"Science Europe"-Chefin pocht auf akademische Freiheit
Die Zukunft der Grundlagenforschung diskutierten am Donnerstagabend Experten bei dem vom Wissenschaftsfonds FWF initiierten "think.beyond Summit". "Die Ideen wachsen zu lassen, ohne unbedingt von Anfang an ein festgelegtes Ziel zu haben, ist wirklich das Fundament für alles andere", meinte dabei die anwesende Präsidentin des europäischen Förderdachverbands "Science Europe", Mari Sundli Tveit im Gespräch mit der APA. Sie drängte auf die Wahrung eines offenen Forschungsumfelds.
Für eine Grundlagenforschung, die Innovationen beschleunigen und auslösen, aber auch ungewollte Konsequenzen im Blick behalten soll, brauche es in Europa auch in Zukunft ein von Mobilität und akademischer Freiheit geprägtes Umfeld. "Für die Öffentlichkeit ist es oft wichtig zu sehen, wie eine Investition von Nutzen sein kann und das eigene Leben beeinflusst", so Tveit, die bei der Veranstaltung zu Gast war. Um dies im Bereich der Grundlagenforschung zu bieten, seien starke und geduldige Stimmen unverzichtbar, die kontinuierlich deren Notwendigkeit und gesellschaftlichen Nutzen erklären.
Aktuelle Themen wie die Klimakrise seien ein gutes Beispiel dafür: In dem Bereich werde schnell klar, wie wichtig der Aufbau von Wissen über die Mechanismen und Effekte der Erwärmung auf die Umwelt, aber auch im sozialwissenschaftlichen Bereich bei Themen wie Migration sowie Konflikten ist. Gleichzeitig brauche es wegen der Geschwindigkeit der Veränderungen Forschung, die neue Lösungen und Innovationen in Richtung einer grünen, digitalen Wende bieten kann - "denn diese beiden großen Zukunftsthemen, Klimakrise sowie Digitalisierung und KI, gehen für mich Hand in Hand", sagte Tveit. KI biete Möglichkeiten, die Zuversicht schaffen: etwa innerhalb einzelner Forschungsdisziplinen durch neue Wege zur Verarbeitung großer Datenmengen oder auch bei der Beschleunigung der gesamtgesellschaftlichen Wende.
"Während wir auf diese Hochgeschwindigkeitsbahn KI aufsteigen, müssen wir aber konstant darüber nachdenken, was die gesellschaftlichen Konsequenzen sind", so Tveit. Diese reichen vom Bereich der Ethik bis zu Auswirkungen auf Demokratie, Wirtschaft und "wirklich allem". So müsse man ungewollte Veränderungen früh genug erkennen, um entgegensteuern zu können. Zumindest ermöglicht würden gesellschaftlicher Wohlstand und Nachhaltigkeit, wenn dabei sichergestellt ist, dass gewisse Gruppen durch die Technologie nicht weiter zurückfallen: "Die grüne, digitale Wende muss auch gerecht sein", plädierte Tveit.
Lösung von globalen Herausforderungen brauch gute Forschung
Gerade bei der Lösung von globalen Herausforderungen, ob sie schon bekannt oder noch unbekannt sind, brauche es deswegen die Vorbereitung, die gute Forschung und Erweiterung des Grundwissens darstellt. Die sichere und effiziente Entwicklung von Covid-Schutzimpfungen sei etwa erst durch vorangegangene Arbeit an der mRNA-Technologie möglich geworden. "Grundlagenforschung führt zur Anwendung, zu Innovation und gesellschaftlichem Wandel - nur beginnt sie oft von einer breiteren Perspektive", erklärte die Science Europe-Chefin. Sowohl Privatunternehmen als auch der öffentliche Sektor, etwa der Gesundheitsbereich, würden diese Innovationen dringend brauchen.
Von der Forschungs- und Finanzierungsseite seien also geduldige und genaue Anstrengungen, Grundkenntnisse zu erweitern, vonnöten. Gleichzeitig müssen aber auch beschleunigende Mechanismen gefunden und gefördert werden: "Es ist wichtig, Wege zu finden, wie etwaige Anwendungsmöglichkeiten von breiteren Forschungsergebnissen früh identifiziert und der Prozess hin zum Produkt, der Lösung oder der Innovation vorangetrieben werden können", so Tveit, die auch Vorsitzende des Research Council of Norway ist.
In Norwegen seien beispielsweise Zentren geschaffen worden, in denen die unterschiedlichen Akteure nah beisammen arbeiten, um den Weg von der Grundlagenforschung zur Anwendung in einer dichten Umgebung zu verkürzen. Bei Science Europe wolle man unter anderem eine Plattform für den gegenseitigen Austausch solcher neuer Ansätze bieten. "In diesem Rahmen interessieren mich immer die Wege, wie u.a. die Finanzierung von risikoreicheren Projekten in unterschiedlichen Ländern ermöglicht werden", sagte Tveit. Auch die kürzlich im Rahmen der neuen Förderschiene "Emerging Fields" des FWF vergebenen Finanzierungen sieht sie in diesem Bereich als Positivbeispiel.
Angesichts der Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni wünscht sich die Science Europe-Chefin auf politischer Ebene ein Europa, das über Grenzen hinweg zusammenarbeiten kann: "Wir brauchen Offenheit, Mobilität sowie wissenschaftliche Freiheit, um unser Wissen und damit auch eine nachhaltige wissensbasierte Zukunft sicherzustellen."
Service: https://scienceeurope.org