Cannabis als Schmerzmittel: Weiterhin unklare Datenlage
Seit mehr als vier Jahren ist in Deutschland im Gegensatz zu Österreich die Verordnung von medizinischem Cannabis, Cannabisblüten und -extrakten sowie von Cannabis-basierten Arzneimitteln auf Rezept möglich. Eine regelrechte generelle Zulassung gibt es nicht. Anlässlich des (bis 23. Oktober) in Mannheim laufenden Deutschen Schmerzkongresses wurde auf die fehlende wissenschaftliche Basis, aber auch auf eher positive Berichte von Patienten mit chronischen Schmerzen hingewiesen.
"Im Jahr 2022 steht (in Deutschland; Anm.) die finale Auswertung der gesetzlich geforderten Begleiterhebung an, zu der alle Ärztinnen und Ärzte verpflichtet sind, die medizinisches Cannabis verschreiben. Etwa zwei Drittel der 10.000 dort dokumentierten Patientinnen und Patienten berichten über positive Effekte nach einem Jahr Behandlung - vor allem bei chronischen Schmerzen", hieß es am Mittwoch in einer Aussendung aus Anlass des Kongresses. Die Eröffnung der Möglichkeit zur Verschreibung von Cannabis durch Ärzte auf Krankenkassenkosten in Deutschland hatte im Frühjahr 2017 europaweit für Aufsehen gesorgt.
Wirkung nicht sicher bestätigt
Die andere Seite der Medaille, wie am Mittwoch auch in einer Online-Pressekonferenz zu dem Kongress erklärt wurde: "In hochwertigen Studien gibt es allerdings nach wie vor keinen sicheren Wirkungsnachweis, auch die Risiken einer längerfristigen Behandlung sind kaum untersucht."
In Deutschland stellt sich jedenfalls im kommenden Jahr erneut die Frage, ob die Cannabis-Therapie weiterhin möglich sein soll und ob das auch in der Zukunft auf Kassenkosten erfolgen soll. "Die Behandlung chronischer Schmerzen mit medizinischem Cannabis steht in einem wachsenden Spannungsfeld von finanziellen Interessen, Hoffnungen der Betroffenen und einer nicht nachgewiesenen Effektivität", sagte Frank Petzke, Leiter Schmerzmedizin an der Klinik für Anästhesiologie der Universitätsmedizin Göttingen und Sprecher der deutschen Ad-hoc-Kommission "Cannabis in der Medizin" der Deutschen Schmerzgesellschaft.
Der - medizinische - Cannabis-Boom ist in Deutschland jedenfalls erheblich. Im ersten Halbjahr 2021 sei medizinisches Cannabis in Höhe von fast 90 Millionen Euro verschrieben worden. "Diese hohe Summe legt nahe, dass ein wirtschaftlich interessanter Markt mit erheblichen Kosten für die Solidargemeinschaft entstanden ist", so Petzke weiter. Die Deutsche Schmerzgesellschaft fordere deshalb einen konstruktiven Dialog der beteiligten Interessensgruppen vor der endgültigen Entscheidung über das weitere Vorgehen im kommenden Jahr.
Derzeit zählen in Deutschland manche Formen der Epilepsie, schmerzhafte Krampfzustände (Spastizität) bei Multipler Sklerose und Übelkeit und Erbrechen nach Chemotherapie bei Versagen anderer Optionen zu den Anwendungsgebieten mit speziell zugelassenen Cannabis-basierten Arzneimitteln, die ärztlich direkt verordnet werden können. Alle anderen möglichen Indikationen für eine Therapie mit medizinischem Cannabis - einschließlich der Behandlung von Schmerzen - benötigen ein besonderes Antragsverfahren, da keine arzneimittelrechtliche Zulassung mit entsprechendem wissenschaftlichen Wirkungsnachweis vorliegt.
Die gesetzlichen Hürden für die Verschreibung von Cannabis-Präparaten wurden in Deutschland so festgelegt: Nur wenn eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt, für welche die Standardtherapien bereits ausgeschöpft sind oder nicht zur Anwendung kommen können, kann die Kostenübernahme bei der Krankenkasse beantragt werden. Der verschreibende Arzt muss darüber hinaus bescheinigen, dass eine - so das Gesetz - "nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht".
Das Angebot ist groß
Die Breite des Angebots an medizinischem Cannabis & Co. ist in Deutschland mittlerweile groß. Es steht ein breites Spektrum an Fertigarzneimitteln und Zubereitungen in Form von diversen Blütenprodukten oder standardisierten Extrakten zur Verfügung. Es geht dabei sowohl um THC als auch um andere Cannabinoid-Inhaltsstoffe. Zahlreiche Anbieter haben den Cannabis-Markt für sich entdeckt. Dies schaffe einerseits verbesserte therapeutische Optionen, sagte Petzke, mache es den Ärzten und Patienten aber auch schwer, das richtige Präparat auszuwählen.
"Patienten mit schweren Erkrankungen und Schmerzen sowie deren Ärztinnen und Ärzte haben ein gut nachvollziehbares Interesse an einer Behandlungsoption mit Cannabis", sagte der Experte. Die geringe wissenschaftliche Evidenz und die fehlende Zulassung für viele potenzielle Indikationen erfordere aber auch eine kritische und rationale Auseinandersetzung mit dem Thema.
2018 hatte sich ein Report der deutschen Techniker Krankenkasse sehr kritisch mit Cannabis auf Kassenrezept auseinandergesetzt. Für die meisten möglichen Anwendungsgebiete hätte sich keinerlei wissenschaftlicher Beweis für eine Wirksamkeit in Studien gefunden.
Legal per Rezept erhältlich sind in Österreich nur wenige pharmazeutische Produkte, zum Teil über magistrale Verschreibung, jedenfalls nicht Cannabis selbst, Blüten etc. Auch die Österreichische Gesundheitskasse verweist auf mangelnde wissenschaftliche Belege für die Cannabinoid-Therapien: Die Studienlage zur Wirksamkeit von Cannabinoiden ist äußerst unbefriedigend, die meisten Therapieindikationen sind durch Studien nicht belegt. Es liegen lediglich Hinweise auf eine Wirksamkeit bei mittelschwerer bis schwerer therapieresistenter Spastik bei Multipler Sklerose oder bei Übelkeit und Erbrechen infolge einer Chemotherapie vor." Österreichische Experten haben sich immer wieder kritisch zu der Vorgangsweise in Deutschland geäußert.