#CoronaAlltag: Gesundheitsdaten und Transparenz
Gegenwärtig können wir täglich auf aktuelle Zahlen zur Ausbreitung von SARS-CoV-2 auf Webseiten von Gesundheitsbehörden weltweit zugreifen. Jede*r von uns hat die Möglichkeit, täglich aktualisierte Statistiken mit Neuinfektionen, Mortalitätsraten sowie den Anteil an Hospitalisierungen und Intensivaufenthalten in Österreich abzurufen. Dieses Ausmaß an Informationstransparenz in unserem Gesundheitswesen ist ungewöhnlich. Es ist selbstverständlich der außergewöhnlichen Situation geschuldet. Dennoch wollen wir dieses Phänomen mit der Informationstransparenz im "normalen" Alltag vergleichen.
Wir befassen uns in unserem FWF-Projekt "Healthcare Quality Assessment in Austria: Discourses and performances" mit einem wohl nur auf den zweiten Blick fast identischen Phänomen: der Messung von Ergebnisqualität in Krankenhäusern. Es gibt aber deutliche Übereinstimmungen mit den Ergebniskennzahlen der so genannten Austrian Inpatient Quality Indicators (A-IQI), die regelmäßig bundesweit für jedes Krankenhaus und viele medizinische Leistungen erfasst und verglichen werden, z.B. Mortalitätsraten, Aufenthaltsdauern, Intensivaufenthalte. Die A-IQI sind ein wesentliches Instrument der österreichischen Gesundheitspolitik, um zentrale Ziele der Gesundheitsreform zu verwirklichen: Transparenz und Qualitätsmessung.
Die Messung der Qualität und des Erfolgs von Krankenhausaufenthalten und die Veröffentlichung der Ergebnisse ist international seit Jahrzehnten weit verbreitet. Die Veröffentlichung hat ihre Wurzeln im anglo-amerikanischen Raum, wie beispielsweise den USA, Großbritannien oder Australien. Nichtsdestotrotz veröffentlichen auch immer mehr kontinentaleuropäische Länder ihre Qualitätsdaten, wie beispielsweise auch Österreichs Nachbarländer Deutschland und Schweiz.
Hinter der Veröffentlichung solcher Ergebnisqualitätskennzahlen steht die Idee, Patient*innen als "informierte Kund*innen" zu etablieren und ihnen Informationen zur Auswahl geeigneter Gesundheitsdienstleister zur Verfügung zu stellen. Indirekt soll damit Druck auf Krankenhäuser ausgeübt werden, ihre Qualität zu verbessern. Die in Österreich einschlägige Website "kliniksuche.at" veröffentlicht aber nur wenige Qualitätskennzahlen, wie Liegedauern oder Behandlungsmethoden, nicht aber so kritische Informationen wie Mortalitätsraten oder die Häufigkeiten von Komplikationen und Intensivaufenthalten in den einzelnen Krankenhäusern.
Aus unserer Perspektive ist der Diskurs über die Veröffentlichung solcher Qualitätsdaten interessant.. Patientenanwält*innen, aber auch einige Mediziner*innen, fordern schon länger eine Veröffentlichung von wesentlich detaillierteren Ergebnisqualitätsdaten. Beschäftigte im Gesundheitswesen bzw. die Krankenanstalten argumentieren aber häufig, die veröffentlichten Informationen besäßen teilweise wenig Aussagekraft, da keine Kontextualisierung (z.B. Risikoadjustierung) erfolgt. Andererseits wird von Seiten von Ärzt*innen, Krankenhausleitungen oder Politiker*innen häufig argumentiert, dass zu viel Transparenz hinsichtlich Mortalitäts- und Komplikationsraten nur zur Verunsicherung der Bürger*innen beitragen würde.
Ein interessanter Aspekt in der aktuellen Krise ist nun, dass sich dieser Diskurs zur Transparenz von Ergebniskennzahlen zu verändern scheint. Mortalitätsraten und Intensivhäufigkeiten in Zusammenhang mit SARS-CoV-2 werden nun beständig veröffentlicht, und das gerade mit dem Argument politisch Verantwortlicher, damit Panik und Verunsicherung in der Bevölkerung zu reduzieren - also genau gegenteilig zur bisherigen Argumentation. Zwar gibt es auch gegenwärtig die Kritik, dass die Transparenz der veröffentlichten Daten keineswegs ausreichend sei. Unabhängig von dem tatsächlichen Ausmaß an Transparenz hat sich aber jedenfalls der Ruf nach Transparenz deutlich erhöht und seine Begründung geändert.
Aus unserer Forschungsperspektive ist nun interessant, ob die Corona-Krise und die momentan erhöhte Legitimität der Veröffentlichung von Qualitätsdaten zu einer nachhaltigen Veränderung führen wird. Können diejenigen, die Transparenz fordern, die Corona-Krise für ihre Forderungen mobilisieren? Werden politisch Verantwortliche hinter das Argument, dass Transparenz Sicherheit und Vertrauen schafft, (wieder) zurück gehen?
Zu den Personen: Das FWF-Forschungsprojekt "Qualitätsmessung im Gesundheitswesen: Diskurse und Praktiken" wird von Univ.-Prof. Silvia Jordan und Univ.-Prof. Albrecht Becker am Institut für Organisation und Lernen, Fakultät für Betriebswirtschaft der Universität Innsbruck geleitet. Patrick Neff, Msc und Michael Wörndle, MA sind Projektmitarbeiter und erstellen im Rahmen ihrer Verantwortlichkeit für Teilprojekte ihre Dissertationsarbeit. Silvia Jordan und Albrecht Becker sind Professor*innen für Management Accounting und befassen sich in ihrer Forschung mit organisationalen und sozialen Herausforderungen der Leistungs- und Qualitätsmessung.
Service: Dieser Gastkommentar ist Teil der Rubrik "Corona - Geschichten aus dem Krisen-Alltag" auf APA-Science: http://science.apa.at/CoronaAlltag. Die inhaltliche Verantwortung liegt beim Autor/der Autorin.