naturhistorischen Museums (NHM). Oder wie es in der vom Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz (Deutschland) konzipierten internationalen Wanderausstellung in absoluten Zahlen erklärt wird: Steht man auf gesundem Boden, finden sich in dem Kubikmeter unter den Füßen 100 Billionen Bakterien, 100 Milliarden Pilze, ebensoviele Algen und Geißeltierchen, eine Million Wimperntierchen, ebensoviele Fadenwürmer, 70.000 Milben, 50.000 Springschwänze, 100 Regenwürmer, usw.
"Gesichter, die nur eine Mutter lieben kann"
Diese Vielfalt der Bodenlebewesen zeigt die Schau über weite Strecken unter einem dunklen Stoffplafond, der den Eindruck erwecken soll, sich unter der Erde zu bewegen. Und weil die Bodentiere meist sehr klein sind, lässt man den Besucher auf die Größe einer Kellerassel schrumpfen, indem man die verschiedenen Modelle von Springschwänzen, Hornmilben, Bärtierchen entsprechend groß gemacht hat. So kann man ihre "Gesichter, die nur eine Mutter lieben kann", so Willi Xylander, Kurator der internationalen Wanderausstellung vom Senckenberg Museum, ohne Lupe oder Mikroskop betrachten.
Auf wie kleinem Raum diese Bodenorganismen tatsächlich leben, wie dünn die "Haut der Erde" also ist, zeigt der Vergleich mit einer Apfelschale: Der Apfel müsste einen Durchmesser von 8,5 Kilometer haben, damit seine Schale so dick wie die Bodenschicht der Erde ist, heißt es in der - etwas deutschlandlastigen - Schau, die durch verschiedene österreichische Aspekte und NHM-Exponate angereichert wurde. So geben Wissenschafterinnen und Wissenschafter des NHM und des Umweltbundesamts Einblick in ihre Forschungsarbeiten über Böden und ihre Lebewesen.
Die Vielfalt der Böden
In verschiedenen "Kammern" zeigt die Schau die Faszination des Lebens im Untergrund und seine Interaktionen, etwa mit den vergrößerten Darstellungen von Fangscheren einer Raubmilbe, den Wehrdrüsen eines Riesenspringschwanzes, den Sekreten zur Abwehr von Feinden, die man auch riechen kann, aber auch mit der Vielfalt der Böden selbst (rund 100.000 verschiedene Bodenarten hat die Wissenschaft weltweit definiert). In der "Kammer des Schreckens" geht es aber auch um die negativen Einflüsse des Menschen auf die Böden, "die essenziell für unser Überleben, aber gleichzeitig eine begrenzte Ressource sind", so Xylander.
Das Museum wolle mit der bis 3. März 2025 geöffneten Schau aufzeigen, "welche Bedeutung Böden haben", sagte NHM-Generaldirektorin Katrin Vohland, die auch Bezug auf die aktuellen "emotional bewegenden Hauptkonflikte" Bezug nahm, etwa jenen um die Landnutzung. "Objektive Information tut not", bezog sich auch Gerzabek indirekt auf die Diskussionen um das EU-Renaturierungsgesetz. In diesem bezieht sich übrigens ein Indikator, bei dem die EU-Staaten Verbesserungen erzielen müssen, auf den Bestand an organischem Kohlenstoff in mineralischen Ackerböden.
Und auch wenn sich laut dem Boku-Forscher die Qualität der Böden in Österreich seit den 1980er Jahren verbessert habe, werde durch den fortschreitenden Flächenfraß der Druck auf die verbleibenden Böden vergrößert. Das zeigt sich etwa bei ihrer Fähigkeit zur Wasserspeicherung bei gleichzeitig zunehmenden Starkniederschlägen. Vohland verwies auch auf die Fähigkeit der Böden zur Speicherung von Kohlenstoff, weshalb "Bodenschutz auch Klimaschutz ist".
Angesichts der "ständigen Zielkonflikte um die Flächennutzung" verweist Gerzabek auf die 40.000 Hektar Gewerbe- und Industriebrachen in Österreich, also Leerstände etwa von Firmenhallen und Gewerbebetrieben. Diese würden aber kaum genutzt, sondern "auf besten Böden neu gebaut", fordert er ein Programm, das Firmen unterstützt, solche Brachen wieder zu revitalisieren.
Service: Sonderausstellung "Die dünne Haut der Erde - Unsere Böden" im Saal 21 des Naturhistorischen Museums, bis 3. März 2025 begleitet von einem umfangreichen Rahmenprogramm, Internet: https://go.apa.at/l7xBTkPc